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BAMBI-Preisträgerin 2024: Mut: Was Margot Friedländer zur Kämpferin für Freiheit und Toleranz macht | ABC-Z

„Seid Menschen!“ ist ihr Aufruf. Denn Margot Friedländer hat viel Unmenschliches erfahren. Sie ist Holocaust-Überlebende, verlor ihre gesamte Familie und kämpft nun gegen das Vergessen. Dafür erhält die 103-Jährige den BAMBI in der Kategorie „Mut“.

Sie hat Todesangst erlebt, sie hat überlebt: Margot Friedländer ist gerade erst 103 Jahre alt geworden. Dass die Jüdin dieses, wie es so schön heißt, biblische Alter erreichen würde, war zu gewissen Zeiten alles andere als erwartbar. Sie befand sich in einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten, nach ihrer Befreiung verließ sie Deutschland. Mit 88 Jahren kehrte die Holocaust-Überlebende zurück in ihre Heimatstadt Berlin und hat eine Botschaft an die Menschen.

Sie kämpft unerschütterlich für Freiheit und Toleranz

Darum geht der BAMBI 2024 in der Kategorie „Mut“ an Margot Friedländer. Die Jury erklärt: „Margot Friedländer gebührt unser höchster Respekt. Die Nationalsozialisten verfolgten sie, weil sie Jüdin ist, nun kämpft sie für ein friedliches Miteinander aller Menschen und Kulturen. Ihre Mission für Menschlichkeit macht sie zu einem Vorbild. Dass ihr selbst unfassbare Unmenschlichkeit widerfuhr, verleiht ihren Worten besondere Bedeutung. 

Margot Friedländer war zu einem Leben im Untergrund gezwungen, um sich vor dem Terror der Nazis zu verstecken. Nachdem sie dennoch entdeckt wird, lebt sie ein Jahr lang in Todesangst im sogenannten Transitlager Theresienstadt, das in menschenverachtendem Zynismus als ‚jüdische Mustersiedlung‘ dargestellt wird. 

Ihre Mutter, ihr Vater und ihr Bruder sterben als Opfer der Nazis. Margot Friedländer, eine Überlebende des Holocausts, kämpft unerschütterlich für Freiheit und Toleranz, gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit, das verdient unsere Hochachtung. Wir verneigen uns vor einer mutigen Frau mit einem unendlich großen Herzen und einem eindringlichen Appell, den sie insbesondere an jüngere Generationen richtet: ‚Seid Menschen!‘“

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Ein Satz, eine Tasche und eine Bernsteinkette

„Die das damals gemacht haben, waren definitiv keine Menschen“, urteilte Friedländer im „MUT-Talk“ mit Tijen Onaran. Denn ein Mensch würde so etwas nicht machen. Bis heute fragt sie: „Was macht denn die Religion für einen Unterschied? Ob jüdisch oder muslimisch? Wir sind auf dieselbe Art und Weise auf die Welt gekommen. Genauso. Alle.“

Sie selbst ist am 5. November 1921 in Berlin als Margot Bendheim und Tochter jüdischer Eltern geboren worden. Zunächst verbrachte sie mit ihrem jüngeren Bruder Ralph und ihren Eltern eine glückliche Kindheit. Nach der Schule begann sie eine Lehre als Schneiderin. Die Ehe der Eltern entwickelte sich als problematisch, die Scheidung folgte. 

Die Pogromnacht am 9. November 1938 änderte alles. Margot, Ralph und die Mutter versuchten mehrmals, Deutschland zu verlassen. Erfolglos. Ab 1940 musste Margot Zwangsarbeit in einer Fabrik leisten. 1943 planten sie schließlich aus Berlin zu Verwandten nach Oberschlesien zu fliehen. Doch ihr Bruder wurde von der Gestapo verhaftet. Auch die Mutter war nicht aufzufinden, als die 21-Jährige am 20. Januar 1943 nach Hause kam. 

Über Nachbarn hinterließ sie ihrer Tochter eine Botschaft: „Ich habe mich entschlossen, mit Ralph zu gehen, wohin immer das auch sein mag. Versuche, dein Leben zu machen.“ Außerdem übergaben sie ihr eine Handtasche mit einem Notizbuch mit Kontakten und einer Bernsteinkette. 

