Dirk Möhrle soll Inhaber des Verlags Suhrkamp werden | ABC-Z
Nach Informationen dieser Zeitung hat Dirk Möhrle die Anteile des Suhrkamp Verlags von Ulla Unseld-Berkéwicz und der Familie Ströher übernommen. Der Unternehmer besitzt seit 2015 bereits 39 Prozent der Anteile des renommierten Berliner Verlags. Mit dieser neuen, spektakulären Wendung wäre er künftig alleiniger Inhaber des Suhrkamp Verlags. Die Transaktion soll den Informationen dieser Zeitung zufolge für Anfang November geplant sein.
Die bisherigen Aktionäre des Verlags sind neben Möhrle die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung, die zusammen mit der Familie Ströher 61 Prozent der Aktien hält. Sowohl die Darmstädter Unternehmerfamilie Ströher, die den Verlag seit dem Rechtsstreit mit dem Anteilseigner Barlach unterstützt hat, sowie die Witwe des langjährigen, 2002 verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld, dessen 100. Geburtstag sich dieser Tage jährte, wären damit bei Suhrkamp Geschichte.
Dirk Möhrle ist im Literaturbetrieb bislang ein eher unbeschriebenes Blatt. Seit rund drei Jahrzehnten als Unternehmer tätig, gründete er nach seinem BWL-Studium einen Gartenmarkt und führte von 1997 bis 2005 die familieneigene Baumarktkette Max Bahr. Auf Nachfrage sagte Dirk Möhrle über sein Engagement im Suhrkamp Verlag: „In den vergangenen 10 Jahren meiner Beteiligung am Suhrkamp Verlag, habe ich entdecken dürfen, welche Bedeutung diesem Verlag und seinen Autoren zu eigen ist. Wie kein zweiter Verlag hat er die Geistesgeschichte der Bundesrepublik ebenso geprägt wie ihre politische Kultur. Vor allem aber wurde er zum Maßstab für literarische Qualität in Deutschland. Er hat die jüdische Geistestradition gepflegt, sie fortgesetzt und erneuert. Kaum eine tiefgreifend politische oder kulturelle Strömung der letzten 75 Jahre hat nicht entweder ihre Wurzeln in den Büchern der Autorinnen und Autoren des Suhrkamp Verlages oder hat sich in der Auseinandersetzung mit ihnen entwickelt und profiliert.“
Verleger freut sich auf Zusammenarbeit mit Möhrle
Darüber hinaus sagte er, dass sein volles Vertrauen sowohl dem Verleger Jonathan Landgrebe gelte, der die Verlage Suhrkamp und Insel seit 2015 „mit sicherer Hand leitet und auch in Zukunft leiten wird“, sowie der Geschäftsleitung mit Tanja Postpischil, den Abteilungsleitern und allen Mitarbeitern. Ihnen und nicht zuletzt den Autorinnen und Autoren des Verlags verspreche er, „langfristig und mit vollem Engagement meine Ressourcen einzubringen, damit in diesem einzigartigen Verlag auch künftig in verlegerisch unabhängiger Arbeit, gute, schöne und bedeutende Bücher entstehen können“.
Ob sich sein weiteres Engagement auf den einen Anteilsbesitz oder eine Inhaberschaft bezieht, ließ er offen. Auch Jonathan Landgrebe, Verleger des Suhrkamp Verlags, bestätigte die Transaktion nicht, sagte aber auf Nachfrage, dass er sich auf die weitere Zusammenarbeit mit Dirk Möhrle freut.
Geistesgeschichte der Bundesrepublik
Der Suhrkamp Verlag erlebt derzeit wie viele, vor allem konzernunabhängige Literaturverlage herausfordernde Zeiten. Die Verlegerin und Vorstandsvorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung Katharina E. Meyer hat vor wenigen Tagen in diesem Feuilleton berichtet, dass längst nicht mehr nur die jungen, unabhängigen Verlage unter extremem wirtschaftlichen Druck stünden, sondern auch etablierte Häuser. Dass Suhrkamp jüngst die Frankfurter Villa verkaufte, in der Siegfried Unseld bis zu seinem Tod lebte und in der sich jährlich zur Frankfurter Buchmesse das „who is who“ der Literaturszene einfand, war ein Zeichen für die wirtschaftliche Bedrängnis, in der offenbar auch Suhrkamp steckt.
Der Verkauf der Villa war das Ende der Geschichte des Suhrkamp Verlags in Frankfurt. 2009 war bereits der Frankfurter Verlagssitz in der Lindenstraße verkauft und abgerissen worden und der Verlag, der einst 1950 von Peter Suhrkamp in Berlin gegründet wurde, kehrte dorthin zurück. Inzwischen residiert Suhrkamp nach mehreren Umzügen in der Stadt seit 2019 in einem von Roger Bundschuh errichteten Gebäude nördlich des Rosa-Luxemburg-Platzes in der Torstraße.
Ein Verkauf der Anteile an den Unternehmer Möhrle wäre ein weiteres Indiz dafür, dass selbst ein Verlag wie Suhrkamp kämpfen muss – und dass die Existenz bedeutender Häuser, die an der Geistes- und Kulturgeschichte der Bundesrepublik maßgeblich mitgeschrieben haben, nicht mehr selbstverständlich ist. Auf die Unterstützung von Mäzenen sind Verlage inzwischen vielfach angewiesen. Dirk Möhrle hat sich als Fachfremder in den vergangenen zehn Jahren in die Belange des Verlags einarbeiten können.
Er weiß also, was auf ihn zukäme, und dass Bücher als Ware mit Gartenstühlen nicht unbedingt gleichzusetzen sind. Was er aber vielleicht auch bemerkt haben dürfte, ist dies: dass es sich mit dem Buchgeschäft mitunter ganz ähnlich verhält wie mit der Gartenarbeit. Man pflanzt Setzlinge ein, von denen man lange nicht weiß, was dabei herauskommt. Im besten Fall wächst und gedeiht etwas, das man zuletzt in Händen hält – das ist bei Bücher nicht anders als bei Pfingstrosen.