Hey Taylor, so geht Schalke | ABC-Z

Liebe Taylor,
wer hätte gedacht, dass ich mich mal an Dich wende? (Ich nicht.) Was könnte uns schon verbinden? Aber jetzt besuchst Du meine Heimatstadt, höchste Zeit also für einen kleinen Insider-Report, denn Gelsenkirchen ist nicht irgendeine Stadt in Deutschland, sondern eine sehr ehrliche Mischung aus Dreck und Charme, gepaart mit einem Lokalpatriotismus, der von einer Hassliebe geprägt ist, vor der selbst eine New Yorkerin vor Neid erblassen würde.
Da ich weiß, dass internationale Megastars, genau wie Mütter, alles haben außer Zeit, habe ich meinen Text mal in ein überschaubares ABC unterteilt, in dem Du dann vor Ort einfach nachschlagen kannst. Ähnlich wie in anderen Metropolen muss man auch in Gelsenkirchen wissen wohin, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Aberdon’t worry, einer der vielen Vorteile von Gelsenkirchen: Die Hotspots sind überschaubar.
AUF SCHALKE
Die Basics zuerst. Du spielt Deine Konzerte „AUF“ Schalke. Nicht „in“ Schalke, „bei“ Schalke, daneben oder drunter. „Auf.“ So verlangt es die Gelsenkirchener Grammatik und die in der Stahl- und Bergbauindustrie verwurzelte Geschichte Gelsenkirchens. Die Redensart, man gehe „auf Schalke“ – und nicht „nach“ oder „zu“ –, stammt aus dem früheren Bergmannsjargon, und jede andere Bezeichnung klingt für ein Gelsenkirchener Ohr schlichtweg falsch.
BLAU UND WEISS
sind die Vereinsfarben des Gelsenkirchener Fußballklubs Schalke 04. An Spieltagen scheint die ganze Stadt blau und weiß, und man greift als Gelsenkirchenerin, auch wenn man nicht ins Stadion geht, in Solidarität automatisch zu Blue Jeans und weißem T-Shirt. Alle gelb-schwarzen Kombinationen würde ich an Deiner Stelle im Koffer lassen. (Siehe auch „Schalke 04“.)
CURRYWURST
Das Ruhrgebiet und Berlin streiten sich seit Ewigkeiten darüber, wer die beste Currywurst macht. Der große Vorteil meines Lebenslaufes ist, auf der Currywurstebene, dass ich in beiden Regionen lange gelebt habe – und Dir versichern kann, dass die Gelsenkirchener Currywurst die einzig Wahre ist. Wenn ich auf dem Weg nach Gelsenkirchen bin, läuft mir schon im Zug beim Gedanken an „Pommes Currywurst“ das Wasser im Mund zusammen. In Gelsenkirchen schmeckt diese Delikatesse noch entwaffnend ehrlich und so dreckig, wie sie ist. Nichts, was in der Retrospektive nicht ein kleines bisschen eklig ist, ist wirklich geil.
DATING
Auf den ersten Blick hätte ich gesagt, dass es, außer der Liebe zur Musik, nicht viel gibt, was uns beide verbindet. Auf den zweiten Blick – oder besser gesagt nach dem Hören Deiner Diskographie – muss ich zugeben, dass es da doch eine Sache gibt: das Verarbeiten von Beziehungen in Songtexten. Und das sehr ehrlich und sich dabei nicht immer zu ernst nehmend. Ich wurde im Zuge der Veröffentlichung meines neuen Albums letztens von einem Journalisten gefragt, ob man(n) nicht Angst haben müsse, mich zu daten, weil man(n) ja danach in meinen Songtexten zerrissen würde. Ich fand die Frage komplett Banane und habe die sehr logische Antwort gegeben, dass man(n) dem entgeht, indem man(n) einfach kein Arschloch ist.
