Bayern: Ministerpräsident Söder wird Fußballkommentator bei Sport1 – mitten im Wahlkampf – Bayern | ABC-Z
Spätestens seit Gerhard Schröder ist der Fußball die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Der frühere SPD-Bundeskanzler suchte ganz ungeniert die Nähe zum Millionensport, erzählte gerne von seiner Vergangenheit als Mittelstürmer beim TuS Talle: „Sie nannten mich ‚Acker‘, weil ich mich immer voll reingehängt habe.“
Als Kanzler hängte er sich erfolgreich für die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland rein und ließ nie eine Chance für ein Foto mit Ball verstreichen. 2005 etwa lud Schröder die brasilianische Fußballikone Pelé ins Kanzleramt, wo die beiden Männer in Anzug und Krawatte einen roten Ball hin und her spielten. Als sogenannter Medienkanzler beherrschte Schröder das Spiel mit dem Ball – aber noch mehr das mit der Aufmerksamkeit.
Einer, der dieses Handwerk mindestens so gut versteht, ist Markus Söder. Während Schröder noch auf klassische Medien wie „Bild, BamS und Glotze“ angewiesen war, hat der CSU-Chef die Selbstvermarktung auf ein neues Level gehoben. Man verliert inzwischen leicht den Überblick über Söders lebhafte Social-Media-Welt, wo er sich zwischen Bratwürsten, Holocaust-Gedenken und Weihnachtspullis mit Söder-Konterfei bewegt. Doch offenbar reicht das nicht. Im Bundestagswahlkampf gibt Bayerns Ministerpräsident nun auch noch den Fußballkommentator.
Wie der Fernsehsender Sport1 am Donnerstag mitteilte, soll Söder am Samstagabend ein Bundesligaspiel des Zweitligisten 1. FC Nürnberg kommentieren. Söders Heimatverein spielt im Nürnberger Stadion gegen Eintracht Braunschweig. Der CSU-Politiker soll bei der Live-Übertragung nicht nur 90 Minuten lang als Co-Kommentator zu hören sein, sondern auch vor und nach dem Spiel als „Experte“ vor der Kamera stehen. Ein amtierender Politiker als Fußballerklärer im Fernsehen – mitten im Wahlkampf? Das hat nicht mal Gerhard Schröder fertiggebracht.
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Im Netz reagierten die Nutzer irritiert bis verärgert auf die Mitteilung des Münchner Sportsenders. „Das ist nicht euer Ernst“, „Was soll das?“, „Wahlkampf wohin man schaut“, „Ohne mich!“ – so lauteten die harmloseren Wortmeldungen auf der Plattform X. Ein Nutzer wies darauf hin, dass Söder kaum im Landtag zu sehen sei. Und wenn, könnte man hinzufügen, bleibt er dort eher selten drei Stunden am Stück – so lang dauert die Übertragung des Spiels inklusive Vor- und Nachberichten.
„Sport1 hat diese Einladung vor einigen Wochen ausgesprochen“, teilte Söders Staatskanzlei am Freitag auf SZ-Anfrage mit. „Als gebürtiger Nürnberger und Fan des 1. FCN nimmt Herr Ministerpräsident sie ebenso gerne an wie jene der Süddeutschen Zeitung, als vor wenigen Tagen im SZ-Kultursalon ausführlich über Star Trek gesprochen wurde.“ Auf die Frage, welche Rolle der Bundestagswahlkampf bei dem Auftritt spielt, ging ein Sprecher nicht ein.
Auch der Ex-Grünen-Chef sei schon in einer Sendung zu Gast gewesen
Sport1 gab auf SZ-Anfrage an, dass der Wahlkampf bei der Einladung Söders „keine Rolle gespielt“ habe. „Unser alleiniges Entscheidungskriterium ist bei solchen Einladungen, ob der jeweilige Gast thematisch gut in unsere Übertragung passt“, schrieb ein Sprecher. So sei im Sommer auch der damalige Grünen-Chef Omid Nouripour als Fan von Eintracht Frankfurt in einer Sendung zu Gast gewesen.
Die Vermischung von Fußball und Politik ist in Deutschland allgegenwärtig, auch wenn sie meistens subtiler daherkommt als bei Schröder und Söder. Bei der Europameisterschaft 1996 tauchte zum Beispiel CDU-Kanzler Helmut Kohl nach einem Spiel in der Kabine der deutschen Nationalmannschaft auf. Auf die Frage, wie das war, antwortete der Spieler Mehmet Scholl damals im Spiegel: „Eng.“
Als Deutschland 2014 in Brasilien Weltmeister wurde, erschienen Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck für ein Siegerfoto in der Umkleide. Merkel sah man bei der Nationalmannschaft ohnehin häufig auf der Zuschauertribüne. Beim Torjubel streckte sie ihre Arme in einem vorsichtigen Winkel nach oben, sodass sie ihren Blazer nicht zu arg strapazierte.
Niemand kann Niederlagen besser schönreden als Politiker
Auch abseits der Kameras gibt es viele Berührungen zwischen Politik und Fußball. Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), war früher Geschäftsführer der SPD in Nordrhein-Westfalen und Staatssekretär im NRW-Familienministerium. Der ehemalige CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat seit Jahren diverse Ämter beim FC Bayern München inne, zum Beispiel als Mitglied im Aufsichtsrat. Auch CSU-Übervater Franz Josef Strauß war dem FCB eng verbunden. In den 70ern soll die Staatsregierung dem Verein laut dem Historiker Hans Woller sogar beim Steuerbetrug geholfen haben. „Wenn es dem FC Bayern gut geht, dann geht es auch der CSU gut“, fasste der ehemalige Parteichef Horst Seehofer die Beziehung mal zusammen.
Vielleicht tröstet das auch den Nürnberg-Fan Söder. Sein Lieblingsverein dümpelt erfolglos durch die zweite Liga. Seit Oktober hat der „Glubb“ kein Spiel mehr gewonnen. Der CSU-Chef könnte also genau der richtige Kommentator für das Spiel am Samstag sein: Niemand kann Niederlagen besser schönreden als ein Politiker.