Dr. Riedl über Anfeindungen – „Das tut schon weh“ | ABC-Z
Berlin. Dr. Matthias Riedl ist Arzt und Ernährungsexperte. Trotz seiner hilfreichen Tipps sieht er sich von vielen Seiten Kritik ausgesetzt.
- Dr. Matthias Riedl ist einer der anerkanntesten Ernährungswissenschaftler Deutschlands
- Mit seinen Erkenntnissen erregt er immer wieder den Zorn von Firmen und Lebensmittelherstellern
- Im Interview verrät er, wie er gegen solche Kritik vorgeht
Die Ernährung ist eines der wichtigsten Instrumente, das uns zur Verfügung steht. Sie kann in der Regel dafür sorgen, dass wir gesund sind und es auch bleiben. In anderen Fällen lassen sich auch Krankheitsverläufe positiv beeinflussen. Obwohl die meisten von uns das wissen, essen wir in der Regel viel zu schlecht. Mehr als jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist übergewichtig.
Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl hat es sich zur Aufgabe gemacht, gesunde Ernährung verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Dafür muss er teilweise heftige Kritik einstecken. Im Interview mit dieser Redaktion erklärt er, wie die Anfeindungen aussehen, wie er es selbst schafft, wirklich gesund zu leben – und was er auf keinen Fall essen würde.
Sie selbst ernähren sich sehr gesund. War das schon immer so?
Dr. Matthias Riedl: Als Student hatte auch ich die Phase, wo man jede neue Tiefkühlpizza ausprobiert hat. Die haben mir aber schnell nicht mehr geschmeckt. Ich bin mit der schleswig–holsteinischen Küche aufgewachsen. In Norddeutschland gibt es viel Kohl und Bohnen und man isst das einfach gerne.
Mit diesen Lebensmitteln beginnt Dr. Riedl den Tag
Kann man sich das gesunde Essen antrainieren?
Riedl: Ich weiß um das sogenannte Mere–Exposure–Konzept. Das besagt, dass man etwas zwanzig bis dreißig Mal essen muss, bevor man es zu einem seiner Lieblingsgerichte machen kann. Man kann sich also grundsätzlich auf das Gemüse–Essen polen. Ich fange morgens mit Gurke, Tomaten und Radieschen an. Im Auto auf dem Weg nach Hause esse gerne ich Bio–Karotten, auf die ich mich dann schon den ganzen Tag richtig freue. Positiver Nebeneffekt: Danach habe ich etwas im Magen, bin nicht ausgehungert und denke zu Hause nicht: Verdammt, jetzt musst du schnell noch kochen. Da ist man schnell genervt und isst vor dem Abendessen schnell noch etwas Falsches.
Welches gesunde Gemüse können Sie gar nicht leiden?
Riedl: Grundsätzlich bin ich mit sehr traditioneller Küche aufgewachsen. Da gab es zum Beispiel erst spät Knoblauch oder Kürbis, der mir zunächst nicht besonders zugesagt hat, weil ich es nicht kannte. Daran habe ich mich mittlerweile aber gewöhnt. Das Einzige, was ich nicht esse, sind Schnecken oder größere Muscheln. Da geht es aber eher um die Konsistenz.
Sie empfehlen ja vor allem den Verzehr von Hülsenfrüchten. Ist ihre Frau manchmal genervt, dass es jeden Tag Linsen oder Bohnen gibt?
Riedl: Das Einzige, was meine Frau nicht mag, sind grüne Bohnen. Die liebe ich ja. Meine Frau ist in England groß geworden und musste wohl zu oft eben diese grünen Bohnen essen. Wir einigen uns dann aber meistens auf Linsen, Kichererbsen oder andere Bohnen.
Warum begeistert sie das Thema Ernährungsmedizin so sehr?
Riedl: Ich bin von Haus aus Diabetologe. Vor gut 30 Jahren waren die Empfehlungen für Diabetiker noch deutlich anders als heute. Damals empfahl man den Patienten noch, ganz normal weiter zu essen, ohne etwas am Lebensstil zu ändern. Es wurde schlichtweg so viel Insulin gespritzt, wie die Betroffenen brauchten. Dadurch sind die Leute aber immer dicker geworden.
Ich habe mir damals gedacht: Das geht so nicht. Die Patienten litten neben dem Übergewicht an Begleiterscheinungen wie Bluthochdruck und Kopfschmerzen. Also haben wir angefangen, Ernährungsberatung als Behandlungsmethode einzusetzen. Man musste den Leuten klarmachen, dass sie sich anders ernähren müssen. Mit Erfolg: Die Patienten konnten teilweise ihren Bluthochdruck senken, die Kopfschmerzen wurden weniger und die Leute fühlten sich deutlich besser. Manche konnten den Diabetes sogar ganz besiegen. Wir haben also gesehen, dass Ernährung als Therapiemaßnahme wirkt und Diabetes heilbar geworden ist. Das war neu in der Szene.
Riedl über Schokolade: So stoppt er sich
Dennoch werden die verschiedenen Arzneien immer ausgefeilter. Braucht es dann trotzdem die Ernährung als Therapieform?
