Meta-Mitarbeitende in Kenia wehren sich: „Ohnmacht, Erbrechen und Schreien“ | ABC-Z
Die Arbeit ist so furchtbar, dass sie zu „Ohnmacht, Erbrechen und Schreien“ führt. So zitiert der britische Guardian aus der Klageschrift von mehr als 140 Moderator*innen gegen Meta, die Facebook-Mutterfirma und Samasource, den Dienstleister, bei dem sie in Kenia angestellt waren.
Zu den Inhalten, mit denen sie sich bei ihrer engmaschig kontrollierten Akkordarbeit unter grellem Neonlicht konfrontiert sahen, gehörten Bilder und Videos von Nekrophilie, Terroranschlägen, sexueller Gewalt unter anderem gegen Kinder, brutale Morde. Die ganze Palette menschlicher Grausamkeit, die jedes Vorstellungsvermögen sprengt, werden in 8-10 Stundenschichten gesichtet und sortiert.
Aber schon die korrekte Verschlagwortung von Fotos, die Umwandlung von PDFs in Textdateien und ganz allgemein die qualitative Sortierung diverser Mediendateien ist im globalen Maßstab eine riesige Aufgabe, die keine KI leisten kann.
Selbst immer neue Rechenzentren mit dem Energiebedarf von Großstädten sind nicht in der Lage, die Bewertung und Einordnung durch menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Die ist zwar nicht kostenlos, wenn man es geschickt anstellt aber recht preisgünstig zu haben.
Eine Frau mit Mission
Samasource, auch bekannt unter dem Kurznamen Sama, eine Firma mit Hauptsitz in San Francisco, ist ein Pionier auf dem Gebiet des Outsourcings der Inventarisierung digitalisierter Daten. Leila Janah, die 2020 verstorbene Gründerin der ursprünglich als Nonprofit operierenden Unternehmung, erklärte gegenüber dem Christian Science Monitor, dass es ihre Mission sei, „armen Menschen eine würdevolle Arbeit“ zu ermöglichen.
Die „armen Menschen“ fand die Tochter indischer Einwanderer schon als Schülerin bei einem Austausch in Ghana und blieb später dem afrikanischen Kontinent treu. Dass die Verbindung zum Beispiel nach Kenia und andere frühere Kolonien so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt an der guten englischen Sprachkompetenz vor Ort, kombiniert mit den landestypisch niedrigen Löhnen.
Der Zugriff auf die „würdevolle Arbeit“ interessierte US-Digitalkonzerne frühzeitig. Bereits 2009 investierte Facebook 10 Millionen Dollar in Samasource. Seitdem ist die Kundenliste der 2019 in ein gewinnorientiertes Unternehmen umgewandelten Zuhälterei um einige schillernde Namen gewachsen: unter anderem Microsoft, Google, LinkdIn ließen sich von den niedrigen Kosten überzeugen.
Aus Kenia heißt es, dass Stundenlöhne von weniger als 2 Dollar für die jungen qualifizierten Arbeitskräfte üblich seien. Die gezielte Anwerbung von Slumbewohner*innen dort und in Uganda, Haiti und Indien zahlte sich aus. Die schlimmen Arbeitsbedingungen bei Samasource sind dabei keine Neuheit. Schon Anfang des Jahres 2023 berichtete das Time-Magazin über die Traumatisierung von Mitarbeiter*innen bei der Bereinigung des Trainingsmaterials für OpenAI.
Schwere mentale Beeinträchtigungen
Denn auch der Entwickler von ChatGPT ist weiterhin auf menschliche Zuarbeit angewiesen. Anders als in atemberaubenden Marketinglügen behauptet, sind statistische Sprachmodelle eben keineswegs in der Lage, alleine „selbst zu lernen“.
In den sterilen Computer-Sweatshops sind derweil die gesundheitlichen Schädigungen der Arbeiter*innen gravierend. Alle der im Rahmen der Klageerhebung untersuchten früheren Klickworker*innen leiden laut dem Kenyatta National Hospital an posttraumatischer Belastungsstörung. Weitere schwere mentale Beeinträchtigungen seien die Regel.
Dass die Geschädigten nun Schadensersatz bei den Verursacher*innen und den Auftraggebern einklagen, ist umso wichtiger. Die Unterstützung, die sie dabei schon seit einigen Jahren durch die britische NGO Foxglove erhalten, ist dabei die wohl einzig sinnvolle Form des Kampfes gegen Armut und für Würde in dieser Angelegenheit.
Denn wie in jedem Fall der Auslagerung von Arbeit in Niedriglohnländer hilft kein Boykott einzelner Produkte. Nur internationale Solidarität und das Streiten um robusten gesetzlichen Schutz lohnabhängig Beschäftigter weltweit wirken hier langfristig.
Ein digitales Lieferkettengesetz zum Beispiel könnte Digitalkonzerne zwingen, nicht nur ihre Inhalte nach transparenten Kriterien zu moderieren, sondern auch nachzuweisen, dass diese Moderation unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen erfolgt – ohne Schreie, Ohnmacht und Erbrechen.