Premiere von: “Die Kleine Hexe” in der Schauburg München | ABC-Z
München – Was ist eine gute Hexe? Eine, die gut hext? Oder eine, die Gutes hext? Diese durchaus grundsätzlichen und moralischen Fragen bearbeitet Otfried Preußler in seinem Kinderbuchklassiker “Die kleine Hexe”.
Die Biografie des Schriftstellers im Blick, könnte man auch anders fragen: Was ist ein guter Schriftsteller? Einer, der gut schreibt? Oder einer, der Gutes schreibt? Der 1923 geborene Preußler, der als Heranwachsender aktives Mitglied der Hitlerjugend war und später für seinen Einsatz als Offiziersanwärter der Wehrmacht mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet wurde, fand sich in der Nachkriegszeit selbst in einem moralischen Strudel wieder und setzte sich aktiv mit seiner Vergangenheit, mit Fragen von Verantwortung und Schuld auseinander, unter anderem in seinem Jugendroman “Krabat”.
“Die Kleine Hexe” in der Schauburg München: Zwischen Gut und Böse
Die Schauburg, die sich in dieser Spielzeit das Thema “Gut und Böse” vornehmen will, hat sich zum Auftakt Preußlers “Die kleine Hexe” ausgesucht. Die kleine Hexe will bei den Großen mitmachen, mit ihnen in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg tanzen. Aber sie wird gedisst und ausgeschlossen: Sie sei zu klein und müsse erst mal ein Jahr lang “eine gute Hexe” sein, eine Prüfung absolvieren vor dem Hexenrat.
Also büffelt sie, bis sie das Hexenbuch von vorne bis hinten auswendig kann; hext Wind, damit die frierenden Frauen im Wald Äste zum Heizen finden, hilft einem armen Blumenmädchen, indem sie ihren Papierblumen Duft anzaubert und sorgt dafür, dass der Ochse Korbinian beim Schützenfest nicht als Preis auf dem Spieß landet. Schließlich, so ihr Rabe Abraxas, sei eine gute Hexe eine, die Gutes tue.
Leider sehen das die Großen anders: “Nur Hexen, die Böses hexen, sind gute Hexen.” Wieder bleibt sie außen vor, doch diesmal lässt sie das nicht auf sich sitzen. Sie glaubt an die Macht des Guten und entmachtet schließlich die anderen.
Mit Witz und Fantasie
Diese Geschichte hat Marcelo Diaz nun in der Bearbeitung von John von Düffel inszeniert. Und wie nicht anders zu erwarten, tut der erfahrene Regisseur das mit jeder Menge Witz und Fantasie. Da werden die Hexereien der kleinen Hexe, die mal besser, mal schlechter gelingen, mit Videos von Sarah Scherer zum Leben erweckt.
Da schweben die großen Hexen in ihren langen Röcken scheinbar über den Boden. Da entsteht aus dem Nichts hier ein bunter Markt und dort eine Winterlandschaft samt Schneemann. Ausstatterin Anja Furthmann erschafft mit einfachen Mitteln einen Blocksberg samt Oberhexe mit versteinertem Antlitz, bei der es das Publikum schon ein wenig gruseln kann.
Simone Oswald spielt sich als kleine Hexe bockig, trotzig und sehr entschlossen in die Rolle der Heldin, die Janosch Fries als Abraxas immer mal wieder runterholen muss von ihrer Impulsivität. Hardy Punzel übernimmt die Rolle der fiesen Wetterhexe Rumpumpel: Er verfolgt die kleine Hexe nicht nur auf Schritt und Tritt, sondern lenkt ihre Geschicke, stellt jede Menge Fallen, indem er fast allen anderen Beteiligten seine Stimme schenkt, das Geschehen zu einer One-Hexen-Show mit dem einzigen Ziel macht, die kleine Hexe zu sabotieren.
Am Ende des Buches hat Preußler noch ein Dilemma eingebaut. Denn als die kleine Hexe erneut verstoßen wird und erkennt, dass ihre Heldinnen in Wirklichkeit ziemlich böse sind, greift sie zu drastischen Mitteln. Statt wie angeordnet zur Strafe Holz für das Walpurgisfeuer zu sammeln, hext sie alle Besen und Hexenbücher der anderen herbei, nimmt ihnen ihre Macht und feiert als einzige verbleibende Hexe ihre persönliche Walpurgisnacht.
Wann wird der Gute zum Bösen?
Das einfache Konzept von Schwarz-Weiß, von Gut versus Böse hat spätestens da keinen Bestand mehr. Man kann dieses Ende auch so lesen, dass die kleine Hexe nun selbst eine Große wird, sprich: eine Böse. “Manchmal tut man auch Gutes, indem man den Bösen Schlechtes tut”, hat ihr Abraxas einmal erklärt. Doch wo ist die Grenze? Wann wird der Gute zum Bösen? Welche Mittel sind erlaubt in diesem Kampf?
Was die kleine Hexe da veranstaltet, ist mehr als eine Selbstermächtigung. Sie greift nach der Macht und verbrennt Bücher. In der wirklichen Welt würde man sie wohl eine Autokratin nennen. All das weiß das Publikum ab sechs Jahren freilich nicht.
Was aber deutlich zu spüren ist: So wirklich groß ist die Freude der kleinen Hexe am Ende nicht, als sie ihre ganz eigene und einsame Walpurgisnacht feiert. Sie hat einen hohen Preis gezahlt für ihren Erfolg. Es wird einsam auf dem Blocksberg, dem Gipfel der Macht.
Schauburg, ab 6 Jahren, wieder am 8., 9., 10. und 11., 13. Oktober (alle Vorstellungen ausgebucht, evtl. Restkarten) und wieder im Dezember, www.schauburg.net