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Warum über Weihnachten die politische Stimmung kippen könnte | ABC-Z

Vor fast vier Jahrzehnten gab es schon einmal einen Bundestagswahlkampf in der Weihnachtszeit. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl stellte sich am 25. Januar 1987 zur Wiederwahl. Ende 1986 herrschte eine optimistische Stimmung in Westdeutschland. Die Wirtschaft, die sich vier Jahre zuvor in einer tiefen Krise befunden hatte, wuchs wieder, und mit ihr der Wohlstand. Dementsprechend populär war die Bundesregierung.

In der Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Dezember 1986 gaben 49 Prozent der Befragten an, sie wollten die CDU/CSU wählen. In den Medien begannen Spekulationen darüber, ob es der Union gelingen werde, die absolute Mehrheit zu erreichen.

Weihnachtspause schadete der CDU

Dann ging das Land in die Weihnachtsferien. Als der Alltag im Januar 1987 wieder begann, hatte sich die Stimmung verändert. Die erste Allensbacher Umfrage nach der Weihnachtspause ergab in der Zweitstimmen-Wahlabsicht noch 45 Prozent für die CDU/CSU, einen Verlust von vier Prozentpunkten innerhalb kurzer Zeit. Von einer absoluten Mehrheit für die Union konnte nun keine Rede mehr sein. Schließlich wurde die Regierung im Amt bestätigt, doch alles andere als glänzend. Die CDU/CSU erhielt 44,3 Prozent, 4,5 Prozent weniger als 1983.

Damit rückte zum ersten Mal der erstaunliche Effekt der Weihnachtspause in den Blick der Wahlforschung, der sich in den kommenden Jahren immer wieder zeigen sollte, auch abseits von Wahlkämpfen. Natürlich nicht immer, aber doch auffallend häufig kommt es vor, dass das Land mit einer anderen Stimmung in die Weihnachtsferien geht, als es wieder herauskommt. Über die Gründe darüber kann man nur spekulieren: Man hat mehr Zeit, über Dinge abseits der täglichen Routine nachzudenken, auch über Politik.

Der Medienkonsum nimmt zu, und, weil man mehr Zeit als sonst mit der Familie verbringt, es er­geben sich auch Gelegenheiten, über die in den Medien erfahrenen Dinge ausgiebig zu diskutieren. Nicht jede politische Überzeugung geht un­verändert aus diesen Diskussionen hervor.

45 Prozent wissen noch nicht, wen sie wählen

Allein schon aus diesem Grund ist es nicht sinnvoll, zum jetzigen Zeitpunkt Voraussagen über den Ausgang der kommenden Bundestagswahl zu machen. Es kann durchaus sein, dass sich am politischen Klima bis dahin nichts mehr ändert, doch es kann ebenso gut sein, dass die Stimmung am Wahltermin vollkommen anders ist, als man es heute für möglich hält.

Dies ist auch der Fall, weil die poli­tischen Überzeugungen der Bevölkerung keineswegs so gefestigt sind, wie man angesichts der Schärfe mancher öffent­lichen Auseinandersetzung vermuten könnte. Es stimmt zwar, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch keine Regierung gegeben hat, die unpopulärer war als die Ampelkoa­lition in den letzten Monaten, aber vielen Wählern drängt sich auch keine wirklich überzeugende Alternative auf.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich das politische Klima Ende 2024 bemerkenswert wenig von dem im Sommer 2021. Auf die Frage „Wissen Sie schon genau, für welche Partei Sie bei der Bundestagswahl stimmen wollen, oder überlegen Sie noch?“ antworteten in der aktuellen Bevölkerungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der F.A.Z 51 Prozent, sie hätten sich bereits entschieden, 45 Prozent geben an, sie überlegten noch.

28 Prozent wollen Merz, 14 Prozent Scholz als Kanzler

Dieses Ergebnis ist praktisch identisch mit dem vom August 2021. Auf die Frage, welchen der drei Kanzlerkandidaten man als Bundeskanzler vorziehen würde, antworteten 28 Prozent, ihnen wäre Friedrich Merz am liebsten, 14 Prozent nannten Olaf Scholz, 13 Prozent Robert Habeck. 33 Prozent der Befragten sagten dagegen ausdrücklich, sie wollten keinen der drei Kandidaten als Bundeskanzler sehen. Auch dies ist eine auffallende Parallele zum Wahlkampf 2021, als die Antwort „Keiner davon“ ebenfalls häufiger war als der Zuspruch zu allen drei Kan­didaten.

Klar ist damit allerdings auch, dass Friedrich Merz mit deutlichem Abstand vor Olaf Scholz führt. Dies ist auch bei einer Variante der Frage der Fall, bei der nur nach Scholz und Merz gefragt, nicht aber Habeck zur Auswahl gestellt wird. Ohnehin ist bei aller Unsicherheit fest­zuhalten, dass die Ausgangsposition der CDU/CSU derzeit natürlich weitaus günstiger ist als vor dreieinhalb Jahren.

Die Bürger scheinen etwas ratlos, vielleicht auch abgeklärt auf die Bundestagswahl zu schauen. Das bedeutet allerdings nicht, dass in der Bevölkerung nicht intensiv und auch emotional über Politik diskutiert würde – im Gegenteil. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis der Frage, worüber man sich in letzter Zeit einmal mit anderen Menschen unterhalten habe.

