Wagenknecht verbreitet Putins Desinformation bei Maybrit Illner | ABC-Z
Die Verbreitung von Desinformation dient nicht allein dem Zweck, dem Publikum ein falsches Bild von etwas zu vermitteln. Genauso hat sie das Ziel, den Diskursraum zu kapern, um mit den eigenen Aussagen Themen zu setzen – und eine faktenbasierte Diskussion zu verhindern. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht zeigte am Donnerstagabend in der Talksendung von Maybrit Illner, wie wirkungsvoll sie dies beherrscht. Einmal mehr ging es um den Krieg in der Ukraine, und Wagenknecht ließ vom ersten Moment an wissen, dass sie die aktuelle Gangart der NATO gegenüber Putin ablehnt: Abrüstung statt Aufrüstung ist ihre Devise – auch wenn es um die Verteidigung geht.
„Viele zivile Opfer in der Ukraine entstehen auch dadurch, dass Raketen abgefangen werden und die Trümmerteile in zivile Gebiete fallen“, sagte Wagenknecht, als es um die Stationierung weitreichender Waffensysteme aus den USA in Deutschland ging. Doch offenbar sieht Wagenknecht im Abfangen die größere Gefahr, nicht im russischen Angriff selbst. Sie argumentiert, Trümmerteile hätten am Montag in Kiew nicht nur ein Zentrum für Frauengesundheit getroffen, „auch bei dem Kinderkrankenhaus waren die ersten Meldungen, dass das auch herunterfallende Trümmerteile waren“.
„Es kann sein, dass die Ukrainer lügen“
Unmittelbar hakte die Verteidigungsexpertin Claudia Major, die neben Wagenknecht ebenfalls zu Gast war, ein und wies die Aussage zurück: „Die Meldungen sind aber als falsch widerlegt worden.“ Und in der Tat, Beobachter und Analysten sind sich schnell einig, dass es sich um eine russische Rakete handelte, die das Kinderkrankenhaus traf.
„Es ist bewiesen, dass es eine russische Kh-101 war“, sagte etwa Nico Lange, Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz, gegenüber der „Tagesschau“. „Das beweisen mehrere Videos, in denen die Rakete mit ihren spezifischen Charakteristika klar zu erkennen ist. Das beweisen außerdem Trümmerteile der Kh-101-Rakete, die am Ort des Einschlags gefunden wurden. Wirkung und Explosion entsprechen der Wirkung einer Kh-101-Rakete. Es gab und gibt in diesem Fall keinerlei Zweifel.“ Auch das renommierte Recherchenetzwerk Bellingcat hat mittlerweile einen 25 Seiten umfassenden Bericht vorgelegt, der detailliert nachweist, dass es eine russische Rakete des Typs Kh-101 war, die die Klinik traf.
Doch Wagenknecht sieht das anders. Es sei nicht deutlich widerlegt worden, dass es keine Trümmerteile gewesen seien. „Nein, es ist nicht bestätigt“, wiederholte sie mehrfach und meinte, dass allein der Fund von Raketenteilen nicht beweisen könne, dass der Angriff dem Krankenhaus galt. Andererseits sagte sie: „Ich kenne die Situation nicht, ich weiß nur, dass im Krieg von allen Seiten gelogen wird. Es kann sein, dass die Russen lügen, es kann sein, dass die Ukrainer lügen.“
Sie persönlich halte es für „nicht sehr plausibel“, dass Putin zu Beginn des NATO-Gipfels ein Kinderkrankenhaus angreifen würde. Genauso wie Wagenknecht es am Abend vor Putins Einmarsch auf gesamtukrainisches Gebiet nicht plausibel gefunden hatte, dass genau das passiert, erinnert Maybrit Illner an anderer Stelle.
„Fahren Sie doch mal in die Ukraine!“
Wagenknecht teilt nicht einfach ihr Unwissen, sie verbreitet mit ihren Aussagen exakt die Version der Ereignisse, die seit dem Angriff am Montag in russischen Medien verbreitet wird. Es ist eine weitere großangelegte und vom Kreml orchestrierte Desinformationskampagne. Sowohl auf den russischen Staatssendern als auch auf prorussischen Kanälen und in den sozialen Netzwerken hieß es schon kurz nach dem Angriff, es sei eine ukrainische Luftabwehrrakete gewesen, die neben dem Krankenhaus eingeschlagen sei – angebliche Opfer und Helfer seien Schauspieler gewesen. Und das, bevor eine Untersuchung des Angriffs überhaupt möglich war.
Damit nicht genug: Als der Grünen-Politiker Omid Nouripour Wagenknecht mit den Verschleppungen, Vergewaltigungen und der Folter durch russische Soldaten konfrontierte, wiegelte sie abermals ab: „Das sind alles Verbrechen, die in einem Krieg geschehen.“ Nouripour entgegnete ungehalten: „Nein, sie geschehen nicht einfach irgendwo! Das sind die Gebiete, die die Russen längst unter Kontrolle haben!“ Schließlich forderte er Wagenknecht auf, sie solle sich selbst ein Bild von dem machen: „Fahren Sie doch mal in die Ukraine! Fahren Sie nach Irpin! Fahren Sie nach Butscha, wo 400 Leichen gefolterter Kinder und Frauen gefunden worden sind, und reden Sie mit den Leuten!“
Wagenknecht, die – anders als Omid Nouripour – seit dem Angriff auf gesamtukrainisches Gebiet nicht im Land war, um sich ein Bild vor Ort zu machen, droht mit ihren Auftritten Putins Lügennarrativ auch im deutschen Diskurs weiter salonfähig zu machen. Und selbst wenn das nicht gelingt, stiftet ihre Verbreitung von Desinformation Verunsicherung, die es angesichts der Faktenlage in Bezug auf den Angriff nicht geben sollte.