Kultur

Der Regisseur Herbert Föttinger und der Dirigent Rubén Dubrovsky bringen Bizets Oper neu heraus | ABC-Z

Wenn eine Frau sich auf einen umgedrehten Stuhl setzt, wodurch die Beine gespreizt werden, wirkt das provokant; wenn sie sich in der Öffentlichkeit unter das Kleid fasst und ihr Höschen abstreift, obszön. Intim, anzüglich im Wortsinne, wird es aber erst, als Carmen, um den braven Soldaten Don José zu verführen, dessen Jacke anzieht; denn nun wird es persönlich.

Sophie Rennert als Carmen.
© Markus Tordik
Sophie Rennert als Carmen.

von Markus Tordik

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Mit eben diesem Kleidungsstück wird Carmen später den Liebhaber, vor dem sie den Respekt verloren hat, zum Teufel jagen, wobei Don José mit der Uniformjacke nicht nur seine Identität aufgegeben hat, sondern sein verrutschtes Unterhemd auch signalisiert, dass er mittlerweile ganz unten gelandet ist.

Einfache, aber bedeutungsvolle Mittel

Mit Kleidungsstücken lassen sich gut Geschichten erzählen – wenn man, wie Herbert Föttinger dies in seiner Neuinszenierung von Georges Bizets “Carmen” tut, sie geradezu logisch konsequent mit Bedeutung auflädt (Kostüme: Alfred Mayerhofer). Selbst das Mobiliar wird zum Ausdrucksmittel: Als Carmen sich aus dem Arrest davonmachen will, versperrt ihr Don José den Weg mit einem flugs verschobenen Tisch, wenn sie gegen die Enge der Beziehung rebelliert, rumpelt eben der Stuhl über die Bühne des Gärtnerplatztheaters, auf dem sie sich vorher entblößte hatte.

Je einfacher die Mittel, desto theatralisch wirkungsvoller: Aus den hohen Räumen des Offizierskasinos wird im zweiten Akt die in blutigem Rot schimmernde Taverne (Licht: Michael Heidinger), in der die Silhouetten der Gäste nach der Choreographie von Karl Alfred Schreiner und Montserrat Suárez tanzen; und es erfrischt das Auge, wenn die Stierkampf-Arena im letzten Akt mit neuen Bauten dargestellt wird, deren Anordnung wie ein Zitat eines Bildes von Giorgio de Chirico anmuten (Bühne: Walter Vogelweider).

Ana Maria Labin (Micaëla), Ludwig Mittelhammer (Moralès) und Chor
© Markus Tordik
Ana Maria Labin (Micaëla), Ludwig Mittelhammer (Moralès) und Chor

von Markus Tordik

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Weil die Regie die Handlungen der Personen verstärkt, nicht von ihnen ablenkt, können die Figuren dieser populären Oper zu echtem Leben erwachen. Sophie Rennert, die Carmen der Premierenbesetzung, zieht nicht nur die Blicke des Publikums magnetartig auf sich, wenn sie als Einzige, hochmütig gelangweilt rauchend, den Protzauftritt des Stierkämpfers Escamillo ignoriert; ihr Mezzosopran ist von einer so leicht hauchenden Frühlingsfrische, dass sich die Seguidilla wie von selbst singt.

Nebenrollen werden Hauptrollen

In den Duettpassagen schmiegt sich ihr Don José mehr an, als dass er sie dominierte. Der jugendlich schlanke, sensible, dennoch leidenschaftlich durchsetzungsstarke Tenor von Lucian Krasznec zeichnet den Liebenden von Anfang an als zum Untergang verurteilt. Dass er sich von Micaëla, der guten Frau in seinem Leben, nicht dauerhaft einfangen lässt, steht zwar so im Libretto, ist aber angehörs des sich farbenreichst verschenkenden Soprans von Ana Maria Labin eigentlich unverständlich – zumal er gegen einen Escamillo dieses Kalibers keine Chance hat: Timos Sirlantzis blendet in der Höhe, singt jedoch auch die Tiefe der Partie mit einer ruhigen Autorität aus, die diese Figur von jeder Karikaturhaftigkeit entfernt hält. Die Karten legen Mina Yu und Anna Tetruashvili so pittoresk, dass sie Frasquita und Mercédès zu Neben-Hauptrollen machen.

Sophie Rennert (Carmen), Lucian Krasznec (Don José)
© Markus Tordik
Sophie Rennert (Carmen), Lucian Krasznec (Don José)

von Markus Tordik

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Diese Neuinszenierung ist also erfolgreich darin, das Geschehen durch den Gebrauch von Alltagsgegenständen zu bebildern. Somit wären die neu verfassten französischen Dialoge eigentlich gar nicht notwendig. Statt die gesprochenen Passagen aber bloß pflichtgemäß rasch abzuhaken, gewinnt Herbert Föttingers Personenregie durch deren minutiöses Timing an Spannung hinzu.

An einigen wichtigen Stationen der Handlung reißt sogar eine Sprachlosigkeit auf, in die die Musik umso effektvoller hineinstoßen kann. Unter seinem Chefdirigenten Rubén Dubrovsky schafft das Orchester des Gärtnerplatztheaters eine mediterran trockene Atmosphäre und eine Art instrumentaler Mittagshelle, in der die scharf gezogenen Linien keine Schatten werfen. Obszönität und Gewalt der “Carmen” werden so auch akustisch ungerührt offengelegt.

Wíeder am 24., 27. Oktober, 14., 17., 22. und 30. November im Gärtnerplatztheater

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