AfD in Thüringen: Verfassungsschutz-Chef Stephan Kramer unter Druck | ABC-Z
Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes wird von Vorwürfen aus der Vergangenheit eingeholt. Im Fokus steht unter anderem die Einstufung der AfD in dem Bundesland als „gesichert rechtsextremistisch“. Jetzt zieht die Partei die Debatte in den Landtag.
Nach mehreren Medienberichten steht der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer unter Druck. Das ist der aktuelle Stand:
Die Thüringer AfD will einen Untersuchungsausschuss zum Landesverfassungsschutz und seinem Präsidenten Kramer einsetzen. Das kündigte AfD-Fraktionschef Björn Höcke im Landtag in Erfurt an. Höcke bezeichnete Kramer als „politischen Agitator“, der sich auf einem „Kriegspfad gegen die AfD“ befinde. Der Behördenleiter sei in einen „politischen Aktivismus“ verfallen. Die AfD hat mit 32 von 88 Abgeordneten genügend Stimmen, um einen Untersuchungsausschuss selbst auf den Weg zu bringen.
Hintergrund sind mehrere Medienberichte. So hatte das Onlineportal „Apollo News“ berichtet, bei der Einstufung der Thüringer AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ im Jahr 2021 habe die Behörde ein internes Ergänzungsgutachten außer Acht gelassen, das möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
Der Autor des Gutachtens soll später beim Personalreferat des Innenministeriums angegeben haben, Kramer habe ihm körperliche Gewalt angedroht. Dieser Vorwurf ist nach Informationen der „Thüringer Allgemeinen“ bisher aber im Verfassungsschutz nie bekannt geworden.
Zuvor soll es bereits bei der Einstufung des AfD-Landesverbands als sogenannter Prüffall interne Streitigkeiten gegeben haben, wie damals die „Thüringer Allgemeine“ im Jahr 2019 recherchierte. Kramer habe demnach seine eigenen Fachleute in dem Prozess „außen vor“ gelassen, wie es in internen E-Mails hieß. Zudem seien „falsche und ungenaue Informationen“ verwendet worden.
Der Staatssekretär im Thüringer Innenministerium, Udo Götze, betonte am Freitag im Landtag, die Entscheidungen des Verfassungsschutzes seien „nicht infolge parteipolitischer Vorgaben getroffen werden“. Maßgeblich für die Einstufung als „gesichert rechtsextremistisch“ seien Verstöße gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip gewesen. Gegen die Einstufung ist die AfD bis heute nicht gerichtlich vorgegangen. Stattdessen forderte sie, mehrere Passagen im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2021 zu streichen, scheiterte mit einer entsprechenden Klage jedoch vor dem Verwaltungsgericht Weimar.
Die Vorwürfe gegen Verfassungsschutz-Chef Kramer sind zum Teil schon länger bekannt, setzen ihn nun aber erneut unter Druck. Auch WELT recherchiert seit Jahren zu den Vorgängen und hat mehrere Vorfälle aufgedeckt, die aktuell erneut in den Medien thematisiert werden.
Im Februar 2019 etwa berichtete diese Redaktion über ein Foto, das Kramer mit Mitgliedern der russischen Rockerbande „Nachtwölfe“ zeigte. Damals wurde laut WELT-Recherchen eine Sicherheitsüberprüfung Kramers veranlasst. Kramer dementierte auf Anfrage, weitere Kontakte zu der russischen Gruppe gehabt zu haben.
Disziplinarverfahren gegen Kramer wurde eingestellt
In der Folge kam es zu heftigen Verwerfungen im Landesamt für Verfassungsschutz. Diese resultierten laut „Apollo News“ unter anderem in einem Disziplinarverfahren gegen Kramer wegen Geheimnisverrats. Dabei ging es um den Vorwurf, dass der Amtspräsident geheime Informationen an zwei MDR-Journalisten weitergegeben habe. Laut WELT-Informationen wurde dieses Verfahren eingestellt. Das berichtet auch die „Thüringer Allgemeine“.
Die Vorfälle illustrieren jedoch – wie auch weitere interne Nachrichten, die WELT vorliegen –, wie gespalten die Behörde seit Jahren ist. Zuletzt kam es im Verfassungsschutz und im Thüringer Innenministerium erneut zu Diskussion um ein Gutachten, das die AfD als „aggressiv-kämpferisch“ bewertet. WELT berichtete im Juli als Erstes und mehrfach über das Dokument. In Thüringer Sicherheitskreisen gibt es Stimmen, die die darin zusammengetragenen Belege für zu wenig substanziell halten.
Mehrere von dieser Redaktion befragte Staatsrechtler kamen zu unterschiedlichen Einschätzungen des Papiers. Das Thüringer Innenministerium teilte auf Anfrage von WELT mit, die „behördeninterne Bewertung“ der darin aufgeworfenen Fragestellung dauere an. Im Kern ging es in dem Gutachten um die Frage, ob AfD-Mitgliedern aufgrund eines „aggressiv-kämpferischen“ Charakters des Landesverbandes der Partei der Waffenbesitz untersagt werden kann.
Kramer hat sich stets offensiv gegen die AfD positioniert. Im Gespräch mit WELT AM SONNTAG sagte er im Juli: „Wenn eine rechtsextremistische Partei durch demokratische Wahlen in Regierungsverantwortung kommt, ist für mich als Bürger und Jude eine rote Linie erreicht. Dann werde ich meine Heimat, die Bundesrepublik Deutschland, verlassen.“
lep/gub