Wirtschaft

„Wir drehen zu den Masken jeden Stein um“ | ABC-Z

Herr Minister, Ihr Schreibtisch sieht picobello aus, garniert mit einem EM-Ball. Wie ordentlich arbeitet Ihr Ministerium?

Sehr ordentlich. Wir haben ein ausgezeichnetes Team und bereiten viele wichtige Gesetze vor, bis Ende der Legislaturperiode könnten es mehr als 30 sehr lange überfällige, grundsätzliche Gesetze werden. Würde das Haus nicht so gut funktionieren, wäre das unmöglich.

Und doch bemängelt der Bundesrechnungshof in seinem Bericht zur Beschaffung von Coronamasken im Frühling 2020, bis heute gebe es dazu keine fortlaufenden Akten und es fehle eine ordnungsgemäße Vergabedokumentation. Macht bei Ihnen jeder, was er will?

Ich habe seit meinem Amtsantritt von acht Abteilungen sechs neu aufgebaut. Heute arbeiten wir hocheffizient. Aber es stimmt schon: Die Dokumentation zur Maskenbeschaffung war damals offenbar hochproblematisch und muss bereinigt werden. Wir werden deshalb den Bedarf, die Beschaffung und die Verträge zu den Masken grundlegend durchleuchten.

Noch rügt der Rechnungshof eine mangelnde Kooperation und Transparenz.

Das ändern wir gerade. Ich habe Margaretha Sudhof zur Aufklärungsbeauftragten für die Maskenvorgänge berufen. Sie soll die Versäumnisse aus der letzten Legislatur grundlegend aufarbeiten und transparent machen.

Sie ist Juristin, SPD-Mitglied und war Staatssekretärin im Justiz- und dann im Verteidigungsministerium.

Richtig. Frau Sudhof ist eine sehr gute promovierte Juristin und erfahrene Staatssekretärin. Sie ist optimal qualifiziert, kennt die Verwaltungsabläufe, und ich vertraue ihr. Sie wird die Altlasten zu den Masken präzise aufarbeiten. Bisher wurde das eher vor Gericht oder auf Abteilungsebene geleistet. Die jetzt veröffentlichte Kritik des Bundesrechnungshofs und unsere Niederlage kürzlich vor dem 6. Senat des Oberlandesgerichts Köln haben die Lage aber grundlegend geändert. Mit dieser Niederlage vor Gericht hatten die uns beratenden Großkanzleien nicht gerechnet. Zur systematischen Aufarbeitung durch Frau Sudhof gehört die Aktensicherung und dann die genaue Aktensichtung. Sie wird mir innerhalb weniger Monate einen Bericht vorlegen, damit ich die Vorgänge nachvollziehen kann.

Wir haben erst einmal den Bericht des Bundesrechnungshofs abgewartet, dann kam fast zeitgleich das jüngste Urteil des Oberlandesgerichts dazu. Dort sind harte Vorwürfe formuliert worden. Die werde ich aufklären. Und dafür gehen wir systematisch und schonungslos vor, über die Archivierung und Auswertung der Akten, aber auch über Gespräche mit Mitarbeitern, die damals beteiligt waren. Wir gleichen dann die Dokumente mit deren Berichten ab. Wir nutzen dafür alle Ressourcen, die nötig sind. Dass wir ein vollständiges Bild bekommen, ist auch wichtig für unsere weitere Prozessplanung und zum Schutz unserer Mitarbeiter. Transparenz entlastet. Aber wenn Fehler gemacht wurden, dann muss das auch auf den Tisch und das scheint klar der Fall gewesen zu sein.

Viele Mitarbeiter sind noch im Amt. Werden sie zur Aufklärung beitragen?

Ich vertraue meinen Mitarbeitern, dass niemand Frau Sudhof und mir Material vorenthält, weil es ihn oder meinen Vorgänger belasten würde. Das ginge natürlich gar nicht. Ich habe sechs von acht Abteilungsleitern ausgetauscht und auch die Spitzen vieler Behörden. Ich gelte nicht als zögerlich, wenn es darum geht, personelle Konsequenzen zu ziehen.

