Aus der Natur geschöpft: Blumenmalerin Rachel Ruysch in der Alten Pinakothek | ABC-Z
Manchmal passt einfach alles. Im Fall der Rachel Ruysch war es sogar ein bisschen viel des Guten. Hätte sich ein Autor diese Story über eine frühe Emanzipierte ausgedacht, würden selbst Filmproduzenten einiges streichen. Den Lottogewinn zum Beispiel. Ruysch hat 1723 den Jackpot geknackt. Da ging die zehnfache Mutter auf die 60 zu und konnte vom Verkauf ihrer begehrten Blumenbilder vorzüglich leben.
Sie war ein Glückspilz, um in der Sprache der Botanik zu bleiben. Die 1664 in Den Haag geborene Malerin hat aber auch ihr Leben lang Unglaubliches geleistet. Noch 1749, im Jahr vor ihrem Tod, findet sie Johan van Gool ganz selbstverständlich an der Staffelei vor. Ihr erster Biograf ist angetan von der Geistesgegenwart der 84-Jährigen, die sich nie mit gefälliger Durchschnittsware zufriedengab. Vielmehr lässt sie auf Blüten und unter Blättern Käfer und Echsen krabbeln, manchmal geht es um Leben und Tod, und das so naturgetreu, dass Fachleute mühelos die Arten bestimmen können.
Die “Kunstheldin” wird in ganz Europa gefeiert
In entdeckungsfreudigen Zeiten war das hoch angesehen, als “Kunstheldin” wurde Ruysch bejubelt, nicht nur in den Niederlanden, sondern quer durch Europa. Von Düsseldorf, wo Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz sie als Hofkünstlerin engagiert hatte, bis nach Sankt Petersburg, Wien und Florenz. Man wundert sich jedenfalls, dass Rachel Ruysch nun in München ihre erste umfassende monografische Ausstellung erhält. Mit Folgestationen in Toledo und Boston.
Dabei war diese Malerin nie vom Kunstmarkt verschwunden, Ruysch ist keine Wiederentdeckung, aber in ihrem künstlerischen wie naturforscherischen Interesse ein absolutes Phänomen. Auch familiär bedingt. Denn ihr Vater Frederik Ruysch war ein renommierter Botaniker und Anatom, zudem Prälektor der Amsterdamer Chirurgen-Gilde. Vor ihm hatte der von Rembrandt verewigte Dr. Tulp diesen Posten.
Wie in Frankensteins Labor hat es im Hause Ruysch ausgeschaut
Tatsächlich brauchte man im Hause Ruysch gute Nerven. Wie in Frankensteins Laboratorium muss es an der Bloemgracht ausgesehen haben. Überall standen Gläser mit eingelegten Kröten und Schlangen. Dazu kamen unzählige Insekten und Pflanzen. In der Alten Pinakothek ist das jetzt schön geordnet in einem eigenen Saal zu studieren – die jeweiligen Staatssammlungen haben Spitzenobjekte herausgerückt – und mit den entsprechenden Ausführungen Ruyschs oder der fast 17 Jahre älteren Maria Sibylla Merian zu vergleichen. Auf Dioramen mit kleinen (Kinder)Skeletten wurde freilich verzichtet. Frederik Ruysch inszenierte kunstvoll präparierte menschliche Überreste als allegorische Szenen in Landschaften aus Nierensteinen und Blutgefäßen.
Dieses Gruselkabinett wurde als “Museum Anatomicum Ruyschianum” gleich nach seiner Eröffnung 1671 zur Touristenattraktion. Zar Peter der Große und auch Johann Wilhelm von der Pfalz besuchten dieses “achte Weltwunder” und kamen auf diese Weise in den Genuss von Rachels Stillleben.
