Erwerbstätigkeit von Frauen: Frauen brauchen endlich bessere Rahmenbedingungen | ABC-Z
Deutschland fehlen die Arbeitskräfte – so lautet die Klage. Und die Sorge, denn mit der demografischen Alterung werden in den kommenden Jahren sehr viele Beschäftigte vom Arbeitsmarkt verschwinden. Dabei gibt es viele gut ausgebildete Fachkräfte, die schon auf dem Arbeitsmarkt sind – es sind vor allem Frauen. Denn bei der Frauenerwerbstätigkeit liegt Deutschlands größtes
wirtschaftliches Potenzial. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen den Arbeitszeitwünschen
der Frauen und der Realität im Arbeitsmarkt. Wenn Politik und Wirtschaft es
ernst meinen mit der Lösung des Fachkräfteproblems, müssen sie Frauen den
(Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt und den Ausbau ihres Arbeitsvolumens
erleichtern. Dazu müssen in erster Linie die vielen Hürden und Restriktionen abgebaut
werden.
Der
starke Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen ist – neben der Zuwanderung –
einer der wichtigsten Gründe für die starke wirtschaftliche Entwicklung der
letzten 20 Jahre. Und für die Tatsache, dass mit 46 Millionen
Beschäftigten heute mehr Menschen in Deutschland in Arbeit sind als jemals
zuvor. Die
Erwerbsquote bei Frauen ist von ein wenig mehr als 50 Prozent Anfang der 1990er auf
heute knapp 75 Prozent gestiegen, Deutschland hat damit eine der höchsten Erwerbsquoten in Europa. Gleichzeitig gibt es jedoch fast
nirgends einen so hohen Anteil an Frauen, die in Teilzeit arbeiten: Es sind nahezu 50 Prozent.
Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander
Dies
bedeutet auch, dass fast nirgendwo anders die Unterbeschäftigung von Frauen –
definiert als der Unterschied zwischen den Wünschen und der Realität in Bezug
auf die individuelle Arbeitszeit – größer ist als hierzulande. Viele Frauen
in Teilzeit geben an, deutlich mehr Stunden pro Woche arbeiten zu wollen. Dies
gilt auch für Frauen mit Kindern. Frauen mit Kindern unter zwölf Jahren wünschen
sich eine durchschnittliche Arbeitszeit von 20 bis 30 Stunden pro Woche, Frauen mit
Kindern über zwölf Jahre rund 36 Stunden, also nahezu einer Vollzeitbeschäftigung.
Zugleich gibt es eine Überbeschäftigung bei Menschen in Vollzeit, das bedeutet,
viele wollen weniger Stunden arbeiten oder gar auf eine Viertagewoche
umsteigen. Dies gilt insbesondere für Männer.
Es
gibt also einerseits eine Unterbeschäftigung bei Frauen
in Teilzeit und andererseits eine Überbeschäftigung vor allem bei Männern in
Vollzeit (PDF).
Bei den Werten zu Familie und Partnerschaft hat sich Deutschland eher Richtung egalitäre
Gesellschaft entwickelt, die hohen Wert auf Chancengleichheit legt. So zeigt eine aktuelle DIW-Studie, dass viel mehr Menschen eine
egalitäre Aufteilung, in dem beide Partner 30 Stunden pro Woche oder beide
Vollzeit arbeiten, als ideal erachten, als es Paare in der Realität umsetzen. Gleichzeitig
leben 60 Prozent der westdeutschen Familien mit Kindern im Kindergarten- oder
Grundschulalter ein Modell, bei dem die Frau Zuverdienerin ist, der Mann in Vollzeit das Haupteinkommen der Familie erwirtschaftet. Man kann auch sagen: Die meisten Deutschen leben ein Familienmodell, das sie eigentlich nicht wollen. Denn als ideal erachten es lediglich 40 Prozent der Menschen. Es gibt dabei einen interessanten regionalen Unterschied: In Ostdeutschland
wird dieses Modell zwar seltener gelebt, aber hier häufiger gewünscht.
Für ganz Deutschland gilt: Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander.
Diese
Werte und Wünsche, gerade der jungen Generation, werden jedoch von der Politik
zu einem erheblichen Teil ignoriert. So sehen viele, vor allem ältere Verantwortliche
in Wirtschaft und Politik die Lösung für den Arbeitskräftemangel in Deutschland
in einer höheren Wochenarbeitszeit und mehr Überstunden. Sie wollen also
entgegen den mehrheitlichen Wünschen der Beschäftigten in Vollzeit diese mit
Forderungen nach mehr Leistungsbereitschaft zu mehr Arbeitszeit drängen, anstatt
es vor allem Frauen in Teilzeit zu ermöglichen, mehr Stunden zu arbeiten.
Ein
weiteres wichtiges Phänomen ist, dass viele Frauen, auch nachdem die Kinder und
sie selbst älter werden, ihre Arbeitsstunden nicht oder nur geringfügig erhöhen
und somit die Unterbeschäftigung für viele
Frauen über ihre Lebenszeit zunimmt.
Ein großes Defizit an Quantität und Qualität der Kitaplätze und
Ganztagsschulen ist einer der zentralen Gründe, weshalb junge Mütter häufig
nicht mehr Stunden arbeiten können. Die Pflege von Angehörigen im späteren
Lebensverlauf ist einer der Gründe, weshalb Frauen auch danach ihre Arbeitszeit
nicht erhöhen. Dies zeigt, dass der Gender Care Gap – also der Unterschied in den
Stunden, die Männer und Frauen für die Sorgearbeit und Kinderbetreuung über
Pflege der Angehörigen bis hin zum Haushalt und Erledigungen — über den
Lebensverlauf hoch bleibt, auch nachdem die Kinder älter werden und das Haus
verlassen.
