Zähe Freihandelsverhandlungen: Wirtschaftsminister Robert Habeck will in Indien abspecken | ABC-Z

Die Bundesregierung will ein Freihandelsabkommen mit Indien. Doch die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem bevölkerungsreichsten Land der Erde kommen nicht voran. Wirtschaftsminister Habeck hat eine Idee.
Indien ist ein Land der Extreme und der Gegensätze. Das Selbstbewusstsein ist in den vergangenen Jahren ebenso rasant gewachsen wie die Wirtschaft. Und Handelsminister Shri Piyush Goyal verkörpert all das. Bei der Eröffnung der Asien-Pazifik-Konferenz (APK) der deutschen Wirtschaft in Neu-Delhi bekam der deutsche Wirtschaftsminister eine Kostprobe verabreicht: Goyal nannte ihn erst “meinen Bruder Robert” und hämmerte ihm und den zahlreichen Wirtschaftsvertretern dann ein, wie stark, wie dynamisch Indien sei – im Gegensatz zu Deutschland, dürfte Goyal gedacht haben. Doch aus beiden Ländern könne ein “leckeres Duo” werden, sagte er – aus “Masala Chai und Brezel”.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, doch an tieferen Wirtschaftsbeziehungen mit Indien ist die Bundesregierung stark interessiert – und strebt ein Freihandelsabkommen an, über das die EU derzeit mit Indien verhandelt. Ein Großteil des Kabinetts ist – mit Kanzler Olaf Scholz an der Spitze – zu den deutsch-indischen Regierungskonsultationen nach Neu-Delhi gereist.
Indien mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern ist dem Internationalen Währungsfonds zufolge einer der derzeitigen Wachstumstreiber der Weltwirtschaft. Satte 7 Prozent dürfte Indiens Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr demnach zulegen, im kommenden Jahr sollen es dann 6,5 Prozent sein. Die Bevölkerung ist jung – rund die Hälfte ist zwischen 25 und 64 Jahren alt. Deutschlands Wirtschaft stagniert dagegen, für das nächste Jahr werden 0,8 Prozent Wachstum prognostiziert.
Indien unterschreibt nicht “bei allem blind”
Kein Wunder, dass Goyal sagte, sein Land verhandele mit Brüssel nicht aus einer Position der Schwäche. “Gegenseitige Befindlichkeiten” müssten respektiert werden. Was er damit meinte: Die EU besteht auf Standards, die aus indischer Sicht zu hoch sind oder nichts mit Handel zu tun haben – etwa der sogenannte CO2-Grenzausgleich für den Handel mit Ländern, die keinen Emissionshandel wie die EU haben. Für Waren, die aus diesen Ländern in die Union exportiert werden, muss dann ein Aufschlag gezahlt werden. Für Goyal sind das nicht akzeptable Handelshemmnisse. Indien lasse sich nicht als ein Land behandeln, “das bei allem blind unterschreibt”.
Die Verhandlungen sind zäh, es hakt an vielen Stellen. Seit 20 Jahren gibt es den Versuch, ein Freihandelsabkommen zu erzielen. Die Gespräche waren 2013 eingefroren und erst 2022 wieder aufgenommen worden. So lange Verhandlungen seien ein Witz, meinte Habeck. Es müsse jetzt vorangehen. Scholz versicherte, die Bundesregierung wolle einen schnellen Abschluss und mache entsprechend Druck. Es könnte auch in Monaten gehen, nicht in Jahren, sagte Scholz an den indischen Premier Narendra Modi gewandt. Nicht nur mit Indien insgesamt brauche es schneller Abschlüsse. Es sei jetzt an der Zeit, den Worten auch Taten folgen zu lassen. “Wir müssen ambitionierter sein”, so Scholz.
Habeck brachte ein abgespecktes Abkommen ins Spiel, um wenigstens einen Schritt voranzukommen. Die Einigung könnte etwa den Agrarsektor ausklammern. Denn vor allem die Landwirtschaft will die indische Regierung vor europäischer Konkurrenz schützen. Ein Großteil der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft, in einigen Regionen bis zu 80 Prozent. In Deutschland sind es nur 2 Prozent – hier ist die Landwirtschaft im Gegensatz zur indischen von industrieller Großproduktion geprägt.
Bollywood als Vorbild für den Freihandel
“Wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, die pragmatisch und schnell umsetzbar sind”, so Habeck mit Blick auf die EU-Kommission. Das sei wahrscheinlich der industrielle Bereich – der sowohl für Indien als auch für die deutsche Wirtschaft der wichtigste sei. “Wir können auch bei 70 oder 80 Prozent mal einen Sack zumachen.”
Der indische Minister Goyal sieht das ähnlich. Am Vorabend hatte er auf einer Veranstaltung der APK eine kurze Rede gehalten. Zuvor war eine Tanzeinlage im Stil von Bollywood-Filmen vorgeführt worden. Für Goyal war das eine gelungene Metapher. In den Filmen drehe es sich doch um augenscheinlich ganz unterschiedliche Menschen, sagte er. Im Verlauf entdeckten sie trotz aller Gegensätze aber das, was sie verbindet – und finden dann zusammen.
Bisher besteht die Parallele zwischen Bollywood-Streifen und den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen allerdings lediglich in der Überlänge.