Im Zuge der Recherche für diesen Text bin ich auf ein Interview mit Dir gestoßen, in dem Du auf genau die gleiche Frage die gleiche Antwort gibst. (Sind wir jetzt BFFs? Denke schon.) Um die Brücke zu Gelsenkirchen zu schlagen, muss ich neidlos anerkennen, dass alle meiner Freundinnen in Gelsenkirchen in glücklichen Beziehungen sind. Ich glaube, Du bist gerade vergeben, aber heutzutage sind, zumindest in meiner Bubble, monogame Beziehungen ja schon fast eine Rarität. (Die Autorin zieht daraus bewusst seit Jahren keine Rückschlüsse auf ihr sehr chaotisches, aber spannendes Liebesleben.) Deshalb und aus den Gründen, die ich gleich unter E aufführe, kann ich Dir die Jungs aus dem Pott nur ans Herz legen. Ganz klar marriage material. Sollte es in diesem Leben irgendwann einen Mann geben, der mich zur Ruhe bringt, dann kommt er wahrscheinlich aus dem Pott. (Aber worüber schreiben wir dann?)
ECHTE MENSCHEN
Offen, laut, direkt. Von außen scheint es so, als sei Schalke das, was Gelsenkirchen ausmacht, aber wir wissen, es sind die Menschen. Was Gelsenkirchen an kultureller Vielfalt fehlt, macht es durch seine Menschen wett. Gelsen mag nicht die schillerndste Stadt sein, aber unter der Oberfläche findet man echte Substanz und Herzlichkeit, die zu gleichen Teilen authentisch und schlagfertig ist. Schade, dass Du (vermutlich) kein Deutsch kannst, denn vor den Punchlines der Gelsenkirchener würde der ein oder andere Profi-Rapper verblassen.
FLAT WHITE
Ähnlich wie in Paris würde ich Dir eher davon abraten, zu versuchen, in Gelsenkirchen einen Flat White zu bestellen, wenn Du nicht sofort als Touristin erkannt werden möchtest. Anders als in Paris wird man Dir in Gelsenkirchen aber keinen abschätzigen Seitenblick, sondern einen lockeren Spruch zuwerfen.
Ausnahme: „Café Ütelier“ in Ückendorf, hier bekommt frau – meine Meinung – den einzig vernünftigen Kaffee der Stadt, nicht zuletzt deshalb ist Ückendorf der Stadtteil mit der größten Dichte an Gelsen-Hotspots. (Siehe: Ückendorf.)
GELSEN
Slang, auf das „kirchen“ kannst Du im Gespräch verzichten.
HAUTE CUISINE
Wer nicht in der „Friesenstube“ eine selbst gemachte Frikadelle gegessen und dazu einen Karamello getrunken hat, war nicht in Gelsenkirchen.
INSIDE JOKES
Gibt’s unter @gibdirgelsen.
JETSET
Gelsenkirchen-Buer. In Buer denkt man, man gehöre nicht so richtig zu Gelsenkirchen und sei wie die uneheliche Tochter von Düsseldorf, aber nach drei Bier sind wir alle gleich.
KOHLENPOTT
Bis heute spürt man in Gelsenkirchen die industrielle Vergangenheit und wie sehr Gelsenkirchen mit der Kohle- und Stahlindustrie verbunden war. Mein erster bezahlter Job war das Zeitungsaustragen in den schmalen Straßen meiner Nachbarschaft, mit den vielen kleinen Zechenhäusern. Nie enden wollende Reihen mit identischen, zweistöckigen schlichten Häusern. Für den einen bedeutender Teil des lokalen Erbes. Für mich der beschissenste Job, den ich jemals hatte.
LARY

MUSIKMETROPOLE
Hat früher hauptsächlich der Fußball die Menschen nach Gelsenkirchen gelockt hat, so ist es heute auch die Musik. Man könnte sagen, Gelsenkirchen entwickelt sich rasant zur Musikmetropole Deutschlands. Neben der Arena auf Schalke wird die Heilig-Kreuz-Kirche auf der Bochumer Straße in Ückendorf gerade zum Konzert-Hotspot. Die ehemalige Kirche im Stil des Backsteinexpressionismus ist extrem imposant. Fun fact, sie steht 100 Meter vom Haus entfernt, in dem ich auf der Bochumer Straße aufgewachsen bin. Die Wände des alten dreistöckigen Hauses, in dem ich mit meiner Familie lebte, waren dick genug, um dem Lärm der Straße, die als Nadelöhr zwischen Bochum und Gelsenkirchen fungierte, zu entgehen, und dünn genug, dass der Kronleuchter in der Erdgeschosswohnung meines Onkels sanft bei jedem Durchfahren eines Lkws wackelte. Viel gab es dort damals nicht: ein Sonnenstudio, ein, zwei Spielotheken, Kinderarzt, Pommesbude, Straßenbahnhaltestelle. Und das Gesicht meiner Großmutter im Erkerfenster der ersten Etage, jeden Tag, wenn ich nach der Schule aus der Linie 302 stieg und hochschaute. Umso schöner, dass die Straße gerade aufzublühen scheint und neben neuen Kneipen und Cafés auch diesen besonderen Veranstaltungsort hat. Am Ende des Jahres spiele ich, wenn alles klappt, dort ein Konzert. Zum ersten Mal in meiner Heimatstadt.
