„Der Zuschauer muss Freud & Leid miterleben können ohne totgequatscht zu werden“ | ABC-Z
Fritz von Thurn und Taxis im Interview: „Der Zuschauer muss Freud und Leid miterleben können, ohne totgequatscht zu werden“
#fritzlove – mit diesem Hashtag feiern viele kurz vor seinem Abschied Fritz von Thurn und Taxis. Im zweiten Teil des großen Interviews mit FOCUS online spricht der legendäre Kommentator über die plötzliche Liebe, die ihm zuteil wurde und verrät, mit welchem Co-Kommentator er den Versuch eines Duos wagen würde.
Wenn Menschen vom alten Schlag sprechen, ist das häufig mit dem Unterton versehen, dass jemand altbackene Ansichten oder Gebräuche vertritt. Das ist bei Fritz von Thurn und Taxis anders. Seine Manieren und seine ganze Art und Weise sind durch die Bank zuvorkommend. Das geht sogar so weit, dass er mich vorgehen lässt und mir (31) als 74-jähriger Mann die Tür aufhält.
Natürlich spürte ich, trotz Erfahrungen in Interviewführung, ein leichtes Kribbeln im Bauch, als klar war, dass ich den legendären Fritz von Thurn und Taxis treffen würde. Jeder Fußballbegeisterte in Deutschland kennt ihn und seine Stimme, seine spezielle Art zu kommentieren. Er schaffte es ohne viele Worte, dass meine Aufregung schon verflogen war, als wir uns auf die Terrasse setzten.
„Ich war überrascht“, sagt Fritz von Thurn und Taxis über plötzlichen Kultstatus
Sie selbst haben auch häufig Kritik abbekommen, wurden aber gegen Ende ihrer Karriere absoluter Kult, unter anderem mit #fritzlove. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Ich war überrascht, weil ich ja schon polarisiert habe. Ich hatte eine sehr bestimme Art zu kommentieren, die vielen Leuten sehr gut gefallen hat. Aber weil sie so speziell war, auch vielen gar nicht. Da bin ich wieder bei der 50-Prozent-Regel: Wenn die Hälfte der Zuschauer zufrieden ist, dann war das schon gut.
Ich habe mich aber mit Kritik nie so sehr beschäftigt, weil ich im Internet nicht vertreten war. Ich glaube, dass mich das auch ein gutes Stück hat überleben lassen. Ich weiß nicht, ob es da Shitstorms oder sowas gab, ich habe das kaum gelesen oder mitbekommen und bin da meinen Weg ganz normal weitergegangen. Als ein Mensch eine ganze Zeit unter meinem Namen getwittert hat, habe ich erst bemerkt, was das Internet eigentlich alles bewirken kann.
Gerade Cord Sauer (Gründer von FUMS, Anm. d. Red.), der den Fußball so ein bisschen satirisch aufarbeitet, hat dazu beigetragen, dass ich zum Ende eine Art Kultstatus bekam. Er hat mich häufig ins Spiel gebracht – mit meinen Kommentaren, mit meinen Aussagen, mit meiner besonderen Art. Dadurch habe ich eine noch breitere Öffentlichkeit bekommen. Das hat vielen Leuten sehr gefallen und dadurch kam am Ende sogar so etwas wie Liebe auf.
Fritz von Thurn und Taxis erklärt, warum er heute nicht nochmal von vorne anfangen würde
Würden Sie gerne in der heutigen Zeit nochmal von vorne beginnen?
Nein, weil ich über die vielen Jahrzehnte alles erlebt habe und mit vielen Auswüchsen des Fußballs nicht zufrieden bin. Zuschauerausschreitungen, Pyro, zu viel Systematik im Spiel, der VAR, zu viel Geld.
Ohne mit der Wimper zu zucken, zählt Thurn und Taxis den ersten Millionentransfer sowie den ersten zweistelligen Millionentransfer der Bundesliga auf. Er streut diese Informationen ein, wie er einen Kommentar mag: Als Service, ohne aufdringlich zu sein oder zu stören.
Wenn du die Summen siehst, fragst du dich natürlich, wo das viele Geld, das in dieser Blase durch Fernsehanbieter, Sportartikelhersteller und Oligarchen vorhanden ist, hingeht. Es landet vor allem in den Taschen der Spieler und der Berater. Das gefällt mir nicht. Vor allem für die Spieler ist es ungesund, weil sie in einer ganz anderen Welt leben, die mit dem normalen Leben gar nichts mehr zu tun hat.
Von Thurn und Taxis berichtet von seinem letzten Bundesliga-Einsatz als Kommentator bei der Partie FC Bayern gegen den SC Freiburg. An diesem Tag wurden auch die Bayern-Stars Xabi Alonso und Philipp Lahm verabschiedet.
Als die groß im Bild waren habe ich gesagt ‘schauen Sie sich mal die zwei an: Vernünftiger Haarwuchs, keine Tattoos, gehen auch gerne ins Museum, lesen ab und zu Bücher. Auch so kann man Weltmeister und Champions-League-Sieger werden.’ Ich habe nicht mehr gesagt, aber wenn man genau zugehört hat, wusste man, was ich meine. Heute haben die Spieler in der Kabine ganz andere Themen – da geht es mehr darum, zu welchem Tätowierer oder Friseur man an seinem freien Tag geht.
