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Annett Kaufmann bei der Tischtennis-EM: Seit Olympia ein Star – Sport | ABC-Z

Eine wie Annett Kaufmann hatte das deutsche Tischtennis so noch nicht. Es hat in seiner Geschichte Helden hervorgebracht wie Jörg Roßkopf, Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov und Heldinnen wie Olga Nemes, Nicole Struse und Nina Mittelham. Doch als Kaufmann, 18, im August bei Olympia kurzfristig als Ersatzfrau zum Einsatz kam, ein sensationell energetisches Tischtennis zeigte, scheinbar völlig unbeschwert unter anderem die japanische Topspielerin Miwa Harimoto besiegte und das deutsche Team strahlend ins Halbfinale führte, da wurde erkennbar, wie sehr das deutsche Tischtennis nach all den erfolgreichen Männern auch einmal eine Frau als medialen Star gebrauchen könnte.

Weil Kaufmann nach einem aufreibenden Jahr mit Abitur (Note 2,0) und Olympia (Platz vier mit dem Team) im Spätsommer dringend eine Auszeit benötigte, verzichtete sie auf eine ausgedehnte Tour durch die Fernsehstudios. „Nach Olympia musste ich schweren Herzens viele TV-Auftritte absagen“, sagt sie, „das war zwar sehr traurig, es hat aber einfach nicht in meinen Plan gepasst.“ Für drei Wochen stellte die Spielerin, die zur neuen Saison zum bayerischen Bundesligisten Kolbermoor gewechselt ist, sogar ihre Internet-Aktivitäten ein. Ihr Instagram-Account war nach Olympia von 11 000 auf 48 000 Follower geradezu explodiert.

An diesem Dienstag beginnt in Linz, Österreich, die Europameisterschaft im Einzel, Doppel und Mixed. Nach dem Nationalmannschaftsrücktritt von Timo Boll gelten unter den deutschen Männern Dimitrij Ovtcharov, Dang Qiu und Patrick Franziska als aussichtsreiche Starter. Bei den Frauen spielt Kaufmann in allen drei Disziplinen: im Einzel, mit Nina Mittelham im Doppel sowie mit Patrick Franziska im Mixed. Kaufmann ist aktuell die Nummer 103 in der Weltrangliste, damit ist die derzeit aufsehenerregendste deutsche Spielerin rein statistisch nur die fünftbeste hinter Mittelham (Nr. 20), Ying Han (Nr. 42), Xiaona Shan (Nr. 44) und Sabine Winter (Nr. 57).

Das sportliche Talent liegt in der Familie – Vater Andrej war Eishockeyprofi

In Deutschland zu sehen ist Kaufmann auf internationalem Topniveau Anfang November in Frankfurt bei dem mit einer halben Million Euro höchstdotierten deutschen Tischtennisturnier. Für das World-Table-Tennis-Champions-Turnier in der Ballsporthalle erhielt sie eine Wildcard. „Annett hat uns bei den Olympischen Spielen sehr geholfen, mit der Mannschaft ins Halbfinale einzuziehen“, sagt der Verbandssportdirektor Richard Prause, „deshalb ist uns die Entscheidung bei der Vergabe der Veranstalter-Wildcard leicht gefallen.“ Prause nennt das Champions-Turnier für Kaufmann den „nächsten kleinen Schritt in ihrer Entwicklung“.

Ob Kaufmann sich geschmeichelt fühlt, wenn sie neuerdings mit Timo Boll verglichen wird, sei mal dahingestellt – aber rein sportlich ist das völlig verfrüht. Da hilft auch ihr erstmaliger Titel als deutsche Einzelmeisterin im Juni in Erfurt nichts. „Natürlich fühle ich mich geehrt, wenn Leute mich als neuen Timo Boll bezeichnen“, sagt sie, „aber ich würde von so was erst mal Abstand nehmen wollen und mir selber keinen Druck machen.“

Kaufmann wurde 2006 in Wolfsburg geboren, weil ihr Vater Andrej, ein gebürtiger Kasache und Eishockeyprofi, da gerade bei den Grizzly Adams Wolfsburg spielte. 2008 zog die Familie eishockeybedingt nach Bietigheim-Bissingen um. Vater Andrej wurde mit den Steelers Zweitligameister – und die Tochter Annett begann drei Jahre später im Alter von fünf Jahren mit dem Tischtennis. Noch wohnt sie daheim bei der Familie und trainiert hauptsächlich bei der SV Böblingen, für die sie bis zum Rückzug des Teams nach der vergangenen Saison in der Bundesliga spielte. Als Nationalspielerin ist sie aber auch regelmäßig im Bundesleistungszentrum in Düsseldorf. Zunächst einmal will Kaufmann jetzt nur Tischtennis spielen, auf Dauer aber könnte es wie für viele Athletinnen auf eine duale Karriere hinauslaufen. Kaufmann hat sich bereits bei der Polizei nach der Sportförderung erkundigt. Sie sagt: „Ich könnte mir gut vorstellen, Kriminalkommissarin zu werden.“

Bei der EM in Linz spielt Kaufmann in der ersten Runde gegen eine Qualifikantin. Das erscheint machbar. In der zweiten Runde bekäme sie es aber direkt mit der derzeit besten Europäerin zu tun, mit der topgesetzten Rumänin Bernadette Szocs. Kaufmann will sich aber nicht aus jener Ruhe bringen lassen, die ihr bei ihrer bisherigen Entwicklung so geholfen hat. „Ich sehe das Ganze relativ entspannt“, sagt sie, „mein Ziel ist es, mich spielerisch zu verbessern, im Training Erlerntes im Wettkampf einzusetzen und mental stärker zu werden.“

Um das Gesicht des deutschen Tischtennis zu werden, braucht es ganz viel Demut, Fleiß und Durchhaltevermögen. Der Vorruheständler Timo Boll, 43, könnte dem glühenden Taylor-Swift-Fan Annett Kaufmann ein Lied davon singen.

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