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JVA Gablingen: Das bayerische Mustergefängnis und die „Folter“-Vorwürfe | ABC-Z

Die Justizvollzugsanstalt Gablingen mit 600 Plätzen gilt als modernstes Gefängnis Bayerns. Doch nun erhebt eine Ärztin den Vorwurf der „Folter“ gegen Bedienstete. Juristen sehen „mögliche Menschenrechtsverstöße von staatlicher Seite“.

Redet man von „Folter“, dann ist damit in der Regel gemeint, jemand werde mit Schmerzen, Verletzungen, simulierter Tötung, Schlafentzug oder anderem zu einer Aussage oder einem Geständnis gezwungen. Von „Folter“ sprach auch eine Ärztin, die vergangenes Jahr stundenweise in der bayerischen Justizvollzugsanstalt (JVA) Augsburg-Gablingen aushalf.

Sie schrieb im Oktober 2023 eine „Eingabe“ an das bayerische Justizministerium. Die hat jetzt Konsequenzen: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Justizbedienstete, und in der JVA herrscht Ausnahmezustand.

Mittlerweile richten sich die Ermittlungen gegen 16 Beamte, wie die Staatsanwaltschaft aktuell mitteilt. Eine von ihnen ist die stellvertretende Direktorin des Gefängnisses. Der Verdacht lautet auf Körperverletzung. Sämtliche Bedienstete wurden suspendiert, sie dürfen die Anstalt auch nicht mehr betreten.

Der Direktorin, gegen die freilich nicht ermittelt wird, entzog das Ministerium vorübergehend ihre Befugnisse und setzte kommissarisch eine neue Chefin ein. Der spezielle Sicherheits-Haftraum darf nur noch nach besonderer Prüfung in jedem einzelnen Fall genutzt werden. Außerdem berief Justizminister Georg Eisenreich (CSU) eine „Taskforce“, die die internen Abläufe untersuchen soll. Ermittlungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft Augsburg.

Dort ist zu hören, das Verfahren laufe schleppend, und zwar schon deshalb, weil nicht ganz klar sei, was genau passiert sei. Die Ärztin, die den Fall aufbrachte, tue sich schwer, konkrete Vorwürfe zu benennen. Es sei auch nicht herauszubekommen, was sie selbst erlebt habe und was sie nur vom Hörensagen kenne.

Der „Süddeutschen Zeitung“ gewährte sie ein Interview, in dem sie von „Folter“ spricht. Einzelne Gefangene würden in einem Sicherungsraum ohne Einrichtung und ohne Duschmöglichkeit eingesperrt und müssten dort auf dem Boden schlafen. „Erlebt“ habe sie solche Einschlüsse von bis zu 24 Stunden Dauer, einmal sei es eine volle Woche gewesen. Sie habe außerdem davon gehört, dass manche Häftlinge mehrere Wochen oder sogar Monate im Loch geschmort hätten. Wie die Wegschlüsse begründet worden seien, geht aus ihren Angaben nicht hervor. Als „Folter“ bezeichnete sie bereits das Wegschließen in den Sicherungsraum an und für sich.

Ähnlich sollen ihre Aussagen im Ermittlungsverfahren lauten. Aus Kreisen der Staatsanwaltschaft heißt es: Viel konkreter sei sie auch da nicht geworden. Schriftlich dokumentiert worden seien die Fälle nur unzureichend. Es sei schon schwer gewesen, überhaupt konkrete Namen zu erfahren.

Ein Teil der Ermittlungsverfahren geht darauf zurück, dass Beamte versucht haben sollen, Unterlagen zu schreddern. Dabei seien sie erwischt worden. Inzwischen soll die Staatsanwaltschaft alles an Daten und Akten beschlagnahmt haben, was bei den Ermittlungen helfen könnte. Auch mehrere Mobiltelefone wurden einkassiert und sollen jetzt ausgewertet werden.

Monate, bis der „Anfangsverdacht“ feststand

Politisch schlägt der Fall Wellen. Der Rechtsausschuss des Landtags hat Minister Eisenreich zum Rapport geladen. Eine Gruppe von Strafverteidigern verfasste einen offenen Brief, den das Portal „Legal Tribute Online“ veröffentlicht hat. Oben auf der Seite prangt abgedruckt der Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Ministerium habe die Vorwürfe der Ärztin zu spät aufgegriffen, kritisieren die Anwälte. Es gehe hier um „mögliche Menschenrechtsverstöße von staatlicher Seite“.

Denen hätte man sogar schon nachgehen müssen, als die Staatsanwaltschaft noch nicht genug Hinweise hatte, um wenigstens einen „Anfangsverdacht“ zu formulieren. Sogar Vertreter der vom Bundesjustizministerium in Berlin auf Grundlage von UN-Verträgen eingesetzten „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“ reisten nach Augsburg, um die Haftanstalt zu besichtigen.

Es dauerte dann trotzdem mehrere Monate, bis die Staatsanwälte nach der Eingabe der Ärztin einen „Anfangsverdacht“ beisammen hatten. Die Debatte und das öffentliche Interesse an dem Fall hätten Hinweisgeber motiviert, heißt es unter Ermittlern. Überzeugt habe sie, dass die Hinweise „Insider-Informationen“ enthielten, also von Leuten stammten, die über interne Kenntnisse der Haftanstalt verfügten.

Konkretere Vorwürfe kennt auch die Gewerkschaft der Justizbediensteten in Bayern bisher nicht. „Wir haben keinen Kontakt zu den Betroffenen“, sagt deren Sprecher Thomas Benedikt WELT. Die Aufklärung begrüße er. Benedikt verwies darauf, dass in Bayern mehr als 6000 Justizbeamte tätig seien, denen der Justizminister gerade erst bescheinigt habe, im Großen und Ganzen „vorbildliche Arbeit“ zu leisten.

Eigentlich sollte Augsburg-Gablingen so etwas wie ein bayerisches Mustergefängnis werden: Es ist die modernste Haftanstalt in Bayern und wurde 2015 nach vier Jahren Bauzeit eröffnet. In Gablingen gibt es Platz für rund 600 Gefangene.

Gegen die Leiterin der Anstalt gab es 2015 schon einmal ein Verfahren. Ein Untersuchungshäftling wurde nach einem septischen Schock für eine Notoperation in das Augsburger Klinikum gebracht. Dort ketteten ihn Justizbeamte ans Bett, während er im künstlichen Koma lag. Ein Richter verfügte, dass die Fessel entfernt werden müsse, was die Justizwächter aber ignorierten. Der Richter erstattete Strafanzeige gegen die Leiterin. Ein anderes Gericht stellte das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße ein.

Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die bayerische Politik.

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