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Russlands Kampf um die Stützpunkte in Syrien | ABC-Z

Fahnenwechsel in Russland: Es schneit leicht, als eine Gruppe Männer am Montag an Syriens Botschaft in Moskau die Flagge der neuen Machthaber hisst. Grüner Streifen oben, schwarzer unten, dazwischen ein weißer Streifen mit drei roten Sternen. Die alte Flagge des Assad-Regimes war am Vorabend entfernt worden, noch an dem Tag, an dem das Regime nach 54 Jahren stürzte. Für Russland ist das wohl das Ende einer Partner-, einer Waffenbrüderschaft. Aber die Staatsmedien berichten nüchtern über den Fahnenwechsel und heben hervor, die Botschaft arbeite wie gewöhnlich.

Auch andere Auslandsvertretungen Syriens tauschten die Fahne gleich am Montag. Doch in Russland fällt zugleich auf, wie Syriens Botschafter im Land gleichsam im Handumdrehen mit Baschar al-Assad bricht, dem er jahrelang zuarbeitete, und sich stattdessen den neuen Herren von Damaskus andient – im Paarlauf mit Präsident Wladimir Putins Macht- und Medienapparat. Denn beiden geht es um elementare Interessen.

Aus „Terroristen“ wurde die bewaffnete Opposition

Der 68 Jahre alte Botschafter mag hoffen, ebenso in Russland Schutz zu finden wie nun Assad. Baschar al-Dschaafari, so heißt der Karrierediplomat, ist erst seit gut zwei Jahren auf dem Moskauer Posten. Von 2006 bis 2020 war Dschaafari als Syriens Vertreter bei den Vereinten Nationen ein prominentes Gesicht des Regimes. Hochgewachsen, vielsprachig, mit Brille und Bart, Anzug und Krawatte, bestand Dschaafaris Arbeit darin, zu bestreiten, dass Assad seine Gegner und Zivilisten mit Giftgas töten, aushungern, auf Märkten und in Krankenhäusern bombardieren und selbst Kinder zu Tode foltern ließ. Für Assad, Dschaafari und auch Putin waren alle Gegner „Terroristen“, und im Kampf gegen diese, so die Logik, war jedes Mittel erlaubt.

Jetzt soll alles anders sein. „Der Fall des korrupten Systems innerhalb weniger Tage bezeugt seine Unpopularität und den Mangel an Unterstützung in der Gesellschaft und der Armee“, sagt Dscha­afari in einem am Montag veröffentlichten Interview. „Die schändliche und erniedrigende Flucht des Kopfes dieses Systems im Schutze der Nacht, ohne jeden Sinn für die nationale Verantwortung vor dem Land, bestätigt die Notwendigkeit für die Änderungen, die eingetreten sind“, sagt Dschaafari über Assad und spricht von einer „neuen Ära, die Hoffnung auf friedlichen Wandel braucht“.

Dass es bei dem Auftritt um mehr geht als um Winkelzüge eines Wendehalses, zeigt, wo sich Dschaafari „exklusiv“ äußert: im arabischen Dienst des russischen Staatssenders RT. Den kontrolliert der Kreml, und dem kommt es jetzt darauf an, Putins Interessen in Syrien zu retten.

„Wir unterhalten Kontakte zu allen politischen Kräften, die sich jetzt in Syrien befinden“, sagt die Sprecherin des Außenministeriums am Mittwoch. Noch am Samstag hatte Außenminister Sergej Lawrow in alter Rhetorik geäußert, man dürfe es „Terroristen nicht erlauben, Land in Syrien zu erobern“. Aber schon seit Sonntag spricht Putins Personal von einer „Opposition“, an deren robusten Charakter allenfalls der Zusatz „bewaffnet“ erinnert: russische Zeitenwende.

Moskau will über die Fortdauer der Truppenpräsenz sprechen

Dahinter steht allem voran das Interesse Russlands an seinem Flottenstützpunkt in Tartus und an seiner Luftwaffenbasis Hmeimim, die beide in der Provinz Latakia an der Mittelmeerküste liegen. Nach der „Stabilisierung der Situation“ werde Russland mit „der neuen Regierung“ über die Fortdauer der Truppenpräsenz sprechen, sagt Putins Sprecher am Montag. „Kontakte“ unterhalte man bereits, und die Sicherheit dieser Basen sowie der Botschaft in Damaskus habe Priorität, fügt Dmitrij Peskow am Mittwoch hinzu.

Der Kreml hat auch verbreitet, dass die neuen Machthaber diese Sicherheit garantiert hätten. Doch Hmeimim war 2015 aufgebaut worden, um die Leute zu besiegen, die jetzt die Macht in Damaskus übernommen haben. Vor Assads Sturz hat die russische Luftwaffe von dort aus noch versucht, den Vormarsch der Aufständischen zu bremsen, und regelmäßig mitgeteilt, „Terroristen“ in jeweils dreistelliger Zahl „vernichtet“ zu haben.

„Was die Militärbasen angeht, ist das eine souveräne Entscheidung des syrischen Staates“, sagt jetzt der frühere Chefunterhändler der syrischen Opposition Muhammad Alloush der russischen Staatsnachrichtenagentur TASS. Diese Frage werde „unter dem Gesichtspunkt der Vorteile und Interessen des syrischen Volkes und auch des Interesses Russlands entschieden“. Was das heißt, ist Verhandlungssache.