Aber einer der verbliebenen Abteilungsleiter war für die Masken zuständig…

Zu diesem Abteilungsleiter habe ich nach wie vor Vertrauen. Ich habe auch bisher keinen Fall erlebt, wo ich hintergangen wurde. Hätte ich einen anderen Eindruck, wäre er nicht mehr im Amt. Es ist ja auch ein Vorteil, wenn Leute von damals noch da sind, weil sie aus erster Hand berichten können. Aber natürlich muss man Befangenheit ausschließen, gerade deshalb habe ich Frau Sudhof berufen, eine externe, neutrale und absolut vertrauenswürdige Instanz. Sie mistet jetzt aus. Dabei geht sie in jeden Winkel. Dazu gehört auch, die Rechtsstrategie zu bewerten und zu fragen, ob wir mit den richtigen Kanzleien zusammenarbeiten. Sie wird natürlich genauso entlastendes Material sammeln, die Durchleuchtung erfolgt ergebnisoffen.

Das OLG Köln hat kürzlich den Klägern im Streit um das „Open-House-Verfahren“ recht gegeben. Damals bekam jeder Lieferant einen Festpreisvertrag ohne Mengenlimit, wenn die Masken fristgerecht ankamen. Wie gut war diese Idee?

Ich war nicht daran beteiligt und war auch immer dagegen, weil ein Open-House-Verfahren nicht steuerbar ist. Die Sache ist dann ja auch aus dem Ruder gelaufen. Es war nicht nur das falsche Verfahren, es wurde offenbar auch falsch umgesetzt und es hat uns riesige Schwierigkeiten und enorme Prozessrisiken eingetragen. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir erhebliche Probleme vor Gericht haben. Jetzt geht es darum, dies auch in den weiteren Instanzen abzuwehren, dafür brauchen wir eine gute Strategie. Wir haben uns eine doppelte Klatsche eingefangen, vor Gericht und vom Bundesrechnungshof. Wenn der Befund schlecht ist, muss der Chirurg handeln. Das tue ich.

Wie reagieren Sie rechtlich auf das Urteil?

Wir bereiten ein Begehren für die Prüfung des Urteils vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe vor. Obwohl der 6. Senat des OLG Köln anders entschieden hat, ist unsere Auffassung nach wie vor, dass es sich in den Verträgen um Fixgeschäfte handelte und die Ansprüche der Kläger deshalb unbegründet sind. Es gibt bei den Gerichten offensichtlich unterschiedliche Auffassungen. Dem Ministerium wird zum Beispiel vorgeworfen, noch Lieferungen nach Fristende des Open-House-Verfahrens angenommen zu haben. Und der damalige Spediteur Fiege, der die Masken entgegennehmen sollte, war teilweise überlastet, sodass eine fristgerechte Warenanlieferung offenbar nicht möglich war. Außerdem wurden selbst später noch Direktverträge geschlossen. Das ist also eine schwierige Rechtslage.

Was kostet das Fiasko den Steuerzahler?

Es sind aktuell noch rund 100 Klagen anhängig, der Streitwert der rechtshängigen Verfahren beträgt 2,3 Milliarden Euro. Ich erwarte aber nicht, dass der eintritt. 530 Millionen Euro haben wir für mögliche Prozessrisiken zurückgelegt, wir hätten aber noch weitere nicht abgerufene Mittel aus dem Corona-Titel.

Die Ausgabenreste aus der Pandemie betragen 1,6 Milliarden Euro, das würde nicht ausreichen. Haben Sie in Ihrem Haushalt für 2025 Extramittel für die Masken herausgehandelt?

Das war nicht nötig, ich erwarte ja nicht, dass die 2,3 Milliarden zustande kommen. Klar ist: Ich bin derjenige, der versucht, den Schlamassel aufzuklären und gleichzeitig den Schaden für den Steuerzahler so gering wie möglich zu halten.

Jede Verzögerung, jede neue Instanz kostet Geld. Es ist von einer Milliarde Euro die Rede, die jedes Jahr für Zinsen, Anwaltskosten und anderes hinzukommen. Wäre ein Ende mit Schrecken nicht besser als ein Schrecken ohne Ende?