Dass sie früh schon auf so hohem Niveau malt, hat auch mit der Familie zu tun. Vom Vater wird sie bereits mit ein paar Jahren angeleitet, nach der Natur zu zeichnen. Das Künstlerische lag eh in der Familie. Großvater Pieter Post war als Architekt u. a. am Bau des Mauritshuis in Den Haag beteiligt. Dessen Bruder Frans hatte den Holländern die paradiesischen Panoramen Südamerikas nahegebracht, und das sind nur zwei Vertreter aus dieser durchweg talentierten Verwandtschaft.
Trotz ihrer zehn Kinder mal Ruysch wacker weiter
Kunst bestimmte den Alltag. Ein junges Mädchen allerdings bei einem der bekanntesten Maler Amsterdams in die Lehre zu geben, spricht für die liberale Haltung Frederik Ruyschs. Zumal Willem van Aelst auch Rachels Schwester Anna ausbildet, die ihr mit wenigen erstaunlichen Werken gegenübergestellt wird. Da gibt es einigen Forschungsbedarf. Doch anders als Anna, legt Rachel nach ihrer Heirat 1693 mit dem Porträtisten Juriaen Pool keineswegs den Pinsel aus der Hand. Er ermuntert sie sogar weiterzumachen, auch mit den vielen Kindern.
Nun spaziert man durch dieses Werk, kann verfolgen, wie die noblen Rosen und gestreiften Nelken bald mehr Schwung erleben und durch Gräser und Kräuter, allerlei Getier und bald auch exotische Pflanzen eine ganz eigene Note erhalten. Über ihren Vater hat Ruysch Zugang zum Botanischen Garten mit sämtlichen Importen aus den überwiegend tropischen Kolonien. Ruysch ist näher an der Natur als die anderen, sie weiß, wie Blumen wachsen und wieder verwelken. Nicht die dünnsten Staubfäden sind erfunden, und doch konstruiert sie eine eigene Wirklichkeit.
Kämpfende Schnecken? Wie kurios
Denn was sie kombiniert, blüht selten gleichzeitig und kommt oft genug aus völlig unterschiedlichen Vegetationszonen. Auch die meisten Insekten und Reptilien dieser Kompositionen würden in der Realität nie aufeinandertreffen.
Dass sich eine Eidechse über ein Vogelnest hermacht wie im 1709 gemalten Früchtestück aus der Alten Pinakothek, ist eine verwegene Erfindung. Eine Vogelspinne muss ihren Nachwuchs kaum gegen einen Skink verteidigen, und wenn zwei Schnecken aneinandergeraten, ist das mindestens kurios. Aber dieses Naturschauspiel gibt Ruyschs Kunst den besonderen Kick.
Mit den Altvorderen Jan Davidsz. de Heem und Balthasar van der Ast oder der über 30 Jahre älteren Maria van Oosterwijck kann sie sich längst schon messen. Die Kunden stehen Schlange und warten geduldig auf eines der allenfalls zwei Gemälde pro Jahr.
Am Ende der Karriere malt sie Sträußchen in Bonbonfarben
So könnte es weitergehen, doch der Geschmack des Publikums ändert sich, die Entwicklung schreitet fort, deshalb erfindet sich Ruysch mit 80 Jahren noch einmal neu. Sie besinnt sich auf die Blumensträußchen ihrer Anfänge, verzichtet aber auf das dramatisierende Hell-Dunkel zugunsten einer einheitlichen Beleuchtung und wählt wie ihr junger Kollege Jan van Huysum einen freundlichen Fond. Dieses Gleiten ins Rokokohafte geht mit einer bonbonfarbigen Palette einher, das Ergebnis wirkt zuweilen künstlich. Ausgerechnet. Raffiniert ist das allemal, und bei Bienen und Schmetterlingen macht ihr sowieso keiner etwas vor.
“Nature into Art” bis 16. März 2025 in der Alte Pinakothek München, Di/Mi 10 bis 20, Do bis So 20 bis 18 Uhr, Katalog (MFA Publications, 248 Seiten, in Englisch) 39 Euro im Museum