Das Gesetz der Straße: Lynchjustiz in Teilen Afrikas | ABC-Z
Ihre Methoden sind grausam und tödlich: Wenn der Mob das Gesetz in die eigenen Hände nimmt, gibt es keinen Ausweg vor Lynchmorden, Verbrennungen, Verprügeln und Steinigungen von mutmaßlichen Verbrechern. Hass und Wut werden von einer Gruppe von Menschen entfesselt, die oft von Zuschauern auf den Straßen angefeuert werden, wenn sie kleinere Diebe steinigen oder Räuber verbrennen. Insbesondere in Südafrika kommt es auch immer wieder zu Fällen von “Necklacing”, bei der einer Person ein Autoreifen um den Hals gelegt und angezündet wird, häufig auch noch mit Benzin als Brandbeschleuniger.
In einigen afrikanischen Ländern sind Mob-Justiz und Vigilantismus tief in den Köpfen der Menschen verwurzelt, welche dies als gerechte Lösung sehen, wenn das Justizsystem ihrer Meinung nach versagt, sagt Maame Efua Addadzi-Koom, Dozentin für Recht an der Kwame-Nkrumah-Universität für Wissenschaft und Technologie in Ghana.
Insbesondere in Nigeria, Südafrika, Uganda sowie Kenia und Ghana sei diese Art der Straßenjustiz weit verbreitet, sagt Addadzi-Koom im Interview mit der DW. “Diebstahl oder Raub stehen ganz oben auf der Liste der Vergehen und Straftaten, die in der Regel Lynchjustiz nach sich ziehen”, sagt sie.
Laut einem im Oktober veröffentlichten Bericht von Amnesty International (AI) richtet sich die Gewalt des Mobs im Süden Nigerias hauptsächlich gegen diejenigen, die des Diebstahls, der Teilnahme an Ritualen oder der Ausübung von Hexerei beschuldigt werden.
Im Norden Nigerias werden vor allem der Blasphemie Beschuldigte Opfer von Gewalttaten, die oft von religiösen Klerikern unterstützt werden, so die Autoren des Berichts. Es sei erschreckend, dass Gewalt durch den Mob allmählich zur Norm werde, oft an überfüllten Orten wie Busbahnhöfen, Marktplätzen und belebten Straßen, sagte Isa Sanusi, AI-Direktor in Nigeria.
Viele der Opfer werden aufgrund ihres sozialen Status oder ihrer Identität als Mitglieder religiöser oder anderer Minderheitengruppen ins Visier genommen. AI hat in den vergangenen zehn Jahren in Nigeria mindestens 555 Opfer von Mob-Gewalt dokumentiert und einen Anstieg der Blasphemie-Morde festgestellt, die durch angebliche Aufwiegelung durch Kleriker sowie Vorwürfe von Korruption und Polizeiversagen angetrieben werden.
In Nigeria wird Gewalt-Kultur oft einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe zugeschrieben, erklärt Addadzi-Koom: “Das Tückische der kulturellen Gewalt ist, dass sie ein Teil des Gefüges der Gesellschaft oder einer bestimmten Gruppe von Menschen wird.”
Die zugrunde liegenden Ursachen für Diebstahl oder bewaffneten Raub seien weitgehend auf Armut zurückzuführen, sagt sie. In einem Land, in dem eine Wirtschaftskrise herrscht oder ein erheblicher Teil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, würden die Menschen durch die Umstände zu Diebstählen und bewaffneten Raubüberfällen getrieben, fügt sie hinzu.
In Südafrika habe die Lynchjustiz einen unbestreitbar verzweifelten, wütenden Charakter angenommen, schreibt Karl Kemp, Autor des in diesem März veröffentlichten Buches “Why We Kill” (“Warum wir töten”). Von den beispiellosen 27.000 dokumentierten Morden in Südafrika im Jahr 2022 wurden mindestens 1894 – oder sieben Prozent – der Lynchjustiz und dem Vigilantismus zugeschrieben, mehr als doppelt so viele wie vor fünf Jahren. In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 waren bereits weitere 1472 Morde im Zusammenhang mit Mob-Gerechtigkeit registriert worden, sagt er.
