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Ex-Präsident Bill Clintons Autobiografie: Der umtriebige Feuerwehrmann – Politik | ABC-Z

In der Geschichte amerikanischer Präsidenten gilt wie in der US-Rechtsprechung grundsätzlich das Prinzip des precedent, des Präzedenzfalls. Die meisten Präsidenten, haben sie erst einmal das Weiße Haus verlassen, orientieren sich am Vorbild des ersten Amtsinhabers George Washington und ziehen sich zurück. Im 19. Jahrhundert diente der heute weithin vergessene Grover Cleveland, nachdem er wie Donald Trump zweimal im Abstand von acht Jahren das Weiße Haus erobert hatte, als präsidentieller Pensionär bescheiden und fleißig im Verwaltungsrat der Universität Princeton. Dwight Eisenhower spielte Golf, George W. Bush dilettiert seit dem Ausscheiden aus dem Amt gut gelaunt als Porträtmaler auf seiner Ranch in Texas.

Aber keine Regel ohne Ausnahme, ohne große Ausnahmen. Dem legendären Teddy Roosevelt war das Leben ohne Politik zu fad, er ging auf Safari in Ostafrika und auf Urwaldexpedition am Oberlauf des Amazonas. Sein Nachfolger William Taft avancierte zum Chief Justice am Supreme Court, Jimmy Carter erarbeitete sich den Friedensnobelpreis. Auch Bill Clinton (1993–2001) fällt in die Kategorie dieser Umtriebigen.

Als seine Amtszeit endete, war er erst 54 Jahre alt

Gleich auf der ersten Seite seines Erinnerungsbuchs über die Zeit nach dem Weißen Haus bekennt Bill Clinton, dass er sich von Tag eins an als „Citizen“, als Bürger Clinton, eigentlich unausgelastet fühlte: „2001 war ich erst 54, voller Energie, als langjähriger Politiker hatte ich jede Menge nützlicher Erfahrungen und Kontakte gesammelt, die ich einsetzen konnte, um auch als Privatperson dem Gemeinwesen zu dienen.“ Und so kommt es ihm sehr zupass, dass sich „nur sechs Tage nach Ende meiner Amtszeit eine erste Gelegenheit für einen postpräsidentiellen Einsatz“ ergibt: Ein schweres Erdbeben im indischen Bundesstaat Gujarat mit 20 000 Toten – und Bill Clinton greift zum Telefon, ruft seinen alten Bekannten an, den damaligen indischen Premier Atal Bihari Vajpayee. Aus der Schilderung der Episode geht ziemlich klar hervor, dass Clinton bei solchen Gelegenheiten wohl nie fragt, ob, sondern wie er helfen kann. Der Premier bittet, das Geld der wirtschaftlich meist sehr erfolgreichen indischstämmigen Amerikaner anzuzapfen. Binnen Kurzem waren eine American India Foundation gegründet und weit mehr als 30 Millionen Dollar an Spendengeldern eingesammelt. Dutzende solcher eindrucksvollen Feuerwehr-Interventionen im Dienste der Menschlichkeit sollen in den mehr als zwei Jahrzehnten danach folgen.

Clinton schaut sich im Jahr 2006 ein Porträt von sich selbst als Präsident im Smithsonian Castle in Washington an. (Foto: Haraz N. Ghanbari/AP)

Doch wer jetzt spannende Einblicke in das Wirken Clintons erwartet, wird ein wenig enttäuscht sein von den Schilderungen seiner „Einsätze“ in Indien und China, in Kolumbien und Haiti, im Nahen Osten, in Osttimor und Nordkorea, aber auch in den USA selbst, etwa für eine Gedenkstätte für die Amerikaner, die am 11. September 2001 verhindert hatten, dass der vierte der Terrorflieger ins Kapitol stürzte. Clinton engagiert sich für Überlebende des Tsunamis 2004 in Südostasien und für Opfer des Hurrikans Katrina ein Jahr später in den USA. Er hilft Kleinbauern im globalen Süden und Aids-Kranken weltweit. Es ist eine lange Liste, sie nimmt viele Seiten in Anspruch.

