Geopolitik

Stephan Weil: „Union sollte sich davor hüten, jetzt in reine Blockadehaltung zu verfallen“ | ABC-Z

Niedersachsens Regierungschef Weil (SPD) stärkt dem Kanzler nach dem Ampel-Ende den Rücken und wirft FDP-Chef Lindner Schwäche vor: Dem habe es „am notwendigen Willen“ gefehlt. Er warnt die CDU/CSU, „wichtigen Gesetze“ der rot-grünen Minderheitsregierung die Stimme zu verweigern.

Stephan Weil, 65, ist seit Februar 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen. In seinem Bundesland ist er SPD-Vorsitzender.

WELT: Herr Weil, nach dem Scheitern der Ampel-Koalition im Bund will der Kanzler mehr als zwei Monate warten, ehe er die Vertrauensfrage stellt und somit Neuwahlen ermöglicht. Das kann für Sie, der seit Wochen auf schnelle Entscheidungen insbesondere in der Wirtschaftspolitik pocht, keine gute Nachricht sein, oder?

Stephan Weil: Der Kanzler hat für seinen Zeitplan gute Gründe genannt. Wichtige Gesetze, die noch verabschiedet werden müssen. Auf europäischer Ebene stehen Entscheidungen an, die man besser nicht aufschieben sollte. Die EU muss sich auf die US-Administration unter Donald Trump vorbereiten. Im Übrigen halte ich es für ausgesprochen wünschenswert, dass die Demokratinnen und Demokraten im Bundestag jetzt unter Beweis stellen, dass unser Land auch in solch einer Interimsphase funktioniert und kein Stillstand eintritt.

WELT: Halten Sie es ernsthaft für vorstellbar, dass die Union oder die FDP nach diesem Vorlauf rot-grünen Gesetzen zu Mehrheiten verhelfen?

Weil: Ich zähle nicht zum Beraterstab von CDU und CSU. Aber die Union sollte sich davor hüten, jetzt in eine reine Blockadehaltung zu verfallen. Nehmen Sie nur das neue Europäische Asylsystem (GEAS). Das möchte ich mal sehen, dass die Union dieses Vorhaben, das auch wichtige Anliegen der Union enthält, aus wahltaktischen Gründen im Bundestag blockiert.

Oder die Krankenhausreform. Wenn die jetzt einfach liegenbleibt, werden viele Krankenhäuser in den kommenden Monaten erhebliche Probleme bekommen. Ich glaube nicht, dass eine konservative Partei, die es gut meint mit diesem Land, sich angesichts der großen aktuellen Herausforderungen hinstellen kann und sagt: nicht mit uns.

WELT: War es im Nachhinein richtig, dass der Bundeskanzler, dass die SPD insgesamt so lange an der Ampel festgehalten hat?

Weil: Verantwortungsbewusstsein gehört zur DNA der SPD, und deshalb muss man sehr gute Gründe dafür haben, eine Regierungskoalition vorzeitig zu beenden. Olaf Scholz hat in den vergangenen Monaten immer wieder versucht, den Laden zusammenzuhalten. Davor habe ich großen Respekt. Am Ende mussten wir aber feststellen, dass es bei Christian Lindner am notwendigen Willen fehlt. Insofern war es am Ende nur konsequent, ihn zu entlassen.

WELT: Wenn Sie die ganze Sache von außen betrachten: Was war der Kern, der eigentliche Grund für das Zerbrechen der Ampel? Verlorenes Vertrauen der Beteiligten untereinander? Inhaltliche Differenzen?

Weil: Ich habe eine dritte Erklärung. Christian Lindner hat den Fortbestand der Ampel-Koalition am Ende im politischen Existenzkampf der FDP geopfert. Von Lindner stammt ja der schöne Satz: Lieber nicht regieren, als falsch regieren. Den hat er in seinen letzten Amtsmonaten leider ignoriert.

WELT: Hätte Ihre Partei der FDP nicht gerade wegen deren Existenznöten stärker entgegenkommen müssen? Stattdessen hat SPD-Chefin Saskia Esken behauptet, dass nicht ein einziger Punkt aus Christian Lindners Wirtschaftspapier verhandelbar sei.

Weil: Es ist ja durchaus über einen Kompromiss verhandelt worden. Gleichzeitig wurde dies aber begleitet von immer neuen Illoyalitäten Lindners gegenüber dem Kanzler. Und dann muss man irgendwann nüchtern feststellen, dass es keine Grundlage mehr gibt für eine weitere Zusammenarbeit.

WELT: Lindner selbst hat dem Kanzler vorgeworfen, ihn genötigt zu haben, das Grundgesetz zu verletzen, indem er trotz des Bundesverfassungsgerichtsurteils zusätzliche Schulden aufnimmt. Sie sind Jurist. Ist der Vorwurf berechtigt?

Weil: Ich bin kein ausgewiesener Verfassungsrechtler, aber die Argumentation des Kanzlers, dass wir es mit einer Notlage zu tun haben, halte ich für richtig. Wir haben es mit einem Bündel von Krisen und Problemen zu tun, aus denen sich das Land dringend befreien muss. Dazu gehört die dauerhafte Belastung des Haushalts durch die Ukraine-Hilfen, die wir absehbar noch verstärken müssen.

Und es gibt einen unabweisbaren Handlungsbedarf bei der Belebung unserer Wirtschaft. Wir sind jetzt im dritten Jahr einer wirtschaftlichen Seitwärtsbewegung, während die Wirtschaft in vielen anderen Ländern wächst. Das heißt: Wir fallen zurück. Das dürfen wir nicht hinnehmen, sonst wird der Schaden riesengroß.

WELT: Der Ton, in dem sich der Kanzler und sein ehemaliger Finanzminister derzeit beharken, nutzt vermutlich keinem von beiden, oder?

Weil: Irgendwann muss man ja seinem Ärger auch mal Luft machen. Es ist ja nur zu erahnen, welche Engelsgeduld der Bundeskanzler in dieser Koalition hat aufbringen müssen, um immer und immer wieder neue Kompromisse zustande zu bringen. Dass man den Bürgerinnen und Bürgern am Ende eines solchen Prozesses in verständlichen Worten erklärt, warum genau jetzt Schluss ist, das kann ich gut nachvollziehen und das verstehen auch viele Menschen.

WELT: Wie sollte sich die SPD für den kommenden Wahlkampf aufstellen? Olaf Scholz wird Kanzlerkandidat? Oder wäre es nach dem Scheitern der Ampel vielleicht doch sinnvoller mit Boris Pistorius personell auf einen Neuanfang zu setzen?

Weil: Olaf Scholz hat in dieser Woche eindrucksvoll bewiesen, dass er das hat, was ein Bundeskanzler mitbringen muss: Stehvermögen, den Mut zu schwierigen Entscheidungen und, vor allem anderen, ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein.

WELT: Und inhaltlich? Welche Schwerpunkte sollte die SPD im Wahlkampf setzen?

Weil: Deutschland befindet sich offenkundig in einer Schwächephase. Im Wahlkampf wird es also darum gehen müssen, wie wir das Land wieder stark und widerstandsfähig machen. Das gilt insbesondere für die Wirtschaft. Wenn uns das gelingt, stärken wir automatisch auch die Demokratie und stabilisieren damit die gesamte Gesellschaft. Ein starkes Land mit einer starken Demokratie – darum geht es aus meiner Sicht.

Korrespondent Ulrich Exner ist bei WELT vor allem für die norddeutschen Bundesländer zuständig.

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