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Autonomes Fahren: „Dieses Fahrzeug ist der Gamechanger“ | ABC-Z

Hamburg ist die Pionierstadt bei der Einführung des autonomen Fahrens – jedenfalls, wenn es um ein breites Angebot im sogenannten Ridepooling geht. Bei der ersten Möglichkeit zur Mitfahrt im normalen Verkehrswahnsinn der Stadt tauchen dann gleich alle bekannten Herausforderungen auf. Wie geht der Shuttle damit um?

Der Müllwagen verstopft die Straße, ein Überholen wäre nur über den aufgezeichneten Radwegstreifen möglich. Ein Transporter steht warnblinkend im Weg, die Ladetür geöffnet, aber kein Mensch ist zu sehen. Eine junge Frau steuert auf ihr Mobiltelefon blickend 30 Meter von der Ampel entfernt durch parkende Autos auf die Fahrbahn zu. Kurzum: ein ganz normaler Montagvormittag auf den Straßen von Hamburg-Wandsbek. Die stadttypischen Hindernisse, die ein autonom fahrender Kleinbus bewältigen muss, müssen in der Hansestadt nicht simuliert werden, sie entstehen im Minutentakt.

Auf einer Probefahrt mit dem VW-Prototyp des ID.Buzz AD konnten an diesem Morgen Journalisten buchstäblich erfahren, wie weit die Entwicklung des autonomen Fahrens bereits ist – und welche Wege noch zu bewältigen sind, bis 2025 in einer erweiterten öffentlichen Erprobung der Nutzerkreis erweitert wird, bevor dann das für alle zugängliche Angebot 2026 als Teil der MOIA-Flotte starten soll. Entwickelt werden das Fahrzeug und der Betriebsalgorithmus, der durch die Verwendung von künstlicher Intelligenz mit jedem Fahrkilometer ständig dazulernt, von Volkswagen ADMT. Auch MOIA selbst gehört zu dem Konzern, Hamburg ist mit München, wo auf einem abgesperrten Gelände geprobt wird, und der US-Metropole Austin einer der Teststandorte. Und vermutlich auch der mit den meisten Herausforderungen, ganz nach dem Frank-Sinatra-Motto: Wenn Du es hier schaffst, schaffst Du es überall.

Nach 30 Minuten kann gesagt werden: Hamburger Regenwetter und alle beschriebenen Hindernisse lassen den Kleinbus, der in der jetzigen Version über vier komfortable Sitze verfügt, zumindest nicht verzweifeln. Der extra geschulte Begleitfahrer muss auf der programmierten Rundtour einmal eingreifen, weil zum Überholen des erwähnten Transporters der Radstreifen kurz mitgenutzt werden muss. Später soll das Signal für solche Manöver von der Einsatzzentrale kommen, denn von 2026 an ist kein Notfall-Fahrer mehr dabei. Ob der autonome Shuttle dann aber tatsächlich losfährt, entscheidet er nach Auswertung aller Daten selbst – das ist am Ende auch für die oft diskutierte Haftungsfrage wichtig. Zu den anderen Fällen: Der Müllwagen bog in eine Seitenstraße ab, die junge Frau, die auf einem Monitor im Wageninneren wie alle Fußgänger als grünes Wesen zu sehen war, blickte doch noch rechtzeitig auf.

Für MOIA-Chef Sascha Meyer und Christian Senger, Markenvorstand Volkswagen Nutzfahrzeuge, sind solche Momente von hohem Wert. „Wir werden die Fahrzeuge nur in den Regelbetrieb lassen, wenn wir sicher sind, dass sie weniger Unfälle verursachen als menschliche Fahrer“, sagt Meyer. Und Senger, gelernter Ingenieur, ist ohnehin begeistert davon, wie nun künstliche Intelligenz und die Fragen der künftigen Mobilität zusammenwachsen. Mit spürbarer Leidenschaft erklärt er die verschiedenen Arten der installierten 300 Meter weitblickenden Rundum-Kameras, der beiden Radarsysteme und des gemeinsamen Dazulernens der ganzen Flotte, die derzeit noch aus 25 Fahrzeuge besteht, aber im Laufe der kommenden Jahre auf 10.000 allein in Hamburg wachsen soll. In dieser Größenordnung könnten die rund um die Uhr verfügbaren Vehikel innerhalb des HVV eine spürbare Ergänzung im sogenannten Ridepooling bringen, in dem sie ganze Fahrten übernehmen oder aber als Zubringer zu Bus und Bahn gebucht werden. Gerade für die sonst schwer durch feste Routen abbildbare Randbezirke wäre das wichtig, das autonome Fahrzeug wird per App gerufen, über die sich der Fahrgast dann auch beim Einsteigen identifiziert.