Die Gründe dafür werden von der Polizei erfasst. “Mob-Justiz ist in den Ranglisten seit 2017 stetig gestiegen”, sagt Kemp zu DW. Ein massiver Anstieg von Morden und Angriffen nach den Covid-Lockdowns habe zur Zunahme der Mob-Justiz beigetragen, sagt er.
Er fügt hinzu, dass Mob-Justiz parallel zur Kriminalität in Südafrika gestiegen ist. Die Polizei sei immer schlechter in ihrer Arbeit, behauptet Kemp. Ein Maßstab dafür sei die Aufklärungsrate von Straftaten, die an Gerichte verwiesen würden. “Diese liegt jetzt bei rund 12 Prozent bei Mordfällen, was bedeutet, dass nur 12 Prozent der Fälle jemals zu einer Anklage kommen.”
Die anhaltende Migration vom Land in die Städte, wo die Neuankömmlinge sich statt einem wirtschaftlichem Aufstieg häufig in prekären Umständen wiederfinden, verschärft das Problem. Dabei gibt es auch Faktoren, die für Südafrika spezifisch sind. “Südafrikanische Townships sind ein absoluter Albtraum”, sagt Kemp.
Auch Migranten aus ganz Afrika ziehen nach Südafrika, das soziale Gefüge in vielen Townships ist aufgrund des Wachstums der Elendsviertel extrem dünn. “Die Spannungen, die aus diesen überfüllten Bedingungen entstehen, kann die Regierung nicht lösen”, sagt Kemp. Das Land habe dafür Gesetze, aber es handele sich um eine “komplexe Untersuchung, die viel Zeit und Personal erfordert, und eine effektive Kontrolle durch die Polizei ist schwierig.”
In den meisten Fällen hätten Gemeinschaften friedlichere Wege gefunden, um Probleme anzugehen, sagt die Direktorin Annah Moyo-Kupeta. Erst wenn Polizei und Justiz nichts täten, um den Beschwerden nachzugehen, würden Menschen auf Gewalt zurückgreifen, schreibt die Menschenrechtsanwältin.
Gewaltsame Tötungen und Mob-Justiz sind ein Hinweis auf ungelöste Probleme aus Südafrikas traumatischer Vergangenheit, die viel zu lange unbeachtet geblieben sind. “Wir sind eine unglaublich gewalttätige Gesellschaft und das schon, seit Südafrika existiert”, sagt Kemp zu DW. Aber es gebe auch andere Gesellschaften mit einer kolonialen Vergangenheit, die nicht das Niveau an Gewalt erreichten, das in Südafrika herrsche.
Um diesen Gesellschaften zu helfen, das Problem der Mob-Justiz zu lösen, fordert Maame Efua Addadzi-Koom in Ghana effizientere Gesetze. Sie bezeichnet Lynchjustiz als schweres Verbrechen, das vom Rechtsstaat hart bestraft werden sollte. Sie habe aber noch kein positives Beispiel für einen Erfolg bei der Eindämmung von Mob-Justiz gefunden. “Wir müssen Ausbildung, Bewusstsein und mehr Dialog in der Gesellschaft schaffen.”
Das Justizsystem müsse fähig sein, rechtzeitig zu handeln. Wenn ein Straftäter zur Polizei geschickt werde, seien die Zellen voll, er käme nach wenigen Tagen wieder frei, Bestechungsgelder seien im Spiel oder es gebe keine Anklage, sagt sie und betont: “Das Strafjustizsystem muss saniert werden, um das Vertrauen der Menschen in das System wiederherzustellen.”
Übersetzt aus dem Englischen von Silja Fröhlich
Autor: Martina Schwikowski
Von Martina Schwikowski