Wer ist die Buchpreisgewinnerin Martina Hefter? – Kultur | ABC-Z
Auf dem rechten Unterarm von Martina Hefter fliegt seit einiger Zeit eine Wildbiene. Schwarzer Rücken, filigrane Flügel, ein echter Hingucker. Wer das neue Buch der Autorin gelesen hat, weiß natürlich: Dieses Insekt steht sinnbildlich für Freiheit und Unabhängigkeit, denn anders als Honigbienen sind Wildbienen eben keine fleißigen Produzenten im Dienste des Kapitalismus, sie stehen für eine „krasse Form der Bedürfnislosigkeit“, wie es im Roman heißt.
Die Wildbiene wird jedenfalls die Runde machen bei der Frankfurter Buchmesse in dieser Woche. Schließlich hat die 59-jährige Martina Hefter dort gerade aller Welt ihr Tattoo gezeigt, als sie sich am Montagabend für den Deutschen Buchpreis bedankte. Es kam aber noch besser: Ihre Lektorin reckte im Frankfurter Römer ebenfalls den Unterarm in die Höhe – sie hat sich aus Sympathie für die Autorin das gleiche Motiv stechen lassen. Willkommen im Wildbienen-Klub!
Wer so viel gute Laune für verdächtig hält, sollte das Buch „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ besser nicht zur Hand nehmen. Was das Zeug zum Psychodrama hat, erzählt Martina Hefter als Komödie über ein Leben in prekären Verhältnissen. Die Hauptfigur, eine Performancekünstlerin aus Leipzig, führt hier zwei verschiedene Leben: Tagsüber pflegt Juno hingebungsvoll ihren kranken Mann, einen Schriftsteller. Nachts führt sie im fahlen Licht ihres Smartphones Chats mit fremden Männern, die unter falschem Namen einsame Frauen kontaktieren.
Wo hört die Lüge auf und wo beginnt der Selbstbetrug?
Doch die für ihre Skrupellosigkeit und Geldgier berüchtigten Love-Scammer können bei Juno nicht landen. Denn diese Frau hat selbst alle Tricks drauf: Sie spielt das Spiel mit der Sehnsucht besser als all die Betrüger, die aus der Bedürftigkeit der Frauen ein Geschäftsmodell gemacht haben. Bis sie in einer ihrer schlaflosen Nächte einen jungen Mann aus Nigeria kennenlernt, der sich wirklich für sie zu interessieren scheint, der Anteil nehmen möchte an ihrem Alltag. Und hier wird es dann richtig spannend: Wo hört die Lüge auf und wo beginnt der Selbstbetrug? Wann wird das Spiel zur Sucht und man selbst zur Betrügerin?
Martina Hefter bewegt sich so leichtfüßig und souverän durch diesen Roman, dass es eine helle Freude ist. Wie heißt es doch an einer Stelle, als die Hauptfigur darüber nachdenkt, ob ihre Karriere als Tänzerin bald an ein natürliches Ende kommen könnte? „Wenn du über fünfzig bist, kannst du einfach alles machen … es ist egal, was die anderen denken.“ Nicht ein einziges Mal hat man das Gefühl, dass dieser Roman in Larmoyanz abdriften könnte. Zugleich hat das Buch auch einen harten realistischen Kern. Das liegt vor allem daran, dass die Autorin die Nöte der am Existenzminimum operierenden freien Künstler aus eigener Erfahrung kennt. Seit den Neunzigerjahren verbindet sie bei ihren Theaterstücken Tanz und Text, etwa bei ihrer Performance „Linn Meier“ über das Leben einer magersüchtigen Jugendlichen. Im Theater zeigt Hefter oft Mut zum Risiko und vollen Körpereinsatz, in ihren Gedichten und Romanen schwingt noch etwas anderes mit – sie ist eine Artistin der Worte.
Sichtlich gerührt über die Auszeichnung für Martina Hefter war am Montagabend auch ihr Mann, der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, der an MS erkrankt ist und darüber 2023 ein ebenfalls preisgekröntes Buch geschrieben hat: „Krüppelpassion oder Vom Gehen“. Vielleicht verbindet dieses außergewöhnliche Künstlerpaar der unbedingte Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen und trotzig den Humor zu verteidigen, vor allem in schwierigen Zeiten, wenn das Geld knapp ist. Es muss ja immer weitergehen, beim Schreiben, beim Tanzen, im Leben. In dieser Hinsicht ist der mit 25 000 Euro dotierte Buchpreis auch ein Stück materielle Sicherheit. Und selbst wenn man mit dieser Summe keine allzu großen Sprünge machen kann: Die Auszeichnung hat etwas Beflügelndes. Die Wildbiene lässt grüßen.