Totesopfer bei innerpalästinensischer Eskalation in Dschenin | ABC-Z
Schwarzer Rauch ist auf Videos über den Hausdächern von Dschenin zu sehen, Salven von Schüssen hallen durch die Gassen des Flüchtlingslagers. Bewohner berichteten am Wochenende von Szenen, wie sie immer wieder vorkommen in der Stadt im Norden des Westjordanlands. Der Unterschied ist: Dieses Mal ist es nicht die israelische Armee, die gegen bewaffnete Palästinenser dort vorgeht – es sind palästinensische Truppen.
Am Samstagmorgen rückten Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Teile des dicht besiedelten Lagers ein. Auf Videos von Überwachungskameras, die im Internet verbreitet wurden, waren vermummte, schwarz gekleidete Spezialkräfte zu sehen, die in Häuser eindrangen. Ein anderes Video zeigt ein brennendes Auto – es soll sich um ein mit einer Bombe präpariertes Fahrzeug handeln, das von Sicherheitskräften gesprengt worden sei.
Zuvor seien Versuche gescheitert, die Bewaffneten zum Aufgeben zu bewegen, hieß es in palästinensischen Berichten. Von mindestens einem Todesopfer war die Rede, ein Anführer der Bewaffneten. Zudem habe es mehr als zwanzig Verwundete gegeben.
Die innerpalästinensische Eskalation hatte sich seit Tagen abgezeichnet. Bewaffnete aus dem Lager hatten Anfang Dezember mehrere PA-Fahrzeuge entwendet. Dies war ein Protest gegen die Festnahme von Mitgliedern des „Palästinensischen Islamischen Dschihads“. In den Folgetagen schaukelte sich die Gewalt hoch. Es gab Schusswechsel, mit Bomben präparierte Autos explodierten. Sicherheitskräfte belagerten das Viertel, in dem mehrere Dutzend Bewaffnete sich verschanzten. Dass Sicherheitskräfte einen unbewaffneten Jugendlichen erschossen, heizte die Lage zusätzlich auf.
In dem Flüchtlingslager leben mehr als 24.000 Menschen, überwiegend Nachkommen von Flüchtlingen aus dem Jahr 1948. Das eng bebaute Viertel gilt als Hochburg des bewaffneten Widerstands gegen die Besatzung. Immer wieder nehmen auch Terroranschläge dort ihren Ausgang. Die PA-Sicherheitskräfte sollen das verhindern, sie arbeiten dafür auch mit der israelischen Armee zusammen. Bei vielen Palästinensern sind sie deswegen unbeliebt.
Zivilisten trauen sich nicht aus ihren Häusern
In einer Mitteilung suchten die Sicherheitskräfte wortreich den Eindruck zu zerstreuen, der Einmarsch richte sich gegen die Bewohner. Vielmehr gehe es darum, das „für seine Widerstandsfähigkeit, seinen Heldenmut und seine Opferbereitschaft“ bekannte Flüchtlingslager „aus den Klauen der Gesetzesbrecher zu befreien, die das tägliche Leben der Bewohner gestört und ihnen das Recht auf freien und sicheren Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen genommen haben“. Zugleich habe man alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, damit Zivilisten nicht unter der Militäraktion leiden und damit das tägliche Leben weitergehen könne.
Zivilisten berichten indessen, dass sie ihre Häuser nicht verlassen konnten, aus Angst, zwischen die Fronten zu geraten. „Seit fünf Uhr morgens wird geschossen“, berichtete ein Lagerbewohner der F.A.Z. am Samstagabend. Die Lage sei „verrückt“, sagte der junge Mann. Am Abend wagten sich Lagerbewohner auf die Straße, um gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte zu protestieren. Bewaffnete seien dabei nicht zu sehen gewesen, hieß es, viele der Demonstranten hätten sich aber mit diesen solidarisiert.
Am Sonntag waren viele Geschäfte in Dschenin geschlossen, nachdem zu einem Generalstreik aufgerufen worden war. Die Gefechte im Flüchtlingslager gingen jedoch weiter. Es sei noch schlimmer als am Tag zuvor, sagte der Lagerbewohner. Er kritisierte die PA-Sicherheitskräfte für ihr rücksichtsloses Vorgehen.
Der Leiter von UNRWA, Philippe Lazzarini, teilte am Sonntag mit, das Hilfswerk habe seine Dienstleistungen in dem Lager den zweiten Tag in Folge aussetzen müssen. Kinder könnten nicht in die Schule gehen und Bewohner keine Gesundheitsversorgung erhalten, schrieb er auf der Plattform X. Lazzarini forderte, alle an den Kämpfen Beteiligten müssten die Sicherheit der Zivilisten garantieren.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Texts war von zwei Todesopfern die Rede. Da bislang nur eins offiziell bestätigt wurde, haben wir diese Angabe geändert.