Drei Reformen sind erforderlich
Die
Diskrepanz zwischen Arbeitszeitwünschen und Arbeitsrealität ist daher vor allem
für Frauen, aber auch zum Teil für Männer in Deutschland ungewöhnlich groß. Unternehmen
werden sich gerade bei der Erfüllung von Arbeitszeitwünschen flexibler zeigen
müssen, wenn sie neue Fachkräfte gewinnen und erfahrene halten wollen. Aber
auch die Politik kann Weichen stellen. Sie sollte sich dabei vor allem auf drei
Elemente konzentrieren. Ein wichtiger Teil der Entscheidung über Arbeitszeit
und Arbeitsleben wird von Paaren mit der Geburt des ersten Kindes getroffen.
Wer wie lange Elternzeit nimmt und wer wie wieder ins Arbeitsleben einsteigt,
entscheidet häufig über das Erwerbsleben für die folgenden 30 bis 40 Jahre. Als Erstes wäre daher eine Reform des Elterngelds wichtig. Das Elterngeld, das
2007 als Lohnersatzleistung von 65 Prozent des Einkommens (maximal 1800 Euro im Monat)
eingeführt wurde, ist eine wichtige Errungenschaft. Paare haben die
Möglichkeit, wenn jeder mindestens zwei Monate Elternzeit nimmt, die Elternzeit
um zwei Monate auf maximal 14 Monate zu verlängern. Obwohl mittlerweile 40 Prozent
der Väter die Elternzeit nutzen, so nehmen viele lediglich das Minimum von zwei
Monaten in Anspruch, die Mütter hingegen häufig die vollen zwölf Monate.
Eine
Reform des Elterngelds könnte sich am Beispiel Islands orientieren, wo beide
Eltern den gleichen Anspruch von jeweils sechs Monaten Elternzeit haben, mit
einer begrenzten Möglichkeit von bis zu sechs Wochen zwischen den Partnern zu
übertragen.
Diese Parität hilft, dass beide Partner eine freiere und häufig ähnlichere Wahl
darüber treffen, wer wie nach der Elternzeit wieder in den Arbeitsmarkt
eintritt und arbeitet. Da Frauen heute vor der Geburt des ersten Kindes meist
genauso viel wie ihre Partner verdienen, dürfte die Entscheidung für manche
Paare in der Zukunft anders aussehen als bisher, wenn ein ähnliches Modell in
Deutschland eingeführt würde. Eine gleichere Aufteilung der Elternzeit würde vielen Familien mehr Flexibilität geben.
Teilzeitmöglichkeit und Ehegattensplitting
Eine
zweite Möglichkeit ist, die Anreize für beide Partner zu verbessern, zu
ähnlichen Teilen in Teilzeit zu arbeiten. Das entspricht
den Wünschen und Werten vieler junger Paare. Die Hürden sind
jedoch hoch, denn immer noch kann man in Teilzeit schlechter Karriere machen. Unternehmen sollten daher noch mutiger werden und könnten beispielsweise bereits existierende
Modelle von Führungspositionen in Teilzeit umsetzen und ausweiten, zumal die
bisherige Erfahrung damit überwiegend positiv ist.
Als Drittes sollte das Steuer- und Transfersystem grundlegend reformiert werden.
Das Ehegattensplitting ist ein für die
Beschäftigung in Deutschland höchst schädliches Element, da es die Arbeitszeit
vor allem von Frauen signifikant reduziert. Viele, vor allem in der Politik –
so erst kürzlich der Bundesfinanzminister – lehnen eine Reform jedoch
vehement ab.
Ähnliches gilt für die Mitversicherung und die Minijobs, die häufig in der
Kombination dazu führen, dass die steuerliche Grenzbelastung für viele Frauen
sehr hoch ist. Dies bedeutet, dass sich Arbeiten oder vor allem Mehrarbeit für
viele Frauen nicht lohnt, weil ihnen kaum ein zusätzlicher Euro netto am Ende
des Monats für ihre zusätzliche Arbeit bleibt.
Eine
freiheitliche Gesellschaft, die hohen Wert auf Chancengleichheit legt, sollte
dem Abbau dieser Hürden eine hohe Priorität geben. Reformen von Elterngeld,
Ehegattensplitting, Mitversicherung und Minijobs sind dringend geboten, um mehr
Freiheit und Chancengleichheit zu ermöglichen und es Menschen zu erleichtern,
ihr Leben nach ihren Wünschen und Werten zu führen. Dies hätte zudem einen
großen Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft – und für die Gleichberechtigung der Geschlechter.
Deutschland fehlen die Arbeitskräfte – so lautet die Klage. Und die Sorge, denn mit der demografischen Alterung werden in den kommenden Jahren sehr viele Beschäftigte vom Arbeitsmarkt verschwinden. Dabei gibt es viele gut ausgebildete Fachkräfte, die schon auf dem Arbeitsmarkt sind – es sind vor allem Frauen. Denn bei der Frauenerwerbstätigkeit liegt Deutschlands größtes
wirtschaftliches Potenzial. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen den Arbeitszeitwünschen
der Frauen und der Realität im Arbeitsmarkt. Wenn Politik und Wirtschaft es
ernst meinen mit der Lösung des Fachkräfteproblems, müssen sie Frauen den
(Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt und den Ausbau ihres Arbeitsvolumens
erleichtern. Dazu müssen in erster Linie die vielen Hürden und Restriktionen abgebaut
werden.