NORDSTERNPARK
Bei schönem Wetter lohnt es sich, ein bisschen im Nordsternpark herumzulungern, einem Landschaftspark auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Nordstern. (Zechen findet man im Ruhrgebiet an jeder Ecke.) Besonders wenn man nicht von hier und das Bild einer stillgelegten Zeche nicht gewohnt ist, sind die Architektur und Weitläufigkeit etwas Besonderes. Das Gelände ist etwa so groß wie 130 Fußballfelder – um die in Gelsenkirchen übliche Maßeinheit zu verwenden.
OLÉ, OLÉ
Die Fans des FC Schalke 04 bringen es bei Heimspielen auf eine Lautstärke von rund 129 Dezibel; fällt ein Tor, hört man das manchmal noch einen Stadtteil weiter. Könnte natürlich auch daran liegen, dass sowieso die ganze Stadt schreit, wenn ein Tor fällt. Wie dem auch sei – was meinst Du, wie laut Deine Swifties sein werden? Bin gespannt.
PANORAMA
Ich empfehle Dir auf jeden Fall, einen gemütlichen Spaziergang auf die Halde Rheinelbe zu machen. Erstens, weil man sich gar nicht vorstellen kann, wie unglaublich grün das Ruhrgebiet ist, wenn man sich nicht einmal das Panorama von oben angeschaut hat, und zweitens, weil Torsten Josen (Name von der Autorin geändert, weil sie nicht sicher ist, ob der Schwur, niemandem davon zu erzählen, mittlerweile verjährt ist) mir dort meinen ersten Kuss gegeben hat und ich noch heute das schmerzliche Ziehen nachempfinden kann, welches meinen Kiefer durchfuhr, als sich unsere Zahnspangen ineinander verhakten. Shoutout an Torsten, von mir erfährt’s niemand!
Doch zurück zum Thema. Auf dem alten Zechengelände Rheinelbe hat sich, mitten in Ückendorf, über Jahrzehnte auf natürlichem Weg eine Waldlandschaft entwickelt, und es ist wirklich, ganz unironisch, ein sehr schöner Fleck Erde, an dem frau gut zur Ruhe kommt. (Hast Du nicht auch Hunde?) Ich multipliziere mal den Stress in meinem Leben mit einem Faktor zwischen zwei und sechs und weiß, dass es für Dich gerade in der stressigen Tour-Zeit wenige Gelegenheiten für Pausen oder Reflexion gibt. Ein Grund mehr, den Spiralberg zu erklimmen, die „Himmelstreppe“ hochzusteigen und tief durchzuatmen. „Geschaffen vom Künstler Herman Prigann, ragt die Himmelstreppe bestehend aus den Betonrelikten einer Dortmunder Zeche aztekisch in den Himmel“, sagt das Internet. Ich lasse das mal so stehen und füge hinzu, dass sie sich auch gut für Workouts eignet. Du tust also gleichzeitig etwas für Deinen Hintern und für Deinen Kopf. Gelsen-Yoga, wenn man so will.

Q
Da mir zum Buchstaben Q wirklich nichts einfällt, an dieser Stelle eine Gelsenkirchener Kurzgeschichte: Ich habe mich meine komplette Schulzeit lang hauptsächlich für denselben Jungen interessiert, und derselbe Junge hat sich seine komplette Schulzeit lang hauptsächlich für Fußball interessiert. Wir bereuen es beide nicht.
RANKINGS
Ich wage zu behaupten, Gelsenkirchen ist eine der berühmtesten unbekannten Städte Deutschlands. Immer wieder sticht sie in den verschiedensten Rankings hervor. Wenn es um Tabellenplätze geht, findet man Gelsenkirchen oft ganz vorne – von unten betrachtet. Aber wie sagt man so schön: Bad publicity is better than no publicity. Gelsenkirchen trägt seine Geschichte wie eine Trophäe.

