Iffeldorfer Meisterkonzerte: Der Atem der Engel – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z
Was machen Engel den ganzen Tag? Wenn sie nicht gerade mit flammendem Schwert vorm Paradies stehen, widmen sie sich der Klangkunst. Und wenn man Weihnachtspyramiden und saisonalen Postkarten Glauben schenken darf, ist ihnen kein Instrument lieber als dieses längliche Blasinstrument, dessen Name vielen nicht geläufig ist. Er sollte es aber sein, wie das letzte Iffeldorfer Meisterkonzert beweist. Denn der Zink ist fantastisch, zumindest wenn Bruce Dickey ihn spielt, und taugt zu unwahrscheinlichen Klang-Kombinationen, wenn Hana Blažíkovás Sopran und die Meistermusiker des „Breathtaking Collective“ sich zu ihm gesellen.
Ungläubiges Staunen, als Blažíková und Dickey gemeinsam einsetzen – Sopran und Zink ergeben eine berückend schöne akustische Legierung. Der warme, gerundete Sopran der tschechischen Sängerin und der golden schimmernde Ton des Zink verschmelzen in Wohlklang. 400 Jahre alte Musik ist es, die auf diese Weise zum Leben erweckt wird, zwei Sätze aus dem vor etwa 20 Jahren (auf einem Wiener Flohmarkt) entdeckten Carlo-G-Manuskript: In den bewegten, naturschön ausgesungenen Linien des Soprans im „Panis angelicus“, die sich mit den sprechend artikulierten Melodien des Zink vereinen, kongenial begleitet von einem leidenschaftlichen Ensemble.
„Ich würde ihnen am liebsten den roten Teppich ausrollen“, sagt Andrea Fessmann, Leiterin der Iffeldorfer Meisterkonzerte. Lange musste sie darauf warten, die Ausnahmekünstler im Gemeindezentrum zu hören. Ursprünglich für 2020 eingeplant, ließ sich das Konzert nicht verwirklichen, andere Termine zu finden war schwierig. Nun ist das atemberaubende Ensemble da. „Es ist mein Lieblingskonzert dieses Jahr“, sagt Fessmann, um sich im selben Atemzug zu korrigieren. „Eines von acht Lieblingskonzerten.“
Wenn Dickey in Ascanio Trombettis Motette „Emendemus in melius“ eine aufsteigende Tonleiter zweimal wiederholt, noch leiser und noch leiser, dabei so geschmackvoll abphrasiert wie ein Opernsänger, kann man sich dem Zauber seines Instruments kaum entziehen. In Sigismondo D’Indias „Langue al vostro languir“ schmiegt sich der Zink an den Sehnsuchtsgesang, den Blažíková mit offenkundiger Anteilnahme entfaltet, zumal in der spannungsreich nach oben geführten chromatischen Linie. Blažíková erzeugt damit eine Spannung, die sich in lachenden Achtelketten entlädt. Nicht weniger vital klingt Lodovico Viadanas „Canzon francese in risposta“, in der sich Violine (temperamentvoll aufgespielt von Franciska Hajdu) und Zink gegenseitig imitieren. Anfangs tun sie das in virtuos elaborierten Phrasen, die im Laufe der instrumentalen Diskussion immer kürzer werden. Erhitzt unterbricht die eine den anderen, wirft ihm nur noch thematische Bröckchen zu – die Musik des Breathtaking Collective berührt, weil sie zutiefst menschlich ist.
Dabei sucht diese Musik die Auseinandersetzung mit dem Höchsten. Das aktuelle Programm des Ensembles heißt „On the Breath of Angels“, weil Dickey und Blažíková betonen wollten, dass Blasinstrument wie Stimme sich in ihrer Abhängigkeit vom guten Atmen treffen. Hinzu kommt die thematische Komponente, sodass Dickey, der sich für die Wiederbelebung seines Instruments in der zeitgenössischen Musik einsetzt, auch zwei Kompositionen mit engelhaftem Sujet in Auftrag gab. „Ich habe den Komponisten zwei Regeln gegeben: Es muss irgendwie um Engel gehen, und der Zink muss auf eine solche Weise benutzt werden wie die menschliche Stimme, so wie das auch die Komponisten des siebzehnten Jahrhunderts gemacht haben“, erklärt der Doyen des modernen Zink-Spiels.
Bewegende Meditation über die Unerklärlichkeit des Todes
In der Komposition, die der vor wenigen Monaten verstorbene Ivan Moody zu einem Text der orthodoxen Liturgie geschrieben hat, setzt die Gambe mit beunruhigendem Tremolo ein. Über den dissonanzreichen Satz spannt Blažíková eine kühle Melodie, den Blick streng nach vorne gerichtet. „Ein jeder Engel ist schrecklich“, schreibt Rilke. Dickey und seine Mitstreiter vermitteln einen Eindruck davon. Auch in der Komposition des US-Amerikaners Julian Wachner kommen keine pausbäckigen Festtags-Engelchen vor. Rupert Brookes Sonett „The Vision of the Archangels“ (1906) handelt von vier Engeln, die einem toten Kind das letzte Geleit geben. Schlichte Harmonik, in Verbindung mit der eminenten Klangkultur des Ensembles lassen das Stück zur bewegenden Meditation über die Unerklärlichkeit des Todes werden.
Die Stücke fügen sich nahtlos ein in das exquisite Programm, in dem sich ein Alter Meister wie Niccolò Corradini und der Avantgardist Erik Satie die Hand reichen. Saties schwebend leicht präsentiertes Chanson „Les Anges“, für Theorbe und Sopran arrangiert, gibt Jan Krejča Gelegenheit, zu zeigen, dass sein Instrument – eine sehr große Laute – ebenso engelhaft tönt wie Stimme oder Zink, sei es als Begleitung oder im Solo von Johann Hieronymus Kapsbergers charmanter neunter Toccata mit Passacaglia. Denn das Kollektiv ist ein eingespieltes Team wunderbarer Solisten, wie auch Hajdus virtuos blitzende Castello-Sonate beweist.
Nach den drei finalen Arien aus Alessandro Scarlattis Oper „L’Emireno“ will das Publikum das Ensemble kaum gehen lassen. So heiter und licht klingt der Zink, so zwitschernd lebendig der Sopran. Indes, auch langer Beifall mit Händen und Füßen ändert nichts, das Ensemble verabschiedet sich. So bleibt nur, auf baldige Rückkehr zu hoffen.