Ironman Hawaii: Der bewegende Kampf eines unheilbar Kranken | ABC-Z

Eine Stunde vor Mitternacht kehrt Hawaii-Champion Patrick Lange zurück ins Ziel und ehrt die Letzten. Eine besonders bemerkenswerte Geschichte hat Jonathan Pascual. Der Krebs hat seinen Körper eingenommen, seinen Traum aber lässt er sich nicht nehmen. Früh droht er zu scheitern.
„Und hier ist er. Der Mann, der sagt: Alles ist möglich. Und der es lebt. Und der es in dieser Nacht erneut beweist: Jonathan Pascual“, ruft der Moderator im Ziel des Ironman Hawaii. In der Ferne taucht eine Gestalt in weiß-schwarzem Triathlon-Anzug auf. Er wird bald sterben, doch an diesem Tag feiert er das Leben.
Es ist dunkel geworden in Kailua-Kona auf Hawaii, etwa 60 Triathleten sind noch irgendwo draußen auf der Strecke des legendären Ironman. 17 Stunden ab dem Zeitpunkt ihres Startes im Pazifik haben sie, um ihr Abenteuer zu beenden. Danach wird das Ziel mit einem Feuertanz geschlossen. Noch aber ist Zeit, den Traum zu vollenden, die letzte Stunde bricht an. Die TV-Übertragungen sind längst beendet, die kommentierten Livestreams abgeschaltet, aber eine Zielkamera ehrt mit einer Dauerübertragung all jene, die nun ankommen. Und sie zeigt Hunderte Zuschauer, die sich zur traditionellen Zielparty versammelt haben – darunter Freunde und Familien von Athleten, die noch unterwegs sind, dazu Fans und Sportler, die es bereits vollbracht haben. Und der neue Champion.
Patrick Lange, der vor mehr als acht Stunden zum dritten Mal den Triathlon-Thron bestieg und sich in 7:35:53 Stunden zum Ironman-Weltmeister krönte, ist zurück. Auf seinem Kopf ein hawaiianischer Blumenkranz, „Haku Lei“ genannt, der traditionell dem Sieger verliehen wird. In seiner Hand Finisher-Medaillen, die er nun jedem, der die 3,86 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Laufen noch rechtzeitig beendet, umhängt. Der Champion ehrt die Altersklassenathleten.
Die magisch-tragische 17-Stunden-Marke und andere Cut-Offs
Gut 2400 von ihnen hatten sich am frühen Morgen nach den Profis auf die Strecke gemacht. Sie alle haben ihre Geschichte, ihre Motivation und ihre Ziele. Für viele war die Qualifikation ein Lebenstraum. Manche wollten gar den Sieg in ihrer Altersklasse holen und feierten ihn dann tatsächlich – wie die Deutschen Christian Haupt (AK 40-44) und Hermann Scheiring (65-69). Für manche ist allein die Teilnahme ein Traum und das Finishen innerhalb der erlaubten Zeit größer als alles andere.
Nicht nur die magisch-tragische 17-Stunden-Marke ganz am Ende ist einzuhalten, sondern auch sogenannte Cut-Off-Zeiten zuvor. 2:30 Stunden nach dem jeweiligen Schwimmstart muss das Ufer erreicht sein. Auf dem Rad gibt es nach 95 und 153 Kilometer Zwischenmarken sowie die Grenze von 10:30 Stunden, nach der auch die zweite Disziplin beendet sein muss. Und auch beim Laufen gibt es noch eine Zwischenmarke: Bis 23.05 Uhr müssen die Athleten 30 Kilometer geschafft haben.
Billy Monger, dem nach einem Unfall beidseitig unterschenkelamputierten früheren Rennfahrer, gelingt das mit Bravour in 14:23:56 Stunden. Das Vater-Sohn-Duo Jeff und Johnny Agar aus den USA kämpft sich durch den Pazifik, muss jedoch nach etwa Dreiviertel der Radstrecke aufgeben. Johnny hat eine zerebrale Lähmung, Vater Jeff zieht ihn in einem Boot beim Schwimmen hinter sich her, zieht ihn auf dem Rad und schiebt ihn beim Laufen. Nach fünf gescheiterten Versuchen über die volle Ironman-Distanz gelang es ihnen schließlich 2022 – und Johnny ging selbst über den Zielstrich.