SCHALKE 04
Endlich sind wir beim Thema. Bei DEM Thema in Gelsenkirchen. Das Fußballstadion, in dem Du spielen wirst, ist das Zuhause der dritterfolgreichsten Vereinsmannschaft im deutschen Fußball, Heimat des FC Schalke 04, benannt nach dem Gelsenkirchener Stadtteil Schalke. Aber zu behaupten, Schalke sei nur eine Fußballmannschaft, wäre zu klein gedacht. Die Stadt Gelsenkirchen und der FC Schalke 04, das ist irgendwie dieselbe Sache. Selbst wenn Fußball dich wirklich nicht interessiert: Lebst du in Gelsenkirchen, ist der Fußball ein Teil deines Lebens, und die Fußballsaison bestimmt, wann, wo und in welchem Zustand du deine Freunde siehst.
Schalke ist eine Haltung, ein Gefühl, eine Lebensart – das, was uns alle zusammenschweißt und uns eine gemeinsame Identität gibt. Zu Schalke hat jede eine Meinung, ein Augenverdrehen, ein Lächeln, eine Anekdote. Schalke verhält sich zu Gelsenkirchen wie Countrymusik zu Nashville, um ein Beispiel zu wählen, in dem Du Dich zu Hause fühlst.
TRASSEN > STRASSEN
Durch NRW ziehen sich über 1000 Kilometer Radwege auf ehemaligen Bahntrassen. Man kann zum Beispiel gemütlich von Gelsenkirchen aus bis zur Bochumer Jahrhunderthalle fahren, ohne ein einziges Mal eine Straße zu überqueren. Ich finde das ziemlich cool, auch wenn ich aus stilistischen Gründen sehr selten Fahrrad fahre. Ich kann mich mit Fahrradhelm einfach nicht ernst nehmen.
ÜCKENDORF
Der Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin. Ückendorf war für mich – um es mit dem Titel eines Deiner Songs zu sagen, der gerade in meinen Ohren tönt – eher der „Anti-Hero“ von Gelsenkirchen. Dir zu Ehren hat Gelsenkirchen für die Zeit der Anwesenheit der Swifties den Stadtteil mit genau diesem Beinamen versehen. (Gelsenkirchen identifiziert sich momentan als „Swiftkirchen“.)
Als ich dort aufwuchs, war dieser Teil von Gelsenkirchen sogar mehr Anti als Hero. Den Heldenstatus hat sich Ückendorf in den letzten Jahren verdient. Früher hat man ungern gesagt, dass man dort wohnt. Die paar Besserverdienenden in der sogenannten Künstlersiedlung von Ückendorf hatten zu ihrem Stadtteil eine Haltung à la „New York ist nicht Amerika“ oder „Berlin ist nicht Deutschland“. However, die Zeiten haben sich geändert.

Das „Café Ütelier“ serviert leckeres Frühstück und ist ein gemütlicher, heller Ort mit gutem Vibe und coolem Publikum. Ein paar Häuser weiter im „Hier ist nicht da“ trifft sich das alte und neue Gelsenkirchen auf ein Getränk (oder zwölf). Die Trinkhalle am Flöz gleich gegenüber scheint auch immer gut besucht. Als ich zur Schule ging, war das ein berüchtigter Ort, den unheimliche Geschichten umwoben: Wurde dort jemand erschossen, entführt, verprügelt? Die Information scheint beim ewigen Kampf zwischen Erinnern und Vergessen eine leichte Gehirnerschütterung erlitten zu haben. Auf jeden Fall haben wir Kinder einen Bogen um den Laden gemacht, seinen Wagen traute sich dort vor der Tür auch niemand zu parken. Die Halde Rheinelbe findest Du übrigens auch mehr oder weniger mitten in Ückendorf.
V
WISSENSCHAFTSPARK
Komischer kleiner Park in Ückendorf, der während meiner Schulzeit gefühlt von dem einen auf den anderen Tag da war. Bis heute ist mir nicht klar, welcher Wissenschaft im Wissenschaftspark nachgegangen wird, außer der, den Schulweg zu verlängern.
X,Y, Z
Sind die Generationen, die Du zu Deinen Konzerten ziehst. Also alle. Cheers to that.
Taylor, what can I say, das war es schon. As easy as ABC, sagt man im Englischen. Ich denke, Du bist nun für Deine drei Tage in town gewappnet.