Die Stützpunkte an der Mittelmeerküste sind kaum zu ersetzen

Vermutet wird, dass Moskau Damaskus Geld, Rohstoffe oder auch Söldner anbietet. Was, wenn die Sieger den Fortbestand der Stützpunkte daran knüpften, dass Putin ihnen Assad ausliefert? Unter den zahlreichen Toten von Putins Bombenkampagne für Assad war Ende 2015 Alloushs Cousin Zahran Alloush, ein mächtiger Rebellenführer. Seinerzeit forderte Muhammad Alloush, Assad zu verurteilen und hinzurichten, wofür ihn Dschaafari, damals Vertreter Syriens bei den UN, als „Terroristen“ bezeichnete. Jetzt nennt die TASS Alloush einen „renommierten syrischen Politiker“.

Putin braucht die Basen unbedingt, um Macht in den Nahen Osten und in den Mittelmeerraum zu projizieren, um die Südostflanke der NATO zu bedrohen, und für die russischen Aktivitäten in Afrika, die wiederum eine zentrale Rolle in seiner Inszenierung als Anführer eines „globalen Südens“ spielen. Ohne Hmeimim und Tartus könnte es für das Afrikakorps, den vom russischen Verteidigungsministerium kontrollierten Nachfolger der Wagner-Söldnergruppe, eng werden.

Putin zieht Brandmauern zum Verlierer

Die Söldner bleiben auch nach dem Aufstand und Tod des früheren Wagner-Anführers Jewgenij Prigoschin 2023 die Säule von Russlands Afrika-Engagement. Alle Kämpfer, Ausbilder, Munition, das gesamte militärische und sonstige Gerät gelangen über die Stützpunkte in Syrien zu den Einsatzorten: Direkt von Russland nach West- und Zentralafrika zu fliegen ist wegen der weiten Strecke nicht möglich. Bisher macht ein russisches Transportflugzeug daher einen Tankstopp in Hmeimim und fliegt weiter nach Ostlibyen. Dann klappere die Maschine alle Söldnerstandorte ab, von Bamako in Mali über Ouagadougou in Burkina Faso bis Bangui in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) und nach Sudan, sagt Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako. In Tartus landen per Schiff weitere Lieferungen, die auf die Flugzeuge verladen werden.

Zunächst waren die Söldner in Libyen, Sudan und der ZAR im Einsatz. Einen Schub brachte dann die Putsch-Serie in den drei Sahel-Staaten, in Mali, Burkina Faso und Niger, wo die neuen Militärregierungen Partner suchten und sich von der früheren Kolonialmacht Frankreich abwandten. Nach dem erzwungenen Abzug der französischen Soldaten und der UN-Friedensmission MINUSMA gaben die Vereinigten Staaten im August ihre letzte Militärbasis in Niger auf. „Die afrikanischen Länder haben sich verkalkuliert, sie haben Russland als sehr stabilen Partner betrachtet, aber vermutlich nicht die hohe Abhängigkeit von Syrien bedacht“, sagt Laessing. So habe nicht nur Moskau ein Problem.

Aktuelle Situation: Luftaufnahme des Flugfelds in der Provinz Latakia
Aktuelle Situation: Luftaufnahme des Flugfelds in der Provinz LatakiaReuters

Denn Alternativen zu den Stützpunkten hat Moskau faktisch nicht. Vereinbarungen mit dem ostlibyschen Machthaber Chalifa Haftar haben sich als schwierig erwiesen. Zudem ist auch diese Flugstrecke weit, sodass Transportflugzeuge aus Russland leer dorthin fliegen müssten. In Sudan, einem weiteren potentiellen Ausweichort, herrscht Krieg. In allen Szenarien wären die Kosten weitaus höher als heute. Fraglich wäre, ob die afrikanischen Militärregierungen die Söldner noch bezahlen könnten. Wie sehr sie unter Druck stehen, zeigt sich besonders in Mali, wo die Bemühungen, höhere Einnahmen aus dem Goldgeschäft zu erzielen, jüngst zu Verhaftungen von Managern westlicher Förderer und einem Haftbefehl gegen den Vorstandschef eines kanadischen Konzerns führten.

Für Putin gilt es jetzt auch, Brandmauern zum Verlierer zu ziehen. Zwar ist eine Fehleranalyse in Russland für ihn nicht vorgesehen. Aber allzu klar ist die Anbindung an Assad, zu offensichtlich die Überlastung seines Militärs in der Ukra­ine. „Wenn die Terroristen noch einmal den Kopf erheben, dann werden wir ihnen Schläge versetzen, die sie noch nie gesehen haben“, hatte Putin Ende 2017 in Hmeimim gesagt.

Aber vor Assads Sturz wurde geschätzt, dass die Zahl der Kampfflugzeuge und -hubschrauber in Hmeimim von 80 auf 15 bis 20 zurückgegangen sei. Putins Agenten mussten Assad auf die Basis bringen und von dort ausfliegen, berichtet der Mediendienst Bloomberg am Mittwoch, und dem Präsidenten erklären, warum sie die Gefahr nicht eher bemerkt hätten. Russische Kriegsblogger klagen auf Telegram, dass in der Ukraine gescheiterte Generäle nach Syrien geschickt wurden. Peskow wird am Mittwoch gefragt, ob die „Spezialoperation“ gegen die Ukraine Russlands Position im Nahen Osten geschwächt habe. Man habe Syrien „seinerzeit geholfen, mit Terroristen fertig zu werden“, und die „Mission erfüllt“, sagt Peskow. Danach habe „Assads Führung“ das Land „leider“ in die heutige Lage gebracht.

Assad wird in den Staatsmedien als Schuldiger präsentiert, auch wegen Korruption und Vetternwirtschaft. Putin selbst habe entschieden, Assad Asyl zu gewähren, sagt Peskow am Montag. Wo Assad sei, könne er nicht sagen, ein Treffen mit Putin sei nicht vorgesehen.

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