Von Tom Hanks zum Gesang verführt | ABC-Z
Berlin. Die Mezzosopranistin singt im Piano Salon Christophori Schuberts „Winterreise“. Ihre Leidenschaft begann mit einem Film.
In dem Film „Philadelphia“ von 1993 hört man in einer Szene mit Tom Hanks auf einem Krankenhausflur aus dem Hintergrund Opernmusik, die legendäre Maria Callas singt eine Arie. Der Aidskranke, den Hanks spielt, geht mit seinem Tropf zur Stereoanlage und dreht voll auf. Es sei seine Lieblingsarie. Als etwa 17-Jährige hat Anna Werle diesen Film gesehen. Es war seitdem nicht nur die Lieblingsarie des sterbenden Anwalts im Film, sondern auch die von Anna Werle. Maria Callas wurde ihr großes Idol.
Am nächsten Tag ging sie zu Musik-Riedel in ihrer Heimatstadt Berlin. Sie hätte da gestern so einen Film gesehen. „Die winkten mich sofort zu einem Tisch mit sämtlichen Aufnahmen von Maria Callas – es gab da schon die Bonus-Tracks mit dieser Arie, weil so viele Menschen danach fragten.“ Nach der CD hörte sie die nächste Callas-CD und dann die übernächste. Operngesang war von diesem Moment an Anna Werles Leidenschaft – und die Bühnendramen drumherum waren es auch. „Ich saß mit den Textbüchern im Zimmer und habe versucht, nachzuvollziehen, was sie da singt.“
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Diese Jahre im Jugendzimmer haben Anna Werle musikalisch geprägt – und sie kehrt dieser Tage von großen Opernbühnen ein wenig zurück in diese Vergangenheit. Im Piano Salon Christophori wird sie Franz Schuberts „Winterreise“ singen, begleitet von dem Berliner Pianisten Matthias Samuil. Auch dieser Liedzyklus, gesungen von dem berühmten Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, stand damals schon als CD in ihrem Regal.
„Als wir jetzt überlegten, was für ein Programm wir beim Liederabend machen, habe ich die ‚Winterreise‘ duchgeblättert und gemerkt: Ich kann ja noch zwei Drittel davon komplett auswendig, weil ich das als junges Mädchen so oft gehört habe. Rhythmus, Musik – alles war noch da. Da dachte ich: Mensch, das bedeutet was. Ich denke, dass ich mit diesem Werk etwas zu sagen habe.“ Als Profi musste Anna Werle ihre Auffassung von der „Winterreise“ nun allerdings nochmal polieren. „Bei vielen Stellen musste ich mich sehr gründlich fragen: Habe ich das jetzt nur so im Ohr? Oder steht das wirklich so in den Noten? Man muss da wirklich einen Schritt hinter diese Erinnerungen zurücktreten.“
Erst einige Jahre nach den begeisternden Klassik-Erfahrungen im Jugendzimmer nahm Anna Werle auch Gesangsunterricht. Dass daraus eine professionelle Karriere werden sollte, war bei weitem nicht klar. Anna Werles Eltern hatten medizinisch-technische Berufe im Umfeld des Klinikums in Buch. Werle studierte Jura, schloss das Studium ab, bekam mit Ihrem Mann zwei Töchter. Mit der Familie lebt sie noch heute in Mitte, unweit des Sophien-Friedhofs, wo man sie schon mal mit ihrem schwarz-weißen Dackel spazierengehen sehen kann.
Wenn gerade keine internationalen Engagements anstehen. Denn heute ist Anna Werle eine der aufstrebenden Mezzosopranistinnen weltweit. In der Deutschen Oper in der Bismarckstraße zum Beispiel wird sie im Mai nächsten Jahres als Engel in Georges Benjamins Schocker „Written On Skin“ zu sehen sein. Anderswo singt sie auch bereits große Mezzosopran-Rollen in Richard Wagners Opern wie die Brangäne in „Tristan und Isolde“, die sie am Teatro Petruzzelli Bari und am Opernhaus im bulgarischen Sofia darstellte.
Sie ist sehr zufrieden mit ihrem Stimmfach. „Im Konzertbereich haben wir diese wunderschönen Bach-Arien – Matthäus-Passion, Weihnachtsoratorium. Oder das Verdi-Requiem. Und auf der Bühne dann gibts wirklich sehr viele charakterliche Facetten, die man abdecken kann. Das gefällt mir gut. Ich bin nicht der Sopran, der am Ende immer sterben muss.“
In ihrem tieferen Stimmfach Mezzosopran gibt es für Anna Werle noch viele Pläne zu verwirklichen. Wotans eifersüchtige Ehefrau Fricka in der „Walküre“ etwa ist eine sehr modern angelegte Rolle, und eine Paraderolle für jeden Mezzosopran. Werle stand dafür immerhin schon als Cover am Opernhaus Stuttgart hinter den Kulissen bereit. Sie wird diese Rolle vermutlich in naher Zukunft singen. Das Covern von Kolleginnen, die krank werden könnten, auch das Einspringen sind in der Branche bewährte Brücken zu solchen Einsätzen.
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Für Anna Werle hat solches Einspringen schon zu besonderen Erfahrungen geführt – zuletzt im Juni, als sie in Sofia zu Beginn von Wagners „Götterdämmerung“ als Erste Norn einsprang. Diese singt immerhin die ersten Worte der gesamten Oper. Werle war angstfrei – wiewohl es um mehr ging als sich einfach in die Kulissen zu stellen. In der Inszenierung des Regisseurs Plamen Kartaloff hatten die Nornen mit leuchtenden Kabeln als Schicksalfaden und drei Leuchtkugeln zu hantieren, die die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anzeigen. „Hat wirklich irre Spaß gemacht. Sogar das Bälle-Jonglieren. Da musst du so viele Dinge auf einmal tun, dass du nicht alles völlig voraussehen kannst.“
Das macht für Anna Werle nicht den geringsten Reiz des Bühnendaseins aus. Un darin ist sie ihrem großen Idol Maria Callas nicht unähnlich, die die Bühnenpräsenz zur vollen Entfaltung brauchte wie Luft zum Atmen. Die hat übrigens einst sowohl Sopran- als auch Mezzosopran-Rollen gesungen. Und in Erinnerungen an ihre CD-Erlebnisse mit der „Divina“ im einstigen Jugendzimmer fällt Anna Werle heute auf, dass sie damals offenbar bereits sehr sängerischen, körperlichen Zugang zu der Musik hatte: „Auf den CDs haben mir ausgerechnet die Arien am besten gefallen, die ich heute selbst singen kann.“
Piano Salon Christophori, Uferhallen, Uferstr. 8, Wedding. 13. Oktober, 20 Uhr. Informationen unter konzertfluegel.com