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Wie geht es weiter nach der Irrfahrt des Frachters “Ruby”? | ABC-Z

Stand: 25.10.2024 12:58 Uhr

Seit Wochen ankert das Frachtschiff “Ruby” vollbeladen mit explosivem Ammoniumnitrat vor der englischen Küste. Der Fall gibt einige Rätsel auf – und über Russlands Rolle dabei wird viel spekuliert.

Seit Ende August geistert der maltesische Frachter “Ruby” mit explosiver Ladung durch europäische Gewässer. Vor drei Wochen ging das beschädigte Schiff vor der Themsemündung vor Anker. Es wird über mysteriöse Hintergründe spekuliert, die zur hybriden Kriegsführung Russlands gehören. Was sind die Fakten und wie sind sie einzuordnen?

Die “Ruby” hat am 22. August Kandalskscha im Süden der Kola-Halbinsel verlassen. Kola hängt östlich an Skandinavien und gehört zu Russland. Unmittelbar nach Auslaufen fuhr das Schiff auf eine Untiefe. Die “Ruby” kam offenbar aus eigener Kraft wieder frei. Sie setzte die Reise um Skandinavien zunächst bis Tromsö an der norwegischen Nordwestküste fort.

Gefährliche Ladung?

Geladen sind 20.000 Tonnen Ammoniumnitrat. Das ist wesentlicher Bestandteil von Dünger. Ammoniumnitrat war auch die Chemikalie, die vor vier Jahren im Hafen von Beirut explodierte. Mehr als 200 Menschen starben, Teile von Stadt und Hafen sind bis heute zerstört.

Diese Sprengkraft führte zu Spekulationen über die Gefährlichkeit der “Ruby”. Tatsächlich benötigt Ammoniumnitrat besondere Umstände und große Hitze, um zu reagieren. Wenn einige Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, kann Ammoniumnitrat nach internationalen Sicherheitsvorschriften grundsätzlich problemlos mit Seeschiffen transportiert werden. Eine besondere Gefahr geht von der Ladung der “Ruby” nicht aus, bestätigt die “Norwegian Maritime Authority” (NMA).

Nach Auskunft der staatlichen “German Trade and Invest”- Agentur darf Russland zwar Ammoniumnitrat in Drittstaaten exportieren. Schiffe haben in europäischen Gewässern freie Durchfahrt. Wirtschaftssanktionen sehen aber vor, dass russisches Ammoniumnitrat nicht in die EU eingeführt werden darf. Daher ist das zunächst angegebene Ziel der “Ruby” merkwürdig. Sie wollte zu den Kanarischen Inseln, die zu Spanien und damit zur EU gehören. Dort hätte die Ladung nicht gelöscht werden dürfen.

Kontrolle in Norwegen

Auch das Verhalten der Schiffsführung ist ungewöhnlich. Nach der Havarie steuerte sie nicht den nahen Ausgangshafen an. Nach einwöchiger Reise durch oft aufgewühlte Meere erklärte die Schiffsführung das Schiff vor Norwegen dann für manövrierbehindert.

Die “Norwegian Maritime Authority” und der renommierte “Schiffs-TÜV” DNV untersuchten das Schiff eine Woche lang. “Es gab Schäden an Ruder, Propeller und einige Risse im Rumpf,” sagt NMA-Sprecher Dag Inge Aarhus. “Soweit wir wissen, haben die Schäden keinen Einfluss auf die Fracht.” Sämtliche Sicherheitszeugnisse waren vorhanden, nur eine arbeitsrechtliche Bescheinigung fürs Personal fehlte. Nachdem die Sicherheitsexperten des DNV festgestellt hatten, die “Ruby” könne in eine Werft zur Reparatur fahren, gaben die norwegischen Behörden das Schiff zur Weiterfahrt frei. Sicherheitshalber wurde ein Schlepper zur Begleitung verordnet.

Merkwürdige Schäden

Bei der Inspektion waren auch Maschinenraum, Steuerung und Notsteuersystem untersucht worden. Es gab keine Mängel. Gleichwohl meldete der Kapitän der “Ruby” nach Presseberichten bald den kompletten Ausfall der Maschine. Der war nicht von langer Dauer. Das Schiff ging auf Irrfahrt erst Richtung Ostsee, dann Richtung Malta im Mittelmeer. Dort ist die “Ruby” amtlich registriert. Doch Malta untersagte frühzeitig Einfahrt.

Ende September ging die “Ruby” in der Nordsee nahe der Themsemündung vor Anker. Nach Auskunft der britischen “Maritime and Coastguard Agency” brachte ein Versorgungsschiff neuen Treibstoff. Der Fachdienst “Seatrade Maritime News” berichtet, dass auch frische Verpflegung an Bord kam.

Vor der Themsemündung liegt die “Ruby” bereits seit knapp einem Monat vor Anker.

Nach den amtlichen Untersuchungen in Norwegen scheinen die Schäden am Schiff nicht gravierend zu sein. “Solange die Ruby beladen ist, kann sie nicht repariert werden”, sagt der Bremer Kapitän Kai Ebert. Ebert fuhr Jahrzehnte zur See, bildete Nautiker an der Hochschule aus und hat es als Lotse täglich mit allen möglichen Schiffstypen zu tun. “Erstens ist ein vollbeladenes Schiff zu schwer, um in einem Dock trockengestellt zu werden”, sagt Ebert. “Zweitens kann man bei geladenem Ammoniumnitrat nicht schweißen.”

Die Ladung muss also vor einer Reparatur gelöscht werden. Es liefen Verhandlungen mit englischen Behörden, teilte Roger Gale, Abgeordneter des britischen Unterhauses von der Südostküste Englands, kürzlich via Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) mit. Er bezog sich auf ein Gespräch mit Schifffahrtsminister Mike Kane.

Auffallend ist die Gelassenheit, mit der norwegische und britische Behörden, aber auch das Cuxhavener „Maritime Sicherheitszentrum“ reagieren. Alle betonen, dass die „Ruby“ beobachtet werde, es aber keinen Anlass zum Eingreifen und zur Sorge gebe. Wenn wirklich ein Unglück drohen würde, müsste der nächstliegende Küstenstaat reagieren. Die „International Maritime Organization“ (IMO) schreibt vor, dass hilfsbedürftige Schiffe Zugang zu Fluchthäfen bekommen müssen.

Russland im Hintergrund?

Die “Ruby” ist mit 183 Metern Länge und 28 Metern Breite ein kleineres Frachtschiff. Sie wurde vor zwölf Jahren in Betrieb genommen und ist damit recht neu. Fotos zeigen ein gepflegt wirkendes Schiff. Es gehört der “Serenity Ship Management” und ist an die vor zwei Jahren gegründeten “Solar Gulf Shipping” verchartert. Beide Unternehmen sitzen im selben Geschäftshaus in Dubai. Die “Serenity Ship Management” ist weder im Handelsregister der Vereinigten Arabischen Emirate noch von Malta, wo die “Ruby” registriert ist, verzeichnet. Auf Anfrage reagiert das Unternehmen nicht.

Die gesamten Umstände und Abläufe nähren Zweifel, ob die “Ruby” je Ammoniumnitrat exportieren wollte und ob sie ernsthaft havarierte. In Medien wird spekuliert, dass Russland mit einem angeblich gefährlichen Schiff die Reaktion westlicher Staaten und der Öffentlichkeit testen wolle. Auch die Möglichkeit von Spionage an kritischer Infrastruktur während angeblich unfallbedingter Liegezeiten und langsamer Transfers wird erörtert.

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