Jede Menge Stiftungen, jede Menge Networking

Doch vielfach lesen sich seine Darstellungen wie lange Zitate aus dem Rechenschaftsbericht der Kassenprüfer jener Vielzahl von Organisationen, die er als Ex-Präsident gegründet hat und von New York aus führt: seine Haupt-Stiftung, die Clinton Foundation, dazu kommen die Clinton Global Initiative, die CGI, das CHAI, was für Clinton Health Access Initiative steht, die Clinton Development Initiative (CDI) oder die Clinton Climate Initiative, die CCI – Amerikaner lieben Abkürzungen.

Bill Clinton: Citizen. Mein Leben nach dem Weißen Haus. Übersetzt von Stephan Gebauer, Monika Köpfer, Stefanie Römer, Karl Heinz Siber und Karsten Singelmann. dtv, München 2024. 576 Seiten, 30Euro. E-Book: 24,99 Euro. (Foto: dtv)

Der Erfolg seiner Organisationen beruht vor allem auf einer Qualität, die Clinton schon als jungem Politiker geholfen und ihn ohne Zweifel ins Weiße Haus gebracht hatte, seiner bemerkenswerten Begabung fürs Networking. So lernte er zum Beispiel bald nach Gründung seiner Stiftung den schottischen Unternehmer Tom Hunter kennen. Als er den Multimillionär kurz entschlossen bat, gemeinsam Bauern in Malawi und Ruanda zu helfen, „war er sofort an Bord“. Bei einem Spendendinner für Nordirland ist der Höhepunkt „ein Auftritt meines Freundes Bono“ (und man erfährt als kleines Nugget, dass dessen Frau Ali dabei war, obwohl sie nicht einmal 24 Stunden zuvor ihr viertes Kind zur Welt gebracht hatte). Und als ihn der Premier von St. Kitts und Nevis, Denzil Douglas, von einer Aids-Stiftung berichtet, die in seiner ostkaribischen Heimat in Schwierigkeiten steckte, fragt Clinton den Premier nur: „,Denzil, was wünschen Sie von mir?‘ Er erwiderte: ,Ich wünsche mir, dass Sie das Problem beheben.‘ Ohne zu zögern sagte ich: ,Okay.‘“ So einfach kann helfen gehen, jedenfalls für Bill Clinton.

2001 war Clinton praktisch pleite

Dass er neben seinem humanitären Engagement stets auch mit einigem Erfolg merkantile Interessen im Sinn hatte und beides bestens zu vermählen wusste, verschweigt er nicht. Im Gegenteil. Freimütig bekennt er, dass er nach dem Auszug aus dem Weißen Haus praktisch pleite war und „erst einmal richtig Geld verdienen musste“, um die Anwaltskosten zu begleichen. Die waren während seiner Amtszeit aufgelaufen, als er sich gegen die von den Republikanern hartnäckig verfolgten Untersuchungen im sogenannten Whitewater-Skandal wehren musste (wegen angeblich krummer Geschäfte in seiner Zeit als Gouverneur von Arkansas) und dann im Impeachment-Verfahren infolge seiner sexuellen Eskapaden im Oval Office mit der Praktikantin Monica Lewinsky.

Als die Hoffnung noch groß war: Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton mit ihrem Mann 2016 im Wahlkampf in Las Vegas. Am Ende gewann ein Mann namens Trump. (Foto: Mike Nelson/dpa)

Wer aber nun persönliche Bekenntnisse oder tiefere Einblicke in die Seelenwelt eines Ex-Präsidenten erwartet, könnte das vielseitige Buch getrost wieder zuschlagen. Stattdessen finden sich Stoizismen wie diese: „Ein Leben im öffentlichen Dienst kann äußerst bereichernd sein, wenn man die Tatsache akzeptiert, dass es im steten Auf und Ab der Geschichte keine permanenten Siege gibt.“ Und nach einem beeindruckenden Besuch eines riesigen Weltraum-Teleskops auf dem Mauna Kea in Hawaii, wo ihm Wissenschaftler die Vergänglichkeit selbst unseres Sonnensystems klarmachen, kommt ihm der Gedanke: „Da ist es eigentlich egal, wer auf dem Mount Rushmore abgebildet ist“ – dem monumentalen Denkmal in South Dakota, wo die Köpfe von vier US-Präsidenten in den Fels geschlagen sind (und es schon den Vorschlag gab, Donald Trump hinzuzufügen).

