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Tim Kleindienst: „Ewig in Erinnerung bleiben wird die erste Nationalhymne“ | ABC-Z

Borussia Mönchengladbach stabilisiert sich und darf in der Tabelle nach oben blicken. Dies ist vor allem ein Verdienst eines Mannes: Tim Kleindienst entpuppte sich als bester Transfer des Sommers und entwickelte sich mit 29 Jahren zum Nationalspieler. Gespräch über eine späte Karriere.

Tim Kleindienst ist ein Spätstarter. Die Karriere des gebürtigen Brandenburgers nahm erst spät Fahrt auf, dafür aber rasant. Mit dem 1. FC Heidenheim wurde der heute 29 Jahre alte Stürmer in der Saison 2022/23 Meister der Zweiten Liga und dort Torschützenkönig mit 25 Toren. Auch in seinem ersten Bundesligajahr überzeugte er derart, dass größere Klubs und Bundestrainer Julian Nagelsmann auf ihn aufmerksam wurden.

Kleindienst wechselte er im Sommer für eine Ablöse von etwa sieben Millionen Euro zu Borussia Mönchengladbach, wo er umgehend zum gesetzten Mittelstürmer aufstieg. Vor dem letzten Hinrundenspiel bei der TSG Hoffenheim sammelte er in bislang 14 Einätzen neun Tore und sechs Torvorlagen. Damit war er an 15 der 23 Tore seines Klubs direkt beteiligt, eine erstaunliche Quote. Auch für die deutsche Nationalmannschaft hat er bereits getroffen, zwei Treffer in vier Einsätzen stehen in seiner Vita.

WELT: Herr Kleindienst, wer ist für Sie der beste Transfer der Saison? Wir finden, der Titel gebührt Ihnen.

Tim Kleindienst: Zu Titeln sage ich grundsätzlich nicht Nein (lacht). Es ist doch etwas Positives, das gesagt zu bekommen – auch wenn ich so etwas niemals selbst herausposaunen würde. Mich freut einfach, dass es so gut läuft.

WELT: Sportchef Roland Virkus war im Griechenland-Urlaub, als er mit Ihnen verhandelt hat. Um ungestört telefonieren zu können, sei er sogar ins Meer gegangen. Haben Sie ihm dafür mal einen ausgegeben?

Kleindienst: Ich glaube, meine Tore sind der beste Dank. Aber wenn er mal ein Bierchen trinken will, bin ich der Letzte, der ihm das verweigern würde.

WELT: Neun Tore und sechs Vorlagen für Gladbach, Debüt und zwei Treffer für die Nationalmannschaft – Ihre Hinrunde lief herausragend. Welcher war Ihr emotionalster Moment?

Kleindienst: Ewig in Erinnerung bleiben wird der Moment, als ich das erste Mal bei der Nationalhymne auf dem Platz stand. Das saumäßig Besondere daran war ja, nach der Nominierung direkt in der Startelf gestanden zu haben. Hymne singen – und beim zweiten und dritten Spiel direkt noch mal. Ansonsten vor allem die Tore in den Heimspielen für Borussia.

WELT: Niclas Füllkrug hat mal gesagt, er könne kein DFB-Trikot verschenken, höchstens innerhalb der Familie …

Kleindienst: Das ist bei mir auch so. Ich werde mir jetzt einen Rahmen anfertigen lassen, in den ich alles einfließen lasse. Meine Trikots, auch die Medaillen, die man bei jedem Länderspiel bekommt. Bei der zweiten Nominierung habe ich meinem Bruder Lukas ein Trikot geschenkt.

WELT: Welche Glückwunsch-SMS hat Ihnen rund um Ihr Debüt am meisten bedeutet?

Kleindienst: Frank Schmidt (Trainer des 1. FC Heidenheim, d.Red.) war einer der Ersten, die gratuliert haben. Er hat mir gesagt, dass ich es verdient hätte. Ich habe ihm geantwortet: „Es ist ein Verdienst von uns beiden!“ Ich wollte ihn da unbedingt mit ins Boot nehmen. Hätte er mich in Heidenheim nicht so eingesetzt, wäre ich wahrscheinlich nie so weit gekommen.

WELT: Mit welchen Nationalspielern stehen Sie am meisten im Kontakt?