So argumentieren Hobbyjuristen oder diejenigen, die selber finanzielle Interessen an so einem Deal haben. Die Idee, dass man sich einfach bei 2,3 Milliarden Euro vergleicht, um die Zinsen nicht zu bezahlen, bedeutet den sichersten Weg, um sehr viel Geld zu verlieren. Mein Ziel ist es, den Schaden deutlich geringer zu halten als 2,3 Milliarden. Dafür kämpfen wir vor Gericht. Um eine kluge Rechtsstrategie vorzubereiten, muss ich die Dinge von damals gründlich aufarbeiten.

Der Logistiker Fiege war auf mehrfache Weise in die Maskengeschäfte involviert. Wer hat ihn beauftragt?

Nach meinem Kenntnisstand erfolgte das auf Empfehlung des damaligen Bundesministers. Ich hatte vorher noch nie von Fiege gehört. Wie genau die Entscheidung zustande kam, ob noch andere Unternehmen zur Auswahl standen und ob es möglicherweise Interessenkonflikte gab, wird Frau Sudhof prüfen. Ich will nichts präjudizieren, aber Fiege hatte offenbar Schwierigkeiten, seine Aufgaben vernünftig zu bewältigen, und das wird uns heute vorgehalten. Wir müssen das alles klären, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf.

Damaliger Gesundheitsminister war Jens Spahn von der CDU. Hat es nicht ein Geschmäckle, dass Fiege in seinem Wahlkreis im Münsterland sitzt?

Ich kritisiere meinen Vorgänger nicht in der Öffentlichkeit. Es wirft natürlich Fragen auf, wenn ein Unternehmen aus der Region des Ministers ausgewählt wird, das nicht gerade ein Weltkonzern ist. Aber ich kann die möglichen Vorzüge des Unternehmens nicht bewerten, diese Dinge lasse ich untersuchen.

Wie kam die Bedarfsanalyse von 5,7 Milliarden Masken zustande, wo doch Ihr eigenes Haus lange mit nur 275 Millionen gerechnet hatte?

Auch das muss auf jeden Fall aufgearbeitet werden.

Wie viele Masken haben Sie noch?

Viele waren von minderer Qualität, die haben wir eliminiert. Etwa 2 Milliarden brauchbare Masken haben wir im Ausland verteilt, etwa 800 Millionen sind noch auf Lager. Auch die werden nicht weggeworfen, wir bieten die Masken weiterhin Institutionen im Gesundheitssektor an. In Summe bedeutet das, dass ein größerer Anteil zumindest der qualitativ verlässlichen Produkte noch genutzt werden kann.

Wer hat den hohen Maskenpreis von 4,50 Euro im Open-House-Verfahren festgelegt?

Soweit ich derzeit weiß, war das auch der damalige Minister. Dazu werden die Akten jetzt ebenfalls gesichert, archiviert und ausgewertet.

Open-House steht im Fokus, viel mehr Masken wurden jedoch anders bezogen. Wieso gab es noch Beschaffungen, nachdem Open-House längst gestoppt war?

Das ist in der Tat von außen schwer nachzuvollziehen. Das Open-House-Verfahren wurde ja beendet, weil man anfangs den Eindruck hatte, viel mehr Masken als nötig zu bekommen. Und trotzdem wurden dann noch neue Verträge abgeschlossen, zum Beispiel mit Emix. Das muss Gründe gehabt haben, die möchte ich sehen.

Übernehmen Sie als amtierender Minister die Verantwortung für die Fehler?

Als aktueller Minister bin ich verantwortlich für die Aufklärung. Die Entscheidungen zum Open-House-Verfahren sind in der letzten Legislatur getroffen worden. Ich hätte das damals nicht so gemacht. Wenn damals Einzelne Fehler gemacht haben, müssen sie die Verantwortung dafür tragen. Ich möchte wissen, was damals passiert ist, obwohl ich meine Kraft natürlich auch in andere Vorhaben wie die neuen Gesetze stecken muss.

Wären Sie für einen Untersuchungsausschuss im Parlament zu den Masken?

Das muss der Bundestag entscheiden, das ist nicht meine Aufgabe als Regierungsmitglied. Ich bin gut beraten, erst einmal meine eigene Hausaufgaben zu erledigen. Und die bestehen darin, zusammen mit Frau Sudhof jeden Stein umzudrehen, um die Maskenangelegenheit restlos aufzuklären.

Back to top button