Auf Hawaii schaffen sie es nicht, dennoch ist diese Geschichte nach dem Vorbild von Dick Hoyt und dessen Sohn Rick besonders. Ein anderes Duo schafft es an diesem Tag: die US-Brüder Brent und Kyle Pease. Brent zieht und schiebt seinen jüngeren Bruder Kyle, der an spastischer Tetraplegie leidet. Nach 14:08:03 finishen sie zum zweiten Mal den Ironman Hawaii. Jonathan Pascual, der 50 Jahre alte Familienvater aus den USA, hat da noch etliche Kilometer vor sich.
Beim Schwimmen am Ende seiner Kräfte
Seinen Startplatz verdient hat er sich durch das Legacy-Programm, das all jene belohnt, die mindestens zwölf Ironman-Rennen ins Ziel gebracht haben und noch nie auf Hawaii gestartet sind. Jedes Jahr darf auf diese Weise eine kleine Anzahl Triathleten nach Hawaii reisen. Pascual, der bereits 15 Langdistanzen absolviert hat, hätte eigentlich 2022 starten sollen.
Nachdem bei ihm 2007 ein Hirntumor diagnostiziert worden war, der entfernt werden konnte, folgte 2022 eine weitere Diagnose, die alles verändern sollte: Paragangliom, ein sehr seltener Tumor, der zwar meistens gutartig ist, allerdings oft metastasiert – wie bei Pascual. Keine Chance auf Heilung. Die Krebserkrankung ergreift immer mehr Besitz von ihm, hat sich bereits auf Lunge und Knochen ausgebreitet. Etwa fünf Jahre habe er noch, hieß es 2022. Mit Bestrahlung und anderen Therapien versucht er, das Fortschreiten zu verlangsamen und sich lebenswerte Zeit zu verschaffen. Und die will er nutzen.
Trotz oder gerade wegen chronischer Schmerzen und Symptomen wie Atemnot entschied er, seinen Hawaii-Traum weiterzuverfolgen, außerdem weiter als Pfleger auf einer Lungentransplantationsstation im Krankenhaus zu arbeiten und vor allem, Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Sie ist mit ihm nach Hawaii gereist. „Das nenne ich die Kunst des Sterbens. Sie ist untrennbar mit dem Leben verwoben“, sagte Pascual der US-Zeitung „The Press Democrat“ kürzlich. Sein Start auf Hawaii, auch der kurz zuvor absolvierte Ultramarathon sollen zudem helfen, auf die Krebsfrüherkennung hinzuweisen. Und er will Mut machen.
Nicht jedes Training, das er sich in den vergangenen Monaten vornahm, war möglich, aber Pascual hat es an die Startlinie geschafft. Seine gefürchtete Disziplin beim Triathlon ist aufgrund der Atemprobleme das Schwimmen. Und es wird der erwartete Kampf.
„Ich dachte, ich schaffe es nicht“
Mehr und mehr Athleten verlassen an diesem Samstag den Pazifik und steigen aufs Rad – Pascual ist einer der Letzten, der noch draußen darum kämpft, es rechtzeitig zu schaffen. Der Ozean verlangt ihm alles ab. Nach 2:17:52 Stunden, also zwölf Minuten vor dem Cut-Off, erreicht er schließlich den Pier von Kailua-Kona und begibt sich auf die Radstrecke. „Es war das härteste Schwimmen, das ich jemals gemacht habe“, sagt er auf dem Rad in eine Kamera des Veranstalters. „Ich dachte, ich schaffe es nicht, aber jetzt geht es mir besser.“
7:09 Stunden benötigt er für die 180 Kilometer und dann 6:30 Stunden für den Marathon – Jonathan Pascual erreicht den roten Teppich.
„Jonathan!“, ruft der Moderator, „kämpfe den guten Kampf. Deine ganze Familie ist hier.“ 16:12:46 Stunden sind vergangen. Der 50-Jährige klatscht die Zuschauer ab, läuft jubelnd ins Ziel, erst energiegeladen, dann genießend mit geschlossenen Augen.
Seine Familie empfängt ihn, daneben steht Patrick Lange und applaudiert.
WELT-Redakteurin Melanie Haack berichtet seit 2011 über die Sportwelt abseits des Fußballs, insbesondere auch über Triathlon, sowie über Fitnessthemen.