Wirtschaft

Die wundersame Geschichte von Kevin Krawietz und Tim Pütz | ABC-Z

Tim Pütz musste in den Katakomben der Inalpi Arena in Turin unbedingt zeitgleich eine Banane und einen Proteinriegel zu sich nehmen. Sein Energiespeicher brauchte Nachschub. Aber der deutsche Doppelspieler hatte mit seinem Partner Kevin Krawietz auch noch Pflichten zu erfüllen.

Eine kleine Pressekonferenz im Stehen stand für das deutsche Tennisdoppel nach seinem zweiten Sieg bei den ATP-Finals gegen die Italiener Simone Bolelli und Andrea Vavassori noch an. „Sind hier Kameras an?“, fragte Pütz. Er schaute sich um. Keine Gefahr. Der Frankfurter biss also in seine Banane und analysierte: „Die beiden Matches waren schon sehr gut hier. Wenn man ehrlich ist, auch etwas überdurchschnittlich. Das ist nicht die Normalform, wenn man das Jahr betrachtet.“

„Damit hatten wir ehrlich gesagt nicht gerechnet“

Das deutsche Doppel ist beim Jahresendturnier der besten acht Teams an niedrigster Position gesetzt. Sie kamen ohne große Erwartungen. Das hatte auch etwas mit einer Verletzung von Pütz zu tun. Beim Turnier in Antwerpen Mitte Oktober zog sich der Frankfurter einen Muskelfaserriss in der Wade zu. „Vor drei Wochen konnte ich kaum laufen“, sagte Pütz. Ihre Teilnahme am Paris Masters mussten die beiden besten Doppelspieler Deutschlands absagen.

In Turin passierte dann Anfang der Woche fast schon Wundersames. Zum Auftakt der ATP-Finals gelang ihnen mit dem Sieg über die topgesetzten French-Open-Sieger Marcelo Arevalo/Mate Pavic eine große Überraschung. „Damit hatten wir ehrlich gesagt nicht gerechnet“, sagte auch Krawietz. Jetzt, nach dem zweiten Erfolg in der Gruppenphase, stehen sie in der Vorschlussrunde und kämpfen am Samstag tatsächlich um den Einzug ins Endspiel des Saisonfinales – und das als erstes deutsches Doppel in der 55-jährigen Turniergeschichte.

Vor zwei Jahren beschlossen die beiden, dass sie fortan zusammen Doppel spielen wollten, und die Hoffnungen des Coburgers Krawietz (32 Jahre alt) und des Frankfurters Pütz (36), waren groß. Beide sind erfahren und haben im Laufe ihrer Karrieren schon bedeutsame Titel im Doppel- und Mixed-Wettbewerb gewinnen können. Nun wollten sie gemeinsam die Jagd nach den ganz fetten Pokalen im Profitennis bestreiten. In diesem Jahr war die Ausbeute „ganz gut“, so Krawietz in Turin.

Das Duo startete stark und erreichte das Finale in Brisbane sowie das Viertelfinale der Australian Open. Darauf folgten Halbfinalteilnahmen bei den Turnieren in Indian Wells und Miami, bevor sie vor heimischem Publikum ihren ersten Titel des Jahres errangen und ihren Erfolg bei den Hamburg Open erfolgreich verteidigen konnten. In New York bei den US Open schafften sie es sogar bis ins Finale. Verloren dort aber gegen die Australier Max Purcell/Jordan Thompson.

Der erste gemeinsame Grand-Slam-Titel ist jetzt das große Ziel für 2025. Aber vorher kann nun sogar noch dieses Jahr entgegen aller Voraussagen mit einer gewissen Gediegenheit enden. Unmittelbar nach den ATP-Finals steht ja auch noch die Davis Cup Finalrunde an. In Malaga schlagen Krawietz/Pütz dann wieder für Deutschland auf – und gelten fast schon traditionell als sichere Punktelieferanten. Aber soweit ist es längst noch nicht.

In Turin bei den ATP-Finals wollen die beiden in puncto Einstellung so fortfahren, wie sie in das Turnier gegangen sind: mit der maximal niedrigsten Erwartungshaltung an sich selbst. „Vielleicht ist das auch ein Grund, dass eine gewisse Lockerheit da ist“, sagte Pütz nach dem Sieg am Mittwochabend. Der Rahmen für zwei weitere Siege scheint also gesteckt.

Auf dem Weg zum Titel könnte noch ein weiterer Aspekt wichtig werden: der Aufmerksamkeitsfaktor. Dass Interesse am Doppelwettbewerb ist bei den Turnieren auf der Tour, auch bei den Grand-Slam-Turnieren, im Vergleich zu den Einzelwettbewerben normalerweise deutlich geringer. Aber in der Inalpi Arena ist das anders. Das Doppel ist eben nicht nur ein wenig beachtetes Rahmenprogramm für die Sinners und Zverevs, für die Superstars der Szene.

Beim Match von Krawietz und Pütz gegen die beiden Italiener war die Halle bis auf den letzten Platz gefüllt. 12.000 Tennisfans boten den Spielern unten auf dem Court ein Stimmungs-Spektakel. „So eine Bühne hat man als Doppelspieler ganz selten. Nicht mal beim Grand-Slam-Finale in New York hatten wir so viele Zuschauer“, sagte Krawietz hinterher: „Das macht unglaublich viel Spaß.“ Das fachkundige italienische Publikum stand natürlich hinter den eigenen Spielern. Aber die Fans jubelten am Ende auch den beiden Deutschen zu. „Wir spüren hier einfach gute Vibes“, sagte Pütz noch. Sein Energielevel schien schon wieder auf einem sehr hohen Niveau.

Back to top button