Kommission arbeitet Missbrauchsfälle im deutschen Schwimmsport auf und stellt Bericht vor – Sport | ABC-Z
Seit März 2023 hat eine externe Missbrauchs-Aufarbeitungskommission daran gearbeitet, noch mehr Licht in die Abgründe des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) zu bringen. Am Mittwoch hat die Gruppe unter Federführung der Kölner Sportsoziologin Bettina Rulofs nun ihre Ergebnisse bekannt gegeben, fast acht Monate später als geplant. Auch wegen der komplexen Anhörung von Missbrauchsopfern und Zeugen kam es zu der Verzögerung, was nachvollziehbar ist, wenn es um die Intimsphäre von Menschen geht.
120 Seiten lang ist der Bericht, er basiert auf 27 Einzelinterviews auch mit Betroffenen, zudem wertete die Kommission mehr als 350 Seiten aus dem DSV-Archiv zum Umgang des Dachverbandes und der Landesverbände mit sexualisierter Gewalt aus. Ihr Ausgangspunkt war die ARD-Dokumentation „Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmen“ vom August 2022, in der verschiedene Fälle von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im Schwimmsport öffentlich wurden. Inklusive der Causa um den Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel, der seinem Trainer vorwarf, ihn in den achtziger und neunziger Jahren massiv missbraucht zu haben.
:Freiwasser-Bundesstützpunkt Würzburg wird geschlossen
Der traditionsreiche Standort brachte über viele Jahre Goldgewinner und Spitzenschwimmer hervor. Nun darf er nicht mehr Bundeszentrum sein – das hat offenbar auch mit der Causa Stefan Lurz zu tun.
Der Fall lag im Fokus der Kommission, die zum Schluss kommt, „dass Jan Hempel jahrelang durch seinen damaligen Trainer sexuell missbraucht wurde“. Hempel hatte in der ARD von einem eineinhalb Jahrzehnte langen Martyrium berichtet. Sein Trainer Werner Langer, den er beschuldigt, kann nicht mehr befragt werden, er beging 2001 Suizid. Hempel, der betonte, dass hohe DSV-Funktionäre früh von den Übergriffen erfahren, aber nichts unternommen hätten, wurde vor einem Jahr vom DSV mit 600 000 Euro entschädigt. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass es Mitwisser gegeben haben muss, „dass mindestens die damalige Bundestrainerin im Wasserspringen (…) von den Vorfällen wusste. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte Jan Hempel hinreichende Unterstützung zuteilwerden können, und es hätten Sanktionsmaßnahmen gegen den Trainer eingeleitet werden können“.
Die Causa Hempel ist kein Einzelfall, sondern wohl ein Beispiel für das unermessliche Leid durch Taten, die begangen werden konnten, weil das System dazu wie geschaffen war, weil es Schweigekartelle gab und noch immer gibt. „Die Strukturen in manchen untersuchten Fällen luden Personen mit Tatabsichten dazu ein, Machtmissbrauch zu begehen, ohne entdeckt zu werden“, sagt Sportsoziologin Rulofs. Die Abgeschiedenheit der Umkleidekabine, das Abhängigkeitsverhältnis zum Trainer, die Ohnmacht und die Ungläubigkeit der Eltern, wenn ihr Kind allen Mut zusammennimmt und sich ihnen offenbart: all das spielt hinein.
Im Fall Würzburg findet die Kommission lobende Worte für den DSV
Weitere Fälle wurden von der Kommission untersucht, auch aus dem Wasserspringen, außerhalb der Trainingsgruppe von Jan Hempel. Entsprechend den Schilderungen ging es dort um sexuellen Missbrauch, die die Betroffenen in der Vergangenheit als Kinder und Jugendliche durch ihre Trainer erfahren hatten. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nennt die Kommission in der 19-seitigen Zusammenfassung ihres Berichts keine Namen.
Im Fall des schließlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilten früheren Bundesstützpunkttrainers Stefan Lurz, der lange Zeit trotz wiederkehrender Vorwürfe in Würzburg wirken konnte, legte die Kommission ihr Augenmerk auf die Aufarbeitung durch den DSV – und fand dabei auch lobende Worte. „Dabei wurde deutlich, dass seit dem Jahre 2010 im DSV eine Entwicklung und Optimierung von Strukturen zum Umgang mit Vorfällen sexualisierter Gewalt stattgefunden hat.“
Insgesamt stellt der Bericht dem DSV aber eher ein schlechtes Zeugnis aus – und spricht von strukturellen Mängeln bei der Vorbeugung, Verfolgung und Sanktionierung sexualisierter Gewalt im deutschen Schwimmsport. Demnach benötige es weitere Maßnahmen, um Schwimmerinnen und Schwimmer vor Missbrauch zu schützen. Die Kommission schlägt dazu unter anderem eine „gläserne Schwimmhalle“ vor, die mit „Transparenz, kollegialer Teamarbeit und Supervision“ sicherstellen soll, dass Coaches nicht allein und abgeschottet mit ihren Schützlingen arbeiten. „Wir empfehlen dem DSV dringend, sich selbstkritisch zu hinterfragen, an welchen Trainingsstützpunkten und in welchen Vereinen solche gewaltförderlichen Strukturen noch immer fortwähren und die Unversehrtheit sowie das Wohlergehen der Athlet*innen zweifelsfrei nach vorne zu stellen“, sagt Sportsoziologin Rulofs.
Zudem müssten die DSV-Satzung und Regelungen angepasst werden – auch weil konkrete Sanktionen bei sexualisierter Gewalt sowie Sofortmaßnahmen, wie bei ersten Anhaltspunkten für sexualisierte Gewalt vor Abschluss eines Disziplinarverfahrens umzugehen ist, in den Paragrafen fehlten. „Wer Sexualstraftaten begangen hat, hat keinen Platz im Schwimmsport. Unser Ziel ist es, bis Ende 2025 die notwendigen Änderungen in den Regelwerken vorzunehmen“, kündigte DSV-Präsident David Profit an.
Fest steht, dass etwas in Bewegung gekommen ist
Vorstandsmitglied Wolfgang Rupieper sagte: „Es ist ein alarmierendes Ergebnis, dass der Schwimmsport in der Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, Sexualstraftäter*innen konsequent auszuschließen.“ Die zentrale Erkenntnis sei die „Notwendigkeit einer Null-Toleranz-Politik gegenüber Sexualstraftäter*innen im Schwimmsport“, schrieb der DSV.
Fest steht immerhin, dass etwas in Bewegung gekommen ist – auch durch bekannt gewordene Fälle wie jenen von Jan Hempel. Erst vor einer Woche hat der Deutsche Olympische Sportbund den Safe Sport Code vorgestellt, ein Muster-Regelwerk, das Vereinen und Verbänden helfen soll, interpersonale Gewalt besser zu bekämpfen und Täter konsequenter zu sanktionieren. Und Anfang 2025 startet im Rahmen des Forschungsprojekts „Safe Clubs“ ein von der Sporthochschule Köln entwickeltes Online-Schulungstool, das Sportvereine kostenfrei nutzen können.
Das alles klingt noch nicht nach jener Null-Toleranz-Politik, die sich der DSV nach vielen Jahren des Wegschauens nun selbst auferlegt. Und bei vielen Maßnahmen ist unklar, ob sie wirklich für die Praxis taugen. Aber es geht hier ja vor allem um eines: Strukturen aufzubrechen, Transparenz zu schaffen – und ein Umfeld, das so gefestigt ist, dass darin kein Missbrauch mehr möglich ist.