Zurück ins Fahrzeug: Im Vergleich zu ersten autonomen Probefahrten der vergangenen Jahre, die auch im Versuchsstadium in Hamburg zu erleben waren, ist ein deutlicher Unterschied erlebbar. Der ID.Buzz fährt problemlos von allein im Großstadtverkehr mit, er ist kein langsam rollendes Hindernis mehr. Tempo 50 in der Stadt oder auch 120 Stundenkilometer auf der Autobahn steuert er problemlos an. „Unser Vorbild ist im Fahrverhalten ein routinierter Taxifahrer“, sagt Meyer, wobei er vermutlich nur die positiven Seiten einer Berufsfahrer-Routine meint, also das smarte Mitschwimmen im Verkehrsfluss. Und da ist die Entwicklung schon sehr weit, es ist kein roboterhaftes Ruckeln und Zuckeln mehr zu spüren. „Wenn unsere Fahrgäste nach fünf Minuten ihr Handy rausholen, um die Mails zu checken, haben wir unser Ziel erreicht“, sagt Senger – denn dann ist das, was eben noch so neu und für manche wohl auch schwer zu glauben war, schon zur Normalität geworden.

VW will an dieser Stelle nicht sparen

Und Normalität, die viel mit Vertrauen zu tun hat, kann man gut skalieren. VW will in Europa und den USA zu den Vorreitern gehören. Auf Europa bezogen geht der Konzern davon aus, dass der Anteil der autonomen Fahrzeuge im Jahr 2035 bei zwei bis drei Millionen Fahrzeugen liegen wird, das entspräche einem Finanzvolumen von 161 Milliarden Euro. Mit dann weiter wachsenden Zahlen öffnen sich neue Türen für die VW-Zukunft, und diese sucht der Wolfsburger Autobauer wie alle anderen auch. Senger versichert jedenfalls, dass trotz des verkündeten Sparprogramms bei VW diese Sparte weiter wie vorgesehen gehalten werden soll.

Für den weiteren Ausbau seien dabei zwei Punkte von großer Bedeutung, die auch Moia-Chef Meyer betont. Zum einen müssen die interessierten Kommunen in der Lage sein, ein solches Ridepool-Projekt auch installieren zu können. Deswegen setzen Moia/VW auf Fahrzeuge, die alle Lösungen mit ihren Kameras und Prozessoren selbst an Bord haben, der Aufbau einer aufwendigen Infrastruktur an Ampeln, Straßen oder per GPS entfällt. Den jeweils ortstypischen Lernprozess bewältigen dann aber alle Fahrzeuge in einem internen Austausch und durch ständiges Updates miteinander, auch unter Zuhilfenahme von Daten, die andere Fahrzeuge der Konzernfamilie, zu der etwa Audi oder Porsche gehören, bereitstellen.

Der andere entscheidende Punkt ist – vielleicht neben rechtlichen Voraussetzungen, die laut Senger vor allem auf der Ebene des EU-Rechts noch getroffen werden müssen – die Akzeptanz bei den angestrebten Nutzergruppen. „Unsere Umfragen zeigen, dass 75 Prozent unserer Nutzer in Hamburg einen autonomen MOIA-Service neutral bis positiv sehen. Mehr als die Hälfte würden einen autonomen Service von MOIA gern nutzen“. Eine solide Basis, aber die Zahl sollte noch zu steigern sein. Dafür wurden auch möglichst alle Eventualitäten von menschlichem Verhalten in einem Bus bedacht, über eine Taste lässt sich etwa der sofortige Sprachkontakt zur Zentrale herstellen. Meyer ist sich jedenfalls sicher: „Dieses Fahrzeug ist der Gamechanger“. Und sein Kollege Senger assistiert im besten Ingenieurs-Entwicklerdeutsch: „Wenn alle Systeme erprobt sind und laufen, braucht es die Rückfallebene Mensch nicht mehr“ – jedenfalls nicht am Lenkrad.

Auch weiterhin Fahrzeuge mit Fahrer

Arbeitsplätze will MOIA deswegen aber nicht abbauen. Schon jetzt sei es schwierig, ausreichend Fahrerinnen und Fahrer zu finden. Zum einen soll es auch in Zukunft möglich sein, mittels der Buchungsapp von Menschen gesteuerte Shuttles zu ordern; zudem würden in den Steuerungszentralen sogar höher qualifizierte Arbeitsplätze entstehen. Vor allem aber gelte, so Meyer: „Ohne das autonome Fahren wäre der gewünschte Ausbau der Flotte im Hamburger Verkehrsmix niemals darstellbar.“

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