Zu dieser Frage wurde eine Liste mit 16 verschiedenen Antwortmöglichkeiten überreicht, wobei neben tagespolitischen Themen auch bewusst alltägliche Themen wie die Familie, das bevorstehende Weihnachtsfest und das Wetter zur Auswahl gestellt wurden. Das Wetter bildet bei dieser Frage den Vergleichsmaßstab: Themen, die in den privaten Gesprächen eine ähnlich große oder gar eine größere Rolle spielen als das Wetter, sind Themen, die die Bevölkerung wirklich be­wegen, und davon gibt es derzeit auffallend viele: Mit Abstand am häufigsten wählten die Befragten mit 76 Prozent den Punkt „Die Preise, wie teuer alles ge­worden ist“.

Erst an zweiter Stelle folgt das bevorstehende Weihnachtsfest mit 65 Prozent. 61 Prozent nannten als Gesprächsthema den Krieg in der Ukraine, 58 Prozent Donald Trump, 54 Prozent die wirtschaftliche Lage in Deutschland, 51 Prozent die Zuwanderung. Die letzten drei Themen liegen damit auf vergleichbarem Niveau wie das Wetter, das 55 Prozent als Gesprächsthema angaben.

In manchen früheren Wahlkämpfen zeigte sich ein ganz anderes Bild: 2013 gab es zwei Monate vor dem Wahltermin kein einziges politisches Thema, das von mehr als der Hälfte der Befragten als Gesprächsthema genannt wurde. Es gehört deswegen nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass es in diesem Jahr unter den Weihnachtsbäumen ungewöhnlich viele politische Gespräche geben wird, womit eine wesentliche Voraussetzung für einen Effekt der Weihnachtspause erfüllt wäre.

In welche Richtung könnte sich das politische Klima in den kommenden Wochen noch verschieben? Einen Hinweis bieten die Gesprächsthemen: Die Inflation und die Wirtschaftslage gehören heute zu den wichtigsten Themen. Im Wahlkampf 2021 spielten sie keine besondere Rolle. Diese Entwicklung nützt besonders der CDU/CSU, der auf diesem Gebiet große Kompetenz zugeschrieben wird, abgeschwächt gilt das auch für die FDP.

Andere Themen, die noch vor Kurzem die Debatte dominierten, haben stark an Bedeutung verloren. Auf die Frage, was ihnen große Sorgen bereite, nannten im August 2021 65 Prozent der Befragten den Klimawandel, heute sind es noch 45 Prozent. Dies bedeutet, dass sich das Meinungsklima vor allem für die Grünen massiv verändert hat. Wie sehr, zeigt eine Frage, bei der den Befragten die Situation einer Podiumsdiskussion vor Augen geführt wurde.

Es hätte sich jeweils ein Redner von der CDU, der SPD, der FDP und den Grünen geäußert. Einer der Redner sei vom Publikum ausgebuht worden. „Was meinen Sie“, so die Frage, „welcher der Redner ausgebuht wurde?“ Eigentlich lautet die einzig sinnvolle Antwort auf diese Frage „Weiß nicht“, denn die Befragten waren ja nicht dabei und wissen nichts über den Anlass, den Ort und die Zusammensetzung des Publikums.

Unionsanhänger zeigen wenig Bereitschaft, sich zu engagieren

Doch der „Buhtest“, wie die Frage in Allensbach genannt wird, zielt nicht auf die analytische, sondern auf die Gefühlsebene: Die Befragten versetzen sich gedanklich in die Situation – in der Fachsprache nennt man diese Art von Frage auch „projektiver Test“ –, geben dann oft erstaunlich eindeutige Antworten und dokumentieren damit ihr Gespür für das Zeitklima. In der aktuellen Umfrage sagten 43 Prozent, ihrer Ansicht nach sei der Redner der Grünen ausgebuht worden. Mit 26 Prozent folgt der Redner der FDP, ein Ergebnis, das angesichts der Berichterstattung über die Umstände des Koalitionsbruchs in den letzten Wochen überraschen mag.

Einen weiteren Hinweis auf denkbare Veränderungen im Wahlkampf bieten die Ergebnisse einer Frage zur Exponierbereitschaft der Parteianhänger. Der Erfolg einer Partei im Wahlkampf hängt auch davon ab, dass ihre Mitglieder und Anhänger bereit sind, öffentlich für sie einzustehen, dass sie also in Diskussionen ihre Position verteidigen, Prospekte verteilen, Aufkleber am Auto anzubringen und andere Wähler zu überzeugen ver­suchen. Deswegen wurden die Anhänger der verschiedenen Parteien gebeten, anzugeben, welche dieser Dinge sie bereit wären, für ihre Partei zu tun.

Allgemein ist eine hohe Exponier­bereitschaft allein noch kein Zeichen für die Stärke einer Partei, denn starke Parteien ziehen viele unpolitische und damit auch zur politischen Aktivität wenig motivierte Bürger an, während es sich um­gekehrt bei den verbliebenen Anhängern schwacher Parteien um den harten Kern handelt, der auch in schweren Zeiten bereit ist, für seine Überzeugung zu kämpfen.

So ist es wenig erstaunlich, dass die Exponierbereitschaft der Anhänger von SPD und FDP im Vergleich zu 2021 deutlich gestiegen, die der Grünen-Anhänger trotz des für sie widrigen Zeitgeists stabil bleibt. Es bleibt auffällig, dass die An­hänger der CDU/CSU mit Abstand die geringste Bereitschaft zeigen, sich für ihre Überzeugung öffentlich einzusetzen.

Lag die Summe aller Angaben zu 11 verschiedenen Aktivitäten bei ihnen im Jahr 2021 bei 119 und damit auf dem gleichen Niveau wie bei den Anhängern von SPD und FDP, beträgt der aktuelle Wert nur noch 84. Die Vergleichswerte für SPD und FDP liegen bei 140 beziehungsweise 160.

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