Leonie Fiebich gewinnt größten Titel im Basketball – DW – 21.10.2024 | ABC-Z
Zehn Sekunden vor Ende der Overtime stand Leonie Fiebich wieder mal goldrichtig. Die Minnesota Lynx hatten einen Einwurf, um kurz vor Schluss nochmal auf zwei Punkte an die New York Liberty heranzukommen. Doch Fiebich fing den Einwurf geistesgegenwärtig ab und passte ihn zu Mitspielerin Breanna Stewart, die die letzten Sekunden auf der Uhr ablaufen ließ. Es war die letzte Spielszene in einer dramatischen Finalserie, kurz darauf brachen bei den Spielerinnen von New York alle Dämme. Point Guard Sabrina Ionescu sackte vor Freude auf dem Boden zusammen, die deutsche Centerin Nyara Sabally herzte mit Tränen in den Augen ihre Schwester Satou, die zur Unterstützung angereist war.
Leonie Fiebich wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah. “Um ehrlich zu sein, kann ich gar nicht realisieren, was in den letzten Monaten alles passiert ist”, sagte Fiebich nach dem Spiel. “Wir hatten große Ziele: mit der Nationalmannschaft und den Liberty. Ich bin einfach stolz, diese Ziele erreicht zu haben.”
Auch Sabally war auch am New Yorker Sieg maßgeblich beteiligt. Die 24-Jährige sorgte in der 27. Minute für die erste Führung der Liberty, nachdem man in der ersten Hälfte noch mit bis zu zwölf Zählern Differenz zurückgelegen hatten. Neun Punkte erzielte Sabally in den letzten dreieinhalb Minuten des dritten Viertels. “Ich bin gesegnet. Seht euch diese Arena an. Das ist es, wovon ich geträumt habe”, sagte sie nach dem Spiel. “Dieser Meisterschaftsring ist für meine ganze Familie, vor allem für (Schwester) Satou. Sie war immer an meiner Seite, während meiner Höhen und Tiefen – und ich hatte eine Menge Tiefen.”
Steiniger Weg in die WNBA
Eine Menge Tiefen musste auch Leonie Fiebich in ihrer jungen Karriere bereits durchschreiten, denn der steile Aufstieg der Deutschen war vor der Saison keineswegs absehbar. Als Fiebich bei den New York Liberty debütierte, war sie ein unbeschriebenes Blatt, ein Nobody, dem bis dahin auch von den Gegnern wenig Beachtung geschenkt wurde. Ein großer Fehler, wie sich schnell herausstellen sollte. Fiebich nutzte ihren Freiraum immer öfter aus und wurde so ein wichtiger Teil ihrer Mannschaft.
“Am Anfang kannte mich keiner”, sagte die 24-Jährige im Deutschlandfunk. “Das war ganz cool, ich konnte ein bisschen meine Stärken ausspielen. Niemand wusste, dass ich den Ball ganz gut werfen konnte.” Mittlerweile steht die 1,93 Meter große Flügelspielerin im Rampenlicht und hat entscheidend dazu beigetragen, dass die New York Liberty im sechsten Anlauf ihren Finalfluch brechen konnte. Zum ersten Mal gewann das Team die Meisterschaft der nordamerikanischen Frauenliga, zuvor hatte das Team fünfmal eine Endspielserie verloren, zuletzt im vergangenen Jahr gegen die Las Vegas Aces.
Der Weg zum WNBA-Titel war für die deutsche Nationalspielerin allerdings alles andere als geradlinig. Bei ihrem Heimatverein DJK Landsberg spielte sie bereits im Alter von 14 Jahren – neben ihren Einsätzen im Nachwuchsbereich – auch für die erste Frauen-Mannschaft in einer der unteren deutschen Ligen. Vom kleinen beschaulichen Landsberg am Lech in Bayern in die Weltmetropole New York? “Ja das klingt nach einer guten Storyline, oder?” sagt Fiebich. “Aber es war ja nicht so. Ich hatte viele Stationen dazwischen. Die viele Arbeit, die darin steckt, war und ist schon sehr anstrengend.”
