Wohnungsmangel: Die rasant wachsende Zahl wohnungsloser Familien – und was dahintersteckt | ABC-Z
Die Zahl der wohnungslosen Familien steigt in diesem Jahr stark an, zeigen Zahlen der Bundesregierung. Die Linke sieht eine „soziale Katastrophe“. Aber hat das vor allem damit zu tun, dass viele Familien sich die Miete nicht mehr leisten können? Eine Differenzierung nach Staatsangehörigkeit gibt Aufschluss.
Rund 220.000 Menschen in Alleinerziehenden- und Paar-Haushalten waren in Deutschland zum Stichtag 31. Januar 2024 wohnungslos. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke-Gruppe im Bundestag hervor. Das Schreiben liegt WELT vor.
„Wohnungslose“ sind nicht Obdachlose, die auf der Straße leben, sondern all jene, die nicht über Wohneigentum oder Mietverträge verfügen. Exakte Zahlen, wie die, auf die sich die Bundesregierung bezieht, gibt es nur über „untergebrachte wohnungslose Personen“ – nicht erfasst sind etwa Menschen, die zeitweise bei Freunden und Verwandten unterkommen.
Zur offiziellen Statistik gehören daher etwa jene, denen eine Gemeinde die Wohnung bezahlt, damit sie nicht auf der Straße landen; Personen, die in Einrichtungen von Caritas und anderen sozialen Trägern der Wohnungslosenhilfe leben; oder auch ukrainische Kriegsflüchtlinge und anerkannte Asylbewerber, die keine Wohnung finden und weiterhin in einer Containerunterkunft leben.
Thema der Anfrage der Linke-Gruppe war die „Wohnsituation von Familien in Deutschland“. Gefragt hatte sie nicht nur, wie viele Personen in Familien-Haushalten untergebrachte Wohnungslose sind. Sie wollte auch wissen, wie viele Familien zur Miete leben. 3,3 Millionen Familien mit Kindern unter 18 zuzüglich 1,8 Millionen Alleinerziehende wohnen demnach zur Miete. Die Linke erhielt auch Antwort darauf, wie viele Familien Wohngeld als staatlichen Zuschuss zur Miete beziehen (etwa 400.000). Durchschnittlich erhalten die Familien 426 Euro Wohngeld, besonders hoch ist die Zahl der betreffenden Familien in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg.
In der Linken spricht man angesichts der so beschriebenen Wohnsituation der Familien, zu der auch eine Erhebung zu beengten Wohnverhältnissen anhand subjektiver Kriterien gehört, von einer „sozialen Katastrophe“. „Die Wohnraumkrise spitzt sich weiter zu. Steigende Kosten für Energie und Lebensmittel verschärfen die ohnehin angespannte Situation vieler Familien und treiben diese an ihre Belastungsgrenzen“, so Gökay Akbulut, familienpolitische Sprecherin der Gruppe. Der „angespannte Wohnungsmarkt führt sogar dazu, dass immer mehr Familien wohnungslos werden“, so Akbulut weiter.
Verlieren tatsächlich immer mehr Familien ihre Mietverträge und werden zu Wohnungslosen? So pauschal kann man das nicht sagen. Das zeigt sich, wenn man die wohnungslosen Familien nach Staatszugehörigkeit differenziert, was weder die Linke-Gruppe in ihrer Anfrage noch die Bundesregierung in ihrer Antwort getan hat.
Zwischen 2022 und 2024 ist die Zahl der untergebrachten wohnungslosen deutschen Personen, die in Alleinerziehenden- oder Paarhaushalten mit Kindern leben, von etwa 10.000 auf etwa 12.300 gestiegen. Wer warum in dieser Personengruppe wohnungslos wurde und nun etwa in einer vom Staat bezahlten Wohnung lebt oder in einer Gemeinschaftsunterkunft, lässt sich aus den Daten nicht ablesen. Gründe können Verlust der Wohnung aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch ein abgebranntes Haus sein – es kann aber auch um Mütter gehen, die sich mit ihren Kindern vor einem gewalttätigen Mann in Sicherheit bringen.
Weit höher ist die Zahl der ausländischen untergebrachten wohnungslosen Familien, die zum größten Teil in Deutschland nie in Wohneigentum oder mit eigenem Mietvertrag gewohnt haben dürfte. Die Personenzahl in dieser Gruppe stieg von etwa 70.000 im Jahr 2022 auf ungefähr 210.000 im Jahr 2024. Laut Bundestamt ist der große Anstieg der Zahlen der untergebrachten wohnungslosen Menschen „vor allem auf Verbesserungen der Datenmeldungen“ seit der Einführung der Statistik vor drei Jahren zurückzuführen. Man sieht auch: Eine große Rolle spielen der Krieg in der Ukraine sowie Flucht und Migration aus Syrien und Afghanistan.
WELT liegen Zahlen des Statistischen Bundesamts vor, die die Anteile verschiedener Nationalitäten an der Gesamtsumme aller untergebrachten Wohnungslosen aufzeigen – also nicht nur diejenigen aus Familienhaushalten. Zum Stichtag 31.01.2024 waren das Deutschland in 439.465 Personen.
61.545 oder 14 Prozent von ihnen sind Deutsche, 377.920 oder 86 Prozent sind Ausländer. Unter der Gesamtsumme der untergebrachten Wohnungslosen stellen ukrainische Staatsangehörige die größte einzelne nationale Gruppe (136.855 oder 31,1 Prozent). Noch vor den Deutschen liegen Syrer (14,7 Prozent), kurz nach den Deutschen folgen Afghanen (10,3 Prozent). Aus dem EU-Ausland kommen 4,7 Prozent der Untergebrachten, aus den Westbalkanstaaten 2,3 Prozent.
Mehr als 200.000 Stromsperren im vergangenen Jahr
Die Linkspartei wollte von der Bundesregierung auch wissen, wie viele Familien im vergangenen Jahr von Strom- und Gassperren betroffen waren. Der Bundesregierung liegen aber keine auf die Familien bezogenen Erkenntnisse vor, sie teilt nur Gesamtsummen mit: 2023 gab es ihr zufolge insgesamt 204.441 Strom- und 28.059 Gassperren. Die Stromsperren sind somit im Vergleich zum letzten Vorkriegsjahr 2021 gesunken, damals lag ihre Zahl bei 235.000; die Zahl der Gassperren ist leicht gestiegen, damals lag sie bei 27.000.
Strom- und Gassperren können Anbieter verhängen, wenn Kunden trotz Mahnung ihre Rechnung nicht bezahlen. Das gilt nicht, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort, „wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt“.
Politisch leitet die Linke aus der von ihr konstatierten „sozialen Katastrophe“ auf dem Wohnungsmarkt unter anderem die Forderung nach einem „bundesweiten Stopp für Mieterhöhungen und Obergrenzen für die Mieten“ ab und will ein Ende der „Spekulation mit Wohnraum an der Börse“.
Hinsichtlich der wohnungslosen untergebrachten Familien verweist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf den sogenannten Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit, angesiedelt beim SPD-geführten Bauministerium. In dessen Rahmen sollen, so dessen Website, zwischen 2022 und 2027 18,15 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau fließen. In der Antwort auf die Linke-Gruppe weist die Bundesregierung zudem darauf hin, dass 2023 „von den Ländern insgesamt 49.591 Wohneinheiten im Bereich des sozialen Wohnungsbaus gefördert“ worden seien, knapp 21 Prozent mehr als im Vorjahr.
Politikredakteur Jan Alexander Casper berichtet für WELT über Innenpolitik.