Wie Margot die Nazi-Zeit überlebte

Sollte sie ihrer Familie folgen? Nein, beschloss Margot und entschied unterzutauchen. Für fünfzehn Monate lebte sie im Untergrund. Sie färbte ihre Haare, ließ ihre Nase operieren und tauschte den Judenstern gegen eine Kette mit Kreuz. Dreimal entkam sie der Gestapo. Doch im April 1944 ging sie „Greifern“, Jüdinnen und Juden, die im Dienst der Gestapo standen, in die Falle. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert und überlebte mit Glück. Ihr Vater starb 1942 in einem Vernichtungslager der Nazis. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet.

Im Lager in Theresienstadt traf sie zudem Anfang 1945 auf Adolf Friedländer, ihren späteren Ehemann. Sie kannte ihn aus Berlin von ihrer Arbeit als Schneiderin. Damals hatte sie sich nicht für den Verwaltungschef des Jüdischen Kulturbunds interessiert. Das änderte sich nun. Auch er verlor seine Familie durch die Nazis. 

„Versuche, dein Leben zu machen“

Die Notiz ihrer Mutter war Margot Bendheim stets Ansporn zum Leben, zum Überleben. Nach der Befreiung des Lagers heiratete das Paar im Frühsommer 1945 noch in Theresienstadt. 1946 holte sie die Schwester von Adolf Friedländer in die USA.

In ihrem neuen Zufluchtsort New York arbeitete Margot Friedländer unter anderem als Änderungsschneiderin. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 1997 begann sie, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Denn im Gegensatz zu ihm, der gänzlich mit Deutschland gebrochen hatte, sah sie die Rolle der Deutschen immer etwas differenzierter, wie sie im „Spiegel“-Gespräch erzählte: „Einige hatten zwar mein Leben zerstört, andere aber hatten es gerettet: Deutsche hatten mich versteckt, Juden mich ausgeliefert.“ Ihre Autobiografie mit dem Titel „Versuche, dein Leben zu machen“ erschien 2008.

Margot Friedländers Weg zurück nach Deutschland

Im Jahr 2003 kam Margot Friedländer erstmals in ihre Heimatstadt zurück. Seit 2010 lebt sie wieder in Berlin. Zu diesem Zeitpunkt erhielt sie auch ihre deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Der Bundespräsident verlieh ihr im Schloss Bellevue das Bundesverdienstkreuz. Dieses ist nur eine von vielen Auszeichnungen, die Friedländer bis heute erhalten hat. Dazu zählen unter anderem die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin und die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin.

2023 gründet sie die Margot-Friedländer-Stiftung, die ihr Lebenswerk weiterführen soll und den Margot Friedländer-Preis verleiht. Mit dem Preis werden Personen ausgezeichnet, die sich gegen Antisemitismus und für Demokratie, Toleranz und Menschlichkeit einsetzen. Sie selbst engagiert unermüdlich in Schulen und Bildungseinrichtungen. „Ich spreche für die, die es nicht mehr können. Für die sechs Millionen Menschen, die man umgebracht hat, nur weil sie Juden waren“, sagt Friedländer.

„Versuche, dein Leben mit deinen Mitmenschen zu leben, so gut es geht“

Die aktuelle Lage mit dem Rechtsruck in Deutschland beunruhigt die nun 103-Jährige durchaus. „Ich muss sagen, ich bin sehr enttäuscht, dass es wieder so aufgeflammt ist“, sagte Friedländer im „MUT-Talk“ von FOCUS online

Ihr Appell an diese Menschen: „Bleibt auf der Erde.“ Sie erinnert daran, dass auch im Jahr 2024 nicht alles perfekt sei und es Probleme im Land gebe. Dennoch legt sie allen Verunsicherten ihr eigenes Credo ans Herz: „Versuche, dein Leben so gut zu leben mit deinen Mitmenschen, so gut es geht.“

Für ihr eigenes Leben zog sie im Gespräch mit dem „Spiegel“ im Alter von knapp 93 Jahren einmal Bilanz: „Ich habe versucht, mein Leben zu machen, wie es sich meine Mutter gewünscht hatte – und bin mit dem Ergebnis ganz zufrieden.“ Zehn Jahre später engagiert Margot Friedländer sich immer noch mit Leidenschaft gegen das Vergessen. Ganz nach dem Motto, das sie kürzlich in der „NZZ“ verriet: „Ich lebe für jetzt und hoffe für die Zukunft.“

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BAMBI wird am 7. November 2024 zum ersten Mal ab 20.15 Uhr live aus den Bavaria Filmstudios gestreamt. Medienpartner von BAMBI ist Prime Video. Noch kein Amazon Prime Video Kunde? Hier 30 Tage kostenlos testen – anschließend für 8,99 Euro/Monat oder für 89,90 Euro/Jahr streamen.

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