Fiebich: “Sie hatten keine Verwendung für mich”
Fiebich spielte 2020 beim früheren deutschen Serienmeister TSV Wasserburg, als sich die Los Angeles Sparks die Rechte an ihr sicherten. Jedoch wurde sie in der Saison nicht ein einziges Mal eingesetzt und zu den Chicago Sky transferiert. Doch auch dort herrschte wortwörtlich Stille. Weder die Sparks noch Chicago versuchten auch nur, mit ihr Kontakt aufzunehmen. “Sie hatten wohl keine Verwendung für mich”, sagte Fiebich vor einiger Zeit rückblickend. “Also haben sie sich so verhalten, als gehörte ich gar nicht dazu.”
Statt in die WNBA führte ihr Weg zunächst über die französischen Ardennen und den Klub Les Flammes Carolo Basket zu den Warwick Senators im australischen Perth und schließlich nach Spanien zu Basket Saragossa. Zweimal in Folge wurde Fiebich als wertvollste Spielerin (MVP) der spanischen Liga ausgezeichnet, bevor der Ruf der New York Liberty folgte.
Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase kam die Deutsche immer besser in Fahrt und überzeugt mittlerweile bei ihrem dritten WNBA-Team auf ganzer Linie. Zuletzt wurde sie sogar ins All-Rookie Team der WNBA gewählt, ist also einer der fünf besten Neulinge in der US-Frauen-Profiliga. In der regulären Saison kam Fiebich auf einen sogenannten Plus-Minus-Wert von +7,0 pro Partie, sprich: ihr Team ist mit ihr auf dem Feld durchschnittlich sieben Punkte besser als die Gegnerinnen.
“Ich habe mich hochgearbeitet, bin als Starterin in den Playoffs unterwegs”, erzählte Fiebich gegenüber der ARD-Sportschau zufrieden. Schließlich gebe es in der WNBA “ganz viele” Europäerinnen, die “kaum Spielzeit kriegen”.
Selbstlos und gelassen
Auch Mitspielerinnen und Trainerinnen zeigen sich begeistert ob der Leistungsexplosion der Deutschen, die auch im deutschen Nationalteam bei den Olympischen Spielen in Paris zu den stärksten Spielerinnen gehörte. Fiebich sei selbstlos, sagt Liberty-Star Breanna Stewart: “Sie macht wirklich alles, damit ihr Team eine Chance hat, zu gewinnen.” Auch die dreimalige WNBA-All-Star-Spielerin Sabrina Ionescu schwärmt von Fiebich. “Sie ist wohl unsere beste Werferin”, sagte Ionescu am Rande der WNBA-Finalserie. “Dass sie als Rookie so spielt und sich so in den Dienst der Mannschaft stellt, ist schon beeindruckend.”
New Yorks Trainerin Sandy Brondello schätzt vor allem Fiebichs Gelassenheit und ihre konstanten Leistungen. “Nichts bringt sie aus der Ruhe”, sagte Brondello nach dem WNBA-Viertelfinale. “Das ist, was wir an ihr lieben. Egal, ob in der regulären Saison oder den Playoffs: Sie bringt immer die gleiche Mentalität.”
Selbst Becky Hammon, Trainerin des unterlegenen Halbfinalgegners Las Vegas Acers, ist begeistert von der Deutschen. “Ich liebe Fiebich, ich bin ein großer Fan”, sagte Hammon und lobte besonders Fiebichs Defensivqualität: “Sie ist nah genug an der Gegnerin, dass man den Ball nicht einfach über sie hinwegwerfen kann, aber gleichzeitig weit genug weg, dass man nicht einfach an ihr vorbeidribbeln kann. Und sie ist tödlich [bei Würfen – Anm. d. Red.] von der Dreierlinie.” Eine Einschätzung, die sich auch durch Zahlen belegen lässt. Fiebichs Dreierquote lag in der regulären WNBA-Saison bei 43,3 Prozent. Das war der zweitbeste Wert für einen Liga-Rookie in der 27-jährigen Geschichte der Liga.
Nun hat Leonie Fiebich gemeinsam mit ihrer Klub- und Nationalmannschaftskollegin Nyara Sabally nach einer dramatischen Finalserie als zweite Deutsche die Meisterschaft in der besten Frauen-Basketball-Liga der Welt gewonnen. Dies war bisher nur Marlies Askamp gelungen, die 2002 mit den Los Angeles Sparks die begehrte Trophäe in die Höhe reckte.
Der Artikel wurde nach dem fünften Spiel der Finalserie aktualisiert.