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„Geht nicht drum, wie hart er getroffen wird“ | ABC-Z

Über vierhundert Spiele hat Dieter Hecking in der Bundesliga hinter sich gebracht. Als Spieler und als Trainer, verteilt auf fünf Jahrzehnte. Als Hecking mit dem Fußball begann, waren die Torpfosten noch eckig und teilweise aus Holz. Er hat den jungen Lothar Matthäus als Mitspieler gehabt und später den ähnlich hochbegabten Kevin de Bruyne trainiert. Die Annahme, Dieter Hecking hätte womöglich alles erlebt in diesem Sport, wäre also nicht gänzlich unberechtigt gewesen.

Nur stellte sie sich am späten Samstagnachmittag als unwahr heraus. Da stand der Trainer des VfL Bochum mit den Händen in den Taschen seiner dicken Winterjacke und schaute seiner Mannschaft bei einem seltenen Schauspiel zu. Leidenschaftslos schoben sich die Spieler den Ball zu, nicht verfolgt von ebenso wenig engagierten Berlinern.

Die Nachspielzeit des Bundesliga-Spiels zwischen Union Berlin und dem VfL Bochum verlief als Nichtangriffspakt, so wie einst die Begegnung zwischen der TSG Hoffenheim und dem FC Bayern München, in der beide Mannschaften die Zeit herunterspielten, nachdem im Münchner Block ein Plakat gezeigt wurde, dass den Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp diffamierte. Diesmal ging es darum, ein Spiel zu Ende zu bringen, dass die Bochumer aus guten Gründen eigentlich nicht mehr beenden wollten.

„Für uns war klar, wir machen das nur unter Protest“

Ein Feuerzeug, geworfen aus dem Berliner Fanblock, hatte Bochums Torwart Patrick Drewes in den Schlussminuten beim Stand von 1:1 am Kopf getroffen. Schiedsrichter Martin Petersen schickte beide Mannschaften anschließend vom Feld, wofür er vom Deutschen Fußball-Bund viel Lob erhielt. „Er hat nach dem Vorfall richtigerweise beide Teams zunächst einmal in die Kabinen geschickt, um dem Ordnungspersonal die Gelegenheit zu geben, die Situation im Stadion zu beruhigen. Anschließend hat er sich auch mit der Polizei und dem Sicherheitsbeauftragten kurzgeschlossen, um deren Einschätzung zur Lage in Erfahrung zu bringen. Auch dieses Vorgehen war richtig und notwendig“, heißt es in einer Stellungnahme.

Was den Umgang mit Wurfgeschossen angeht, hat Petersen Erfahrung. Im August 2015 war er selbst von einem Feuerzeug am Kopf getroffen worden. Das Pokalspiel zwischen dem VfL Osnabrück und RB Leipzig brach er daraufhin ab, statt der zum Zeitpunkt des Abbruchs in Führung liegenden Osnabrücker zog Leipzig durch ein Urteil des Sportgerichts in die nächste Runde ein.

Ein Abbruch stand auch dieses Mal im Raum. Die Bochumer wollten auf Anraten eines Justiziars zunächst nicht auf den Platz zurückkehren, weil sich Torwart Drewes nicht in der Lage sah, weiterzuspielen. Ein klarer Nachteil in vielerlei Hinsicht, auch wenn nur noch wenige Minuten zu spielen waren. Bochum hatte bereits alle Wechselmöglichkeiten aufgebraucht und befand sich wegen einer frühen roten Karte gegen Koji Miyoshi ohnehin in Unterzahl. Der VfL verspürte folglich wenig Lust, mit zwei Mann weniger und einem Feldspieler im Tor aufs Spielfeld zurückzukehren.

„Für uns war klar, wir machen das nur unter Protest“, sagte Dieter Hecking später, der sich zuvor ausführlich mit seinem Berliner Kollegen Bo Svensson und Schiedsrichter Petersen besprochen hatte. Hecking stimmte einer Fortsetzung nur unter der Bedingung zu, dass es keine ernsthaften Angriffe seitens der Berliner mehr geben kann. So kam es zu der besonderen Nachspielzeit.

Ob das Spiel tatsächlich unentschieden gewertet wird, ist fraglich. Bochum kündigte Protest an. „Wir sind der Meinung, dass das Spiel nach Regelwerk hätte abgebrochen werden müssen. Wir hatten unser Wechselkontingent ausgeschöpft, der sportliche Nachteil war schon gegeben“, sagte Geschäftsführer Ilja Kaenzig.

Pfiffe und Kritik in den sozialen Medien

Es ist zu erwarten, dass der VfL vom Sportgericht mit drei Punkten bedacht wird. Das wäre einerseits konsequent, da der später überführte Täter dem Berliner Lager zuzuordnen ist und der Wurf aus dem dortigen Fanblock kam. Auf der anderen Seite durften Vereine wie Holstein Kiel, Heidenheim oder der FC St. Pauli, die wie Bochum um den Klassenerhalt kämpfen, darüber wenig begeistert sein. Union war in der Schlussphase klar überlegen, mit einem Mann mehr drängten die Berliner auf den Siegtreffer.

Bochum beschränkte sich in dieser Phase fast ausschließlich aufs Verteidigen und versuchte den Berliner Spielfluss mit allen Mitteln zu brechen. Kurz bevor er am Kopf getroffen wurde, handelte sich Torwart Patrick Drewes eine gelbe Karte wegen Zeitspiels ein. Mit dem Punktgewinn schien der VfL zufrieden, allein schon weil die Mannschaft leidenschaftlich 77 Minuten lang in Unterzahl verteidigt hatte. Da fühlte sich das 1:1 nach Toren von Ibrahima Sissoko und Benedict Hollerbach wie ein Sieg an.

Ganz anders sah es auf Seiten des 1. FC Union aus. Bei Teilen des Berliner Publikums herrschte wenig Verständnis für dieses Ende. Es gab Pfiffe, in den sozialen Medien warfen später einige dem Bochumer Torwart niedere Absichten vor, weil der keine äußerlich sichtbaren Verletzungen davongetragen und nach dem Wurf noch aktiv das Feuerzeug aufgehoben hatte. „Das kann ja nicht der Maßstab sein, ob jemand verletzt, schwer verletzt, ohnmächtig oder sonst was ist“, sagte Ilja Kaenzig.

Auch Stürmer Philipp Hofmann, der während der kuriosen Nachspielzeit das Bochumer Tor hütete, verteidigte seinen Mitspieler. „Es geht nicht darum, wie hart er getroffen wird. Das gehört sich einfach nicht und hier wurde konsequent gehandelt“, sagte Hofmann. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Torwart Patrick Drewes auf dem Weg ins Krankenhaus, da er über Beschwerden klagte. Ob sein Einsatz am kommenden Wochenende gegen Heidenheim gefährdet ist, ließ sich am Sonntag nicht mit Gewissheit sagen.

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