Muammar al-Gaddafi hatte einen großen Plan

Aber, auf der anderen Seite: Bill Clinton ist sicherlich einer der gescheiteren Männer, die im Weißen Haus gedient haben, und er hat ohne Zweifel sehr viel Gutes mit der Zeit anzufangen gewusst, die ihm seither gegeben ist. Aber deswegen müssen seine Erinnerungen kein Kompendium tiefschürfender Gedanken sein.

Viel interessanter sind die verrückten Geschichten nebenbei. So zum Beispiel seine erste und einzige Begegnung mit dem libyschen Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi ein paar Jahre vor dessen gewaltsamen Ende. Gaddafi schlug Clinton dabei unvermittelt vor, einen seiner Söhne mit Clintons (damals noch unverheirateter) Tochter Chelsea zu vermählen, um „eine Dynastie zu gründen“. Clinton antwortete, wie er ausdrücklich schreibt, „ohne das Gesicht zu verziehen“, dass er den Vorschlag seiner Tochter unterbreiten werde – was er auch tat (die Antwort wird hier nicht verraten).

Gut gehalten: Joe Biden, 81, und Bill Clinton, 78, im Wahlkampf 2024. (Foto: Brendan McDermid/Reuters)

Oder aber kleine, wohldosierte Blicke ins Private.  Dass es im alten Holzhaus der Clintons im schönen Chappaqua (nördlich von New York) im Obergeschoss ein Musikzimmer für ihn gibt. Dort bewahrt er neben seinen Saxofonen einen mit Autogramm versehenen Schal von Elvis Presley auf (und zwar einen, den er tatsächlich bei einem Konzert getragen hat). Seinen Morgenkaffee trinkt er oft aus einem Becher aus Webster in South Dakota, den er während des Präsidentschaftswahlkampfs seiner Frau dort 2008 bekommen hatte.

Immer noch empört über die „New York Times“

Grundsätzlich am interessantesten dürfte ohnehin die Darstellung der zwei Anläufe aufs Weiße Haus sein, die seine Frau Hillary 2008 und 2016 unternommen hatte – und bei denen Bill sie stets vehement unterstützt hat. Aber auch da sind die Einblicke sehr limitiert, seine Einlassungen gleichen mehr von leichtem Bedauern begleiteten Analysen eines Feldherrn nach verlorener Schlacht. Eine Ausnahme allerdings gibt es, bei der Clinton sein Innerstes nach außen kehrt: Immer wieder macht er – neben der russischen Einflussnahme und der völlig unangemessenen Bekanntgabe wenige Tage vor der Wahl 2016, dass längst eingestellte FBI-Ermittlungen gegen Hillary Clinton wieder aufgenommen seien – die „Mediendresche“ und eine „unerklärliche Besessenheit der politischen Medien“ für die Niederlagen seiner Frau verantwortlich, ganz vorn auf der Anklagebank: die New York Times: „Nie habe ich erlebt, dass jemand von der Presse schlimmer behandelt wurde als Hillary.“ Auch wenn er sie eloquent vorträgt und den ein oder anderen Punkt machen kann – tatsächlich stichhaltig wirkt die Anklage über mehr als hundert Seiten in seinem dickbauchigen Buch auch nach der Lektüre nicht.

Doch selbst wenn er, wie er schreibt, zwei Jahre danach nicht schlafen konnte, siegt am Ende dieses Erinnerungsbuchs doch sein sonniges Gemüt über all den Frust, als er mehr als zwei Jahrzehnte seines postpräsidentiellen Wirkens in einer Maxime zusammenfasst: „Gutes zu tun und dabei Spaß zu haben“.

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