Kleindienst: Kevin Schade hat mir plötzlich ein Foto von uns beiden gezeigt. Aufgenommen, als er noch klein und ich schon Profi war. Es ist schön zu sehen, wie und auf welchen Ebenen man zusammenkommt. Maxi Beier und ich haben uns damals in Cottbus kennengelernt. Seitdem verfolge ich seinen Weg, wir schreiben uns seit Jahren. Ansonsten bin ich froh, wenn ich mein Handy mal nicht in der Hand habe. Denn durch die Nationalmannschaft flattert gefühlt eine Nachricht und Interviewanfrage nach der nächsten rein (lacht). Das freut mich, ich bin aber auch froh, wenn ich einfach mal in Ruhe mit meiner Frau auf der Couch sitzen kann.

WELT: Haben Sie ein Erfolgsritual?

Kleindienst: Es gibt nichts, was ich unbedingt brauche. Ich höre vor Spielen oft Musik: Hard Rock, Heavy Metal, damit ich ein bisschen angezündet werde. Aber mein Erfolgsrezept ist nur eigene Überzeugung. Ich habe vor Spielen im Kopf: „Ich gehe heute raus, schieße ein Tor oder zwei – und wenn es besonders gut läuft, ja vielleicht sogar drei.“

WELT: Haben Sie auch die WM 2026 schon im Kopf?

Kleindienst: Die WM ist ein Traum, etwas Unfassbares. In meinen Gedanken ist sie aber noch weit weg, dafür gibt es keinen Plan. Im Nationalteam ist man ja nicht gesetzt. Aber ich bin überzeugt, dass ich mit meiner Entwicklung noch nicht am Peak angekommen bin. Toreschießen erzeugt in mir eine innere Zufriedenheit. So schießt wahrscheinlich auch Harry Kane 30 Tore, der sagt ja nach 15 auch nicht: „Boah, ist das jetzt langweilig.“

WELT: Apropos Kane: Sie wurden auch schon als Back-up-Stürmer beim FC Bayern gehandelt. Müssen Sie für Ihren WM-Traum über einen Wechsel nachdenken, falls im Sommer große Klubs anklopfen?

Kleindienst: Ich denke gerade überhaupt nicht an etwas Neues, auch Gladbach ist ein Riesenverein. Mir macht es Spaß hier, und genau deswegen läuft es auch so gut.

WELT: Kane, Guirassy, Füllkrug, Mbappé, Vinicíus Jr. – welchen Stürmertypen bewundern Sie am meisten?

Kleindienst: Alle machen es verdammt gut. Aber keiner von ihnen ist ein Vorbild, auch von Bewunderung möchte ich nicht sprechen. Denn erstens sind zumindest wir Bundesliga-Stürmer ja Konkurrenten. Und zweitens machen wir im Grunde alle das Gleiche. Natürlich hat ein Harry Kane eine unglaubliche Abschlussqualität, von seiner Ruhe kann man sich sicherlich auch etwas abschauen oder von seiner Art und Weise, wie er schwierige Situationen löst. Es gibt aber vielleicht auch Dinge, die ich womöglich besser kann als er.

WELT: Zum Beispiel?

Kleindienst: Pressing, Intensität. Wahrscheinlich muss ich auch für ein Tor mehr arbeiten, weil er mit seinen Mitspielern eine noch höhere Qualität im Rücken hat. Beim DFB, wo ich Top-Spieler wie Musiala, Wirtz oder Havertz um mich herum habe, besetze ich auch andere Räume als in Gladbach, wo ich mich aber auch absolut nicht beschweren kann. Ich bin ganz froh, dass ich so bin, wie ich bin. Ein richtiges Vorbild war für mich früher nur Thierry Henry aufgrund seines Komplettpakets.

WELT: Gladbach hat sich in der Vorrunde mit Ihnen vom Krisen- zum Überraschungsteam hochgearbeitet. Virkus hat versprochen: Wenn Borussia in den Europapokal einzieht, rasiert er sich den Schnäuzer. Was ist Ihr Einsatz?

Kleindienst: Viele bei uns haben gesagt, sie würden sich einen Schnurrbart wachsen lassen. Da gehe ich mit. Bedeutet in meinem Fall: Der Bart kommt ab, und der Schnäuzer bleibt stehen. So wie bei Roland Virkus aktuell.

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