Kultur

Diktatur in Syrien: Wenn das Verborgene ans Licht kommt | ABC-Z

Es sind wiederkehrende Bilder,
wenn Regime fallen. Man sieht Rebellen, Demonstrantinnen, Bürger in den
Gemächern des einstigen Diktators, man sieht die Befreiten aus den
Foltergefängnissen, die Gefängnisse selbst, die Geheimdienstzentralen. Man
sieht allgemein, neben den Jubelszenen auf den Straßen einer Hauptstadt, diesen
Moment, wo das Verborgene – Paläste und Knäste – plötzlich grell offenbar wird.
Ikonisch gar: die Schuhe der Imelda Marcos, der Papierwust der Stasi, die
güldene Habe Muammar al-Gaddafis, die Keller der Securitate, der private Vergnügungspark Viktor Janukowitschs. Und nun eben die Badehose Baschar al-Assads sowie die
grauenhaften Aufnahmen aus dem Gefängnis von Saidnaja. Gerade dieser Kontrast
birgt eine unumstößliche Wahrheit: Es war falsch, was war. Und was auch immer
nun darauf folgt, es ist richtig, dass es vorbei ist.

Über diese Wahrheit hinaus gibt
es allerdings recht wenige. Die Bilder verweisen in einer merkwürdigen
Tautologie auf einen Moment in der Geschichte, der bereits vorbei ist, wenn er
sichtbar wird. Darin liegt in erster Linie die Versicherung, dass es
tatsächlich so war wie vermutet. Auch das ist schließlich im Zeitalter dieser
Bilder längst gelernt: Wo man sie überhaupt nicht sieht, weil ein autoritärer
Staat Zugänge erfolgreich kontrolliert, liegt der Verdacht nahe, dass es dort besonders
schlimm zugeht, obszön, grausam und ungerecht. Doch führt das jetzt zu
irgendeinem dringlichen politischen Handeln – gegenüber China, Ägypten,
Saudi-Arabien, dem Iran, Russland gar? Führt es auch, um hier nicht wohlfeil
Verantwortung allein an die Exekutive abzuschieben, zu besonderer Empörung, zu öffentlichem
Handlungsdruck jenseits des rechten Reflexes, in jedes Land abschieben zu
wollen, in dem gerade eine Art Ruhe zu herrschen scheint?

Immerhin das führen die Bilder
nach Assads Sturz noch einmal so aktuell wie deutlich vor Augen: Ruhe ist kein
hinreichendes Kriterium für Sicherheit. Ein Land – oder zumindest Teile davon –
können noch so frei von akuten Kriegshandlungen, von Zusammenstößen und offener
oder offen kolportierter Polizeigewalt sein, es bleibt doch kreuzgefährlich für
die Bevölkerung, bleibt im Zweifel ein himmelschreiendes Unrechtsregime, in dem
die einen auf dem Rücken der anderen Macht und Pracht entfalten. Doch folgern
wir jetzt daraus, dass wir gerade dort genau hinschauen, im Zweifel auch
intervenieren, wo diese Friedhofsform der Ruhe herrscht, die zugleich
geopolitisch Stabilität verspricht? Im Iran einmarschieren, Ägypten
sanktionieren, China skandalisieren? Wohl kaum. Wir sind ja doch, gerade in der
Polykrise, froh über jede Weltregion, die keine Bilder produziert, oder wenn,
dann eben erst in dem Moment, wo diese Bilder keinen Handlungsimperativ mehr
beinhalten, sondern nur Beglaubigung des unproduktiv Gewussten.

So sind dann emotional weltweit
aufwühlende Bilder, die drastisch die Unruhe unter der zu Ende gegangenen Ruhe
einer Diktatur zeigen, politisch erstaunlich wirkungslos. Und manchmal sind sie
auch einfach sehr redundant: Spätestens seit den heißen Phasen des syrischen
Bürgerkriegs nach 2011 gab es besonders wenig Zweifel an Baschar al-Assads
herausragender Grausamkeit. Wir erfahren also, zynisch gesprochen, überhaupt nichts
Neues. Und demzufolge müssen unsere Regierungen des Westens, abermals recht
zynisch gesprochen, auch ihr Handeln nicht neu justieren, weder gegenüber dem
Iran noch gegenüber China, noch gegenüber irgendeinem anderen Land, über dessen
Verborgenes wir irgendwann, wenn uns Umsturzbilder von dort erreichen, bereits viel
gewusst haben werden. Alles andere können wir, in diesen innen- wie
außenpolitisch ohnehin unruhigen Zeiten, auch getrost als Überforderung abtun.

Die Ruhe droht an vielen Orten

Die Frage ist dann noch, wann der
Verweis auf die eigene Überforderung (endgültig) in moralische und
geostrategische Selbstaufgabe mündet. Beunruhigen
sollte uns in dieser Hinsicht der Moment, in dem diese grausame Ruhe überhaupt erst einzukehren droht in ein
Land. Gerade droht sie immer größeren Teilen der Ukraine, sie droht
Georgien, sie droht perspektivisch Taiwan. Und es gibt und es schmerzen Orte,
um die es verdächtig ruhig geworden ist, Hongkong etwa oder Belarus.

In diesem Sinn ist Ruhe nicht nur
kein hinreichendes Kriterium für Sicherheit, sie ist sogar immer seltener ein
gutes Zeichen. Schon droht in den USA die Ruhe, die entsteht, wenn Checks and
Balances brechen und ein paar Milliardäre Regierung als Geschäft hinter
verschlossenen Türen betreiben. Auch Deutschland droht viel Ruhe – etwa wo sich
demokratische Politikerinnen und Medien aus dem lokalen Geschehen zurückziehen.
Auch hier driftet absehbar immer mehr ins Verborgene, wenn auch natürlich
ungleich weniger dramatisch als in einer grausamen Diktatur.

Das aber beglaubigen die Bilder aus Syrien weit über
Syrien hinaus: dass man sich vor dem Verborgenen hüten sollte. Am besten, bevor
es in der Welt ist.

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