Katja Wolf über die Brombeer-Koalition: „Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“ | ABC-Z
taz: Frau Wolf, mögen Sie politische Konflikte?
Katja Wolf: Wer mag Konflikte? Ich zähle mich nicht zu jenen, die Konflikte suchen. Aber wenn sie anstehen, muss man sie ausfechten.
taz: Sahra Wagenknecht hat auf dem Parteitag am Wochenende gesagt, dass es jetzt gelte, sich in der Koalition mit der CDU und der SPD durchzusetzen, das werde nicht immer „konfliktfrei“. Welche Auseinandersetzungen erwarten Sie?
Wolf: In Koalitionen ist die erste Auseinandersetzung normalerweise immer über den Haushalt – die Verteilung von zu geringen Ressourcen. Das ist Konfliktpunkt Nummer eins.
Im Interview: Katja Wolf
Jahrgang 1976, ist gebürtige Erfurterin und diplomierte Sozialpädagogin. Wolf war bis zur Kommunalwahl 2024 für die Linke zwölf Jahre lang Bürgermeisterin von Eisenach. Davor saß sie von 1999 bis 2012 für die PDS/Linke im Thüringer Landtag. Ende Februar trat sie bei der Linken aus und bei der Wagenknecht-Partei ein. Sie zog über die Landesliste in den Thüringer Landtag ein und ist nun Vorsitzende der BSW-Fraktion. Als Bürgermeisterin verweigerte sie bei der Verpflichtung von Gemeinderatsmitgliedern aus NPD und AfD den Handschlag.
taz: In der Präambel zeigt sich auch ein Konfliktpunkt beim Angriffskrieg auf die Ukraine. Alle drei Parteien wollen eine diplomatische Lösung, aber wie sie die herbeiführen, da sind sie uneins. Warum haben Sie das nicht ausgefochten?
Wolf: Wir sind in Thüringen schon verfassungsmäßig nicht für Außenpolitik zuständig. Unsere Partner haben darauf hingewiesen, dass sie keine Präambel schreiben, die verfassungsrechtlich angreifbar ist. Es gibt das klare Bekenntnis, im Rahmen der Möglichkeiten einer Landesregierung zu diplomatischen Lösungen beizutragen. Ich will uns nicht kleiner machen, als wir sind. Aber wir haben in Thüringen keine außenpolitische Verantwortung. Außerdem soll ein Koalitionsvertrag geprägt sein von Gemeinsamkeiten.
taz: Zeigt das, wie es in der Koalition weitergeht? Sie versprechen im Koalitionsvertrag neue Lehrer:innen und Polizist:innen und wollen die lahmende Wirtschaft in Thüringen ankurbeln. Aber im Haushalt ist kaum Geld da. Einigen Sie sich dann auch darauf, dass Sie sich nicht einigen können?
Wolf: Bei Haushaltsverhandlungen muss man sich immer einigen. Am Ende muss eine Zahl dastehen.
taz: Und das kriegen Sie auch hin?
Wolf: Ich glaube nicht, dass Zweifel bestehen, dass wir kompromissfähig sind in dieser Koalition.
taz: Sahra Wagenknecht hat lange Kritik an Ihrem Sondierungspapier geäußert. Die Formulierungen zum Frieden seien zu vage gewesen, eine Position gegen Waffenlieferungen und US-Raketen habe gefehlt. Am Ende aber hat sie auf Ihrem Parteitag für den Koalitionsvertrag geworben. Wie haben Sie sich gegen sie durchgesetzt?
Wolf: Ich musste mich gar nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen. Wir haben ihr frühzeitig den Endstand des Koalitionspapiers zur Kenntnis gegeben. Sie hat festgestellt, dass ihre Kritikpunkte hineinverhandelt wurden. Es war aus meiner Sicht vernünftig, dass der Bundesvorstand klare Erwartungen an uns formuliert hat.
taz: Gibt es vom Bundesvorstand auch Vorgaben für die Haushaltsverhandlungen?
Wolf: Nein. Vom Bundesvorstand gab es keine „Vorgaben“. Der Beschluss des Bundesvorstands war eine Erwartungshaltung, die ich verstanden habe. Im Besonderen bei einer der ersten Koalitionen, die das BSW anstrebt.
taz: „Erwartungshaltung“ klingt nach so wenig. Mitglieder des Bundesvorstands haben Sie öffentlich hart kritisiert.
Wolf: Das muss man aushalten.
taz: Wie fanden Sie es, dass der Bundesvorstand 21 Mitglieder in Ihrem Landesverband aufgenommen hat, ohne das mit Ihnen abzusprechen?
Wolf: Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen.
taz: Und das muss man aushalten?
Wolf: In Anbetracht dessen, dass die Satzung an der Stelle relativ eindeutig ist, haben wir das intern diskutiert. Wir hatten hinterher die Chance, als Landesverband Mitglieder aufzunehmen. Damit sind wir einer der größten Landesverbände, auf Augenhöhe mit Nordrhein-Westfalen. Das ist ja auch schon mal was. Wir sind an dem Punkt, dass wir sagen: Das war keine rühmliche Geschichte, aber Haken dran.
taz: Wird sich Wagenknecht aus der Landesregierung raushalten?