Riedl: Ich sehe Medizin sehr kritisch und folge selten dem Mainstream. Ich verordne nicht gleich das neuste Medikament, sondern erst dann, wenn sich herausstellt, dass es wirklich sicher ist. Wenn meine Patienten mit einem Problem zu mir kommen, versuche ich zunächst, über die Ernährung eine Verbesserung zu erreichen. Die meisten Ärzte, seien es Onkologen, Rheumatologen, Gastroeneterologen oder auch andere Fachbereiche, winken dabei meist ab. Das ist einfach falsch.
Auch das Thema Psyche ist so ein Beispiel: In anderen Ländern wie Kanada oder Frankreich steht bei Depressionen auch eine Ernährungstherapie in den Leitlinien. Die Ernährungsmedizin wird noch von großen Teilen der Medizin ausgeblendet. Das gilt es zu ändern.
Auch interessant
Oft mangelt es uns beim Essen an Disziplin. Wie bleiben Sie selbst stark? Sündigen Sie auch mal ab und zu bei der Ernährung?
Riedl: Den „Hang zur Sünde“ kenne ich natürlich auch. Ich bin da genauso sozialisiert wie alle anderen. Wenn es einem mal nicht gut geht, greift man schnell mal zur Schokolade. Bei mir ist das in stressigen Situationen der Fall, etwa wenn ich die Steuerklärung mache oder Steuerbelege suche. Dann ertappe ich mich dabei, wie ich Schokolade esse.
Das passiert ausschließlich, um meine Stimmung zu manipulieren. Oft kann ich mich aber meist doch noch stoppen, weil sich in mir eine Art Amateurgefühl aufbaut, bei dem ich denke: Matthias, lass das jetzt lieber sein. Grundsätzlich habe ich es aber leichter als andere, weil ich viel Sport mache und nicht zum Dickwerden neige. Und ich weiß, was ich tue.
Riedl: Diese Produkte sorgen für ein Allzeithoch an Erkrankungen
Sind wir einfach zu unwissend oder ungebildet, wenn es um die Ernährung geht?
Riedl: Den Menschen wird oft gesagt: Ihr seid selbst schuld, wenn ihr dick seid. Wenn aber über 50 Prozent der Bevölkerung übergewichtig sind, ist da irgendwo ein Systemfehler drin. Das liegt daran, dass wir in einer ernährungsfeindlichen Umgebung leben. 80 Prozent der Dinge, die man im Supermarkt kaufen kann, sind alles andere als gesund.
Derzeit heißt es: Wer dick ist, bekommt eine Spritze. Wer Bluthochdruck hat, bekommt ein Medikament. Wir müssen viel früher ansetzen. Und eine der Hauptursachen für viele dieser Erkrankungen ist die Ernährung. Es geht darum, der Industrie in die Töpfe zu gucken. Inhaltsleere Produkte mit viel Chemie wie Farbstoffen müssen deutlich eingeschränkt werden. Das belastet sonst die Psyche und sorgt für ein Allzeithoch an Erkrankungen, das wir gerade erleben. Alles nur, weil uns viele wichtige Nährstoffe fehlen. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die eine gesunde Ernährung ermöglichen.
Ausgewogene Ernährung: Tipps von Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl
- Essen Sie fünf Hände voll Obst (2x) und Gemüse (3x) am Tag,
- Nutzen Sie Vollkorn-Produkte,
- Essen sie prä- und probiotische Lebensmittel: Joghurt (auch vegan), Kefir, Buttermilch, Kimchi, Sauerkraut etc.,
- Essen Sie Hülsenfrüchte und Nüsse,
- „Eat the rainbow“: Seien Sie flexibel und abwechslungsreich in ihrer gesunden Lebensmittelauswahl.
Wie könnten solche Regelungen aussehen?
Riedl: Falsche Ernährung ist die Mutter aller Krankheiten. 90 Prozent aller Krankheiten sind selbst verursacht. Das ist bis heute nicht verstanden worden. Wir essen uns um Kopf und Kragen. Den Verbrauchern ist bis heute nicht klar, was Phosphate oder künstliche Süßstoffe alles anstellen können. Die enthaltene Chemie kann man niemandem zumuten. Wir brauchen daher Deklarationspflichten auf den Verpackungen, um die Menschen vor ungesunden Nahrungsmitteln zu schützen. Man muss die Menschen ordentlich aufklären. Wenn das nur durch vorgegebene Einschränkungen geht, ist das so.
Besteuerungen für ungesunde Lebensmittel und Steuerentlastungen für gesunde wären ebenfalls ein guter, reizvoller Ansatz. Derzeit gibt es ein Vakuum an Ernährungsbildung. Wir brauchen Ernährungsberater an Kitas, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.
Auch interessant
Wenn man sich in den sozialen Netzwerken umschaut, fällt auf, dass Ernährung und die Berichterstattung darüber fast schon zum Politikum geworden ist. Warum ist das so?