Ich will da niemanden kränken und die Spieler verdienen viel Geld, das neide ich ihnen auch nicht. Aber ich bleibe dabei: Das ist nicht sinnvoll. Wir haben in der Corona-Krise gemerkt, wie schnell es ans Eingemachte geht. Wenn die Spiele im TV nicht weitergelaufen wären, wären fünf, sechs Vereine Konkurs gegangen. Da müsste es irgendeinen Hebel geben, mit dem man die Klubs zwingen müsste zum Beispiel einen Fonds anzulegen, damit sie nicht sofort insolvent sind, wenn wieder etwas passiert. Das sind Dinge, die mich stören und deshalb bin ich mit mir im Reinen, nicht mehr regelmäßig vor dem Mikrofon zu sitzen, obwohl ich ja noch ab und zu was mache. Ganz lässt einen der Fußball nicht los. Aber um das abzuschließen: Heute nochmal anzufangen, nein.
Wenn Fußballfans ein Spiel schauen und sich über die Kommentatoren beschweren, heißt es auch oft „Ich könnte es besser“. Was würden sie solchen Fans entgegnen?
Da würde ich ihnen zwei, drei Sätze dazu sagen. Es geht nicht darum, alles zu wissen – das ist die Basis, dass ich gut informiert bin, die Spieler und entsprechende Ergebnisse kenne.
Viele Mütter sagen mir immer wieder, dass ihre Kinder das gut könnten. Aber es gibt viele Parameter, die man berücksichtigen muss, um einen ordentlichen Kommentar zu sprechen. Und dann bekommst du trotzdem nur 50 Prozent auf deine Seite. Es ist viel komplizierter, als man denkt.
„Der Zuschauer muss Freud und Leid miterleben können ohne totgequatscht zu werden“
Wie würden Sie Momente wie die direkt nach dem Ausscheiden Deutschlands bei der EM kommentieren?
Das weiß ich nicht, wie ich reagiert hätte. Aber ich bin der Überzeugung und schule das auch so, dass der Zuschauer zuhause die Möglichkeit bekommen muss, Freud und Leid mitzuerleben, ohne totgequatscht zu werden.
Das beginnt schon vor dem Spiel. Ich habe 95 Minuten Zeit, dieses Spiel zu kommentieren, Informationen weiterzugeben, wenn es passt. Häufig kann ich nur 30 Prozent dessen, was ich vorbereite, auch absetzen. Aber es muss auch möglich sein, sich da zu zügeln.
Von Thurn und Taxis beschreibt eine Szene im Spielertunnel, ganz zu Beginn einer Übertragung. Er ist ganz in seinem Element. Als ich ihm gegenübersitze, spüre ich: Kommentator, das ist nicht nur Beruf für ihn, sondern mehr.
„Schauen Sie den Spielern ins Gesicht, was geht in denen vor? Der Druck ist enorm, es geht um ein Endspiel. Spüren Sie diese Aufregung?“ Aber dazu muss ich schweigen. Man hat früher immer gesagt, das Klappern der Stollen, das muss man hören. Das wird oft übersprochen. Lass sie doch mal ins Stadion reinkommen, dann bereiten die sich vor, dann singen sie. Ich kann doch alles noch in 95 Minuten sagen.
Nochmal: Du musst immer daran denken: Für wen mache ich das? Natürlich auch in irgendeiner Form für mich, weil es mir Spaß macht und weil ich das kann. Aber ich mache es für die Menschen, die zuhause sitzen. Wenn du das in deinen Kopf reinbringst, ist schon viel gewonnen.
Im Übrigen: Das Bild mit dem Kommentar weitgehend zu synchronisieren – das ist die Kunst.
„Ich war nie ein Freund des Co-Kommentars, aber mit Hitzlsperger würde ich es versuchen“
Es gibt immer öfter Duos aus Kommentator und Experte an den Mikrofonen. Wie finden Sie das?
Das kann funktionieren, aber das ist wie mit einem Assistenten. Das muss sich einspielen. Dass das stante pede funktioniert, wäre eher ein Zufall. Es besteht die Gefahr, dass du dem Kommentator die Arbeit erschwerst, weil du noch Energie freimachen musst, um deinen Co-Kommentator zu führen. Außerdem besteht die Gefahr, dass noch mehr gesprochen wird. Deshalb war ich nie ein Freund des Co-Kommentars. Ich habe es lieber allein gemacht.
Mit wem würden Sie gerne ein Duo bilden?
Darüber haben wir neulich mit Béla Réthy und Heribert Faßbender bei einem Interview für die Süddeutsche auch gesprochen. Ich habe gesagt, der Bruder von Mats Hummels, Jonas, ist gut. Auch Sebastian Kneißl von Dazn ist ein sehr guter Mann. Und Thomas Hitzlsperger ist, finde ich, besonders stark, weil er sehr sachlich ist, nicht zu euphorisch, und weiß, von was er spricht. Mit dem würde ich es versuchen.
Etwa 20 Minuten später sind zweieinhalb geniale Stunden mit Fritz von Thurn und Taxis vorbei. Sie haben sich angefühlt wie eine halbe Stunde. Als ich den legendären Kommentator neben eines Fotos für den Artikel auch um ein privates Selfie bitte, sagt er sofort ja. „Passt es hier?“, fragt er mich, nachdem er aufgestanden ist. Er lacht in die Kamera, alles ganz natürlich.
„So, ich muss jetzt noch zum Friseur“, sagt Fritz von Thurn und Taxis zum Ende unseres Gesprächs. Und da fährt er mit dem Fahrrad hin, sagt er – ist ja nicht weit. Als wir uns in der Lobby des Hotels verabschieden, winkt er mir zu, als er die Treppe hinuntergeht. Und er hat noch eine Botschaft. „Und grüßen Sie mir den Mittermeier.“ Natürlich mache ich das.