Wolf: Sie wird sich nicht raushalten, weil Sahra Wagenknecht weiterhin von uns eingebunden wird. Wo es wichtig ist, Punkte mit Berlin abzustimmen, werden wir das tun.
taz: Was halten Sie vom Personenkult?
Wolf: Das ist eine Suggestivfrage, die ein bisschen billig ist. Werden Sie jemanden finden, der Ihnen antwortet: „Personenkult finde ich super“?
taz: Das weiß ich nicht.
Wolf: Sie unterstellen, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht Personenkult betreiben würde.
taz: Das haben Sie jetzt gesagt.
Wolf: Weder ich möchte, dass um meine Person Personenkult passiert, noch nehme ich bei Sahra Wagenknecht die Liebe zum Personenkult wahr.
taz: Aber gibt es im BSW eine Tendenz zum Personenkult? Der Parteitag in Thüringen wurde unterbrochen, als die Vorsitzende ankam, um ihr einen schönen Empfang zu bereiten.
Wolf: Sahra Wagenknecht ist eine starke Frau mit einer enormen Ausstrahlung. Dass es viele Menschen gibt, die sie begeistern kann, finde ich gut. Das ist eine Stärke.
taz: In Ihrer Rede auf dem Parteitag haben Sie Wagenknecht für ihren Mut, ihre Klugheit und ihre Ratschläge gedankt. Nach allen Konflikten und dem, was Sie aushalten mussten.
Wolf: Sahra Wagenknecht hat sich in den letzten Wochen intensiv in Thüringen eingebracht. Ich finde es gut, dass nicht alles wie geschnitten Brot durchrutscht, sondern wir inhaltlich gestritten haben, obwohl es zwischendurch anstrengend war.
taz: Diese Woche wählt der Thüringer Landtag den Ministerpräsidenten in Thüringen. Ihre Koalition hat nur 44 von 88 Stimmen, keine absolute Mehrheit. Nun könnte Mario Voigt mit Stimmen der AfD gewählt werden. Wie würden Sie das bewerten?
Wolf: Mario Vogt wird im dritten Wahlgang mit übergroßer Wahrscheinlichkeit gewählt. Und das ist für mich ein maßgeblicher Unterschied zur Kemmerich-Wahl von 2020. Der Landtag hat aus dem Kemmerich-Debakel gelernt. Jetzt ist die Frage: Auf welche Spielchen der AfD lasse ich mich ein? Die AfD mit ihren etwas mehr als 30 Prozent darf nicht zum Scharfrichter des Landtags werden. Das Ziel ist, dass Mario Voigt ohne AfD-Stimmen gewählt wird. Da ist auch die Linke in der Verantwortung.
taz: Neben der Wahl des Ministerpräsidenten steht noch die eines weiteren Vizepräsidenten für den Landtag an. Die AfD möchte Jörg Prophet aufstellen. Sie sagten bei einer Pressekonferenz vergangene Woche, einige Mitglieder Ihrer Fraktion könnten sich vorstellen, ihn zu wählen.
Wolf: Und das finde ich in Ordnung. Die haben das gut begründet.
taz: Herr Prophet hat vor vier Jahren einen Text veröffentlicht, in dem er schrieb, amerikanische Soldaten, die 1945 das Konzentrationslager Mittelbau Dora befreit haben, seien moralisch so verkommen wie die SS. Noch unmoralischer seien nur heutige Sozialist:innen.
Wolf: Die AfD hat ein Vorschlagsrecht. Die Frage ist, wie weit akzeptiere ich ein Vorschlagsrecht und wo ziehe ich meine Grenze? Herr Prophet hat sich unserer Fraktion vorgestellt. Er hat erklärt, warum er zu der Einschätzung in diesen Sätzen kommt. Ich teile diese Einschätzung nicht. Aber es gibt Mitglieder in der Fraktion, die sagen, dass sie sich nicht auf das Spiel der AfD einlassen wollen, sich in die Opferrolle zu begeben, wenn wir sie nicht wählen.
taz: Wo hört ihr Verständnis auf?
Wolf: Die Fraktion hat sehr eindeutig Wiebke Muhsal von der AfD als Vizepräsidentin und als Präsidentin des Landtags abgelehnt.
taz: Lutz Liebscher, der Fraktionsvorsitzende ihrer Koalitionspartnerin SPD, hat gesagt: Wer Jörg Prophet wähle, sei kein Demokrat.
Wolf: Das ist die Einschätzung von Lutz Liebscher.
taz: Haben Sie einen Konflikt mit der SPD, wenn Liebscher Mitglieder ihrer Fraktion als Nichtdemokraten bezeichnet?
Wolf: Ich halte das für keine glückliche Formulierung. Menschen abzusprechen, dass sie Demokraten sind, finde ich ein kleines bisschen leicht gemacht. Aber auch das werden wir aushalten.