Riedl: Wenn ich auf meinen Veranstaltungen frage, wer Veganer ist, geht ein spöttisches Raunen durch die Reihen. Veganer werden als aggressiv angesehen, was in einigen Fällen auch der Fall ist, da sie Dinge vorschreiben möchten. Dabei trifft man dann auf Ablehnung, die beiden Gruppen reiben sich gegenseitig auf. Das ist wie im Kinderzimmer: Wenn man sagt: „Räum jetzt dein Zimmer auf!“, funktioniert das meistens nicht.
Grundsätzlich sind die Leute verunsichert, weil es an fundiertem Wissen fehlt. Gleichzeitig gibt es eine Überflutung mit vielen sich widersprechenden Informationen in den Medien oder im Netz. Wenn immer mehr Menschen verunsichert sind, folgen sie religiösen Glaubensrichtungen, ob das Jesus, Buddha oder ein Ernährungs–Influencer ist. Gerade diese Influencer haben einen großen Einfluss auf die Jugend, obwohl sie sehr ungesunde Produkte verkaufen.
Ich habe schon vor zehn Jahren vor einer sogenannten Diätverwirrung gewarnt. Durch Social Media ist das noch viel schlimmer geworden. Wichtig ist, dass wir diesen Fehlinformationen echte, wissenschaftliche Daten entgegensetzen können. Da erwarte ich auch ein Einschreiten seitens der Bundesregierung.
Riedl über Anfeindungen: „Das tut schon weh“
Sie selbst stehen auch gelegentlich in der Kritik. Erleben Sie persönliche Anfeindungen?
Riedl: Kritik an meiner Arbeit und meiner Person gibt es überwiegend von Influencern, die Produkte vertreiben. Das ist zum Beispiel die Protein–Pulver–Community, die sehr hinterher ist, mich zu diskreditieren. Erreicht mich öffentliche Kritik, mache ich in der Regel schnell ein kurzes Video als Antwort. Das bringt mir in der Regel auch neue Follower ein, da die Leute merken, dass es jemanden gibt, der sachlich Stellung bezieht. Den ein oder anderen kann man somit bekehren.
Teilweise müssen Sie sich auch der Kritik von Fachgesellschaften stellen. Wie sehen Sie das?
Riedl: Oft heißt es, dass es Erkrankungen gebe, die nicht durch die Ernährung therapierbar seien, zum Beispiel Endometriose, Migräne oder Diabetes. Die Ignoranz der Fachgesellschaften geht mir manchmal schon ans Herz, wenn zum Beispiel jemand sagt, ich würde zu viel Hoffnung verbreiten, wenn ich auf die Therapiemöglichkeiten durch Ernährung hinweise. Darauf kann ich nur antworten: Ihr macht gar keine Hoffnung, und das ist viel schlimmer.
Oft wird das Gefühl vermittelt, dass man schwere Erkrankungen mit so etwas Lapidarem wie Ernährung nicht verbessern könne. Wenn man das Gegenteil behauptet, steht man schon mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen. Manchmal gesteht mein Gegenüber dann aber auch mal ein, dass ich recht hatte, und das finde ich dann wiederum sehr erbaulich.
Was machen diese Anfeindungen mit Ihnen?
Riedl: Erst hat mich das sehr getroffen. Einerseits kamen Patienten „heimlich“ zu mir, da ihr Hausarzt Ernährungstherapie als Scharlatanerie abgetan hätte. Als ich auf einem internationalen Kongress über die ernährungsmedizinischen Möglichkeiten berichtete, kam im Anschluss jemand auf die Bühne und sagte: Was für ein Schmarrn, das steht doch ganz anders in Lehrbuch. Das tut schon weh.
Bei einer Kardiologenveranstaltung erklärte ich, wie man die Cholesterin–Werte durch Ernährung verbessern kann. Da wurde mir gesagt, dass das ja nichts bringen würde. Im Durchschnitt tritt aber eine Verbesserung von zehn bis 20 Prozent ein. Da es sich um einen Durchschnittswert handelt, heißt das aber auch, dass es bei manchen Patienten eine Verbesserung von 40 Prozent brachte. Man muss es versucht haben.
Sie wollen mehr über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit erfahren? Dr. Matthias Riedl geht im Jahr 2025 mit seinem Programm „Gesunde Ernährung – Einfacher als gedacht“ auf Tour. Dabei spricht er vor allem über den Einfluss der Ernährung auf ein möglichst langes Leben und die eigene Psyche.
Geplant sind folgende Termine: 14. März in Berlin (Urania), 16. März in Köln (Gürzenich) und am 19. Juni in Hamburg (Laeiszhalle). Mehr Informationen und Tickets (ab 34,55 Euro) gibt es unter www.neuland-concerts.com und www.eventim.de.
Ausgewogene Ernährung: Tipps von Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl
- Essen Sie fünf Hände voll Obst (2x) und Gemüse (3x) am Tag,
- Nutzen Sie Vollkorn-Produkte,
- Essen sie prä- und probiotische Lebensmittel: Joghurt (auch vegan), Kefir, Buttermilch, Kimchi, Sauerkraut etc.,
- Essen Sie Hülsenfrüchte und Nüsse,
- „Eat the rainbow“: Seien Sie flexibel und abwechslungsreich in ihrer gesunden Lebensmittelauswahl.