Krebs: Tumortherapie – Neues Verfahren macht einzelne Tumorzellen sichtbar |ABC-Z
Wird ein Tumor entdeckt, muss er herausgeschnitten werden. Dabei gibt es ein Problem: Oft verbleiben einzelne Krebszellen im Körper, die dann weiter wuchern. Zwei Wissenschaftler haben eine Idee, wie sich das künftig verhindern ließe – und wurden dafür schon ausgezeichnet
Auf der Videoleinwand über dem Rednerpodium ist Oliver Bruns zu sehen. Der Biochemiker vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Dresden sitzt mit einem Glas Wasser an einem Tisch, da wird aus einem Farbfilm ein Schwarzweiß-Gemälde: kein normales Schwarzweiß, etwas ist anders. Bruns’ dunkelblonde Haare sind schneeweiß – das Wasser im Glas pechschwarz. Die Filmsequenz soll veranschaulichen, wie eine neue Technologie funktioniert. Indem Wasser als Kontrastmittel dient, können bestimmte Strukturen im Körper, Nerven zum Beispiel, auf den Mikrometer genau abgebildet werden.
Bruns’ Vision: Er will mit der US-Chemikerin Ellen Sletten, mit der er seit ihrer gemeinsamen Zeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston zusammenarbeitet, die Chirurgie verbessern. Zum Beispiel verhindern, dass die Operateure versehentlich die feinen Geflechte der Nerven durchtrennen. Werden Nerven verletzt, dann können als Folge einer Operation chronische Schmerzen zurückbleiben.
Während eines Eingriffs sind sie allerdings mit bloßem Auge oft schwer zu sehen, feine blasse Fädchen in einem See aus Blut. Das Kontrastmittel Wasser macht sie von anderen Gewebetypen unterscheidbar, weil jeder einzelne Baustoff im Körpers einen jeweils anderen Wassergehalt besitzt.
Beobachter erhoffen sich so viel von Bruns’ und Slettens Idee, dass die beiden Forscher dafür nun ausgezeichnet wurden, mit dem „High Impact Award“: Der Wissenschaftspreis von Helmholtz-Gemeinschaft und Stifterverband ist mit 50.000 Euro dotiert und wird vergeben „für kreative und innovative Lösungen, die eine große Herausforderung aus Wissenschaft, Wirtschaft oder Gesellschaft adressieren“.
Das Dresdner Tumorforschungszentrum, an der Bruns die Abteilung für Funktionelle Bildgebung in der Operativen Onkologie leitet, ist eine von 18 Forschungseinrichtungen in der Helmholtz-Gemeinschaft. Bruns hat eine über das Deutsche Krebsforschungszentrum finanzierte Professur an der TU Dresden. Zuvor war Bruns am Helmholtz Pioneer Campus München angestellt, wo ein Großteil der jetzt ausgezeichneten Arbeiten entstanden ist.
Am Dienstag traf sich die Gemeinschaft zu ihrer Jahrestagung im Radialsystem in Berlin-Friedrichshain. Neben Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) war auch der Nobelpreisträger Thomas Südhof gekommen, der aus Göttingen stammt und nun schon seit vielen Jahren in Stanford forscht und lehrt. Die Preisverleihung war Ende und Höhepunkt des Programms.
Bevor Bruns und Sletten auf die Bühne gerufen wurden, war der Film mit dem Wasserglas zu sehen. Unter den 700 Gästen waren neben zahlreichen Wissenschaftlern auch einige Politiker. Vielleicht erklärten die beiden Preisträger deswegen auf der Leinwand mit besonders einfachen Worten und Bildern ihre neue Idee für hochauflösende Bildgebung.
Noch entscheidender, lebensentscheidend, soll die neue Kontrastmittelmethode in einem anderen Feld sein: der Tumorchirurgie. Schneiden Chirurgen nur einen Millimeter zu nah am Tumor, bleiben Krebszellen im Körper, die vielleicht wieder zu wuchern beginnen. Bisher werden deswegen bei einer Operation Proben vom Schnittrand gesammelt, die man noch während des Eingriffs im Mikroskop nach verdächtigen Zellen durchsucht.
Ob die Proben an der Stelle genommen werden, an der sich noch Krebszellen befinden oder von einem „sauberen“ Bereich des Rands, das ist Zufall. Genau hier soll die neue Methode ein präziseres, zellgenaues Verfahren liefern. Die Idee: Krebszellen mit der einen, das umgebende Gewebe mit einer anderen Farbe einzufärben, dabei ist Wasser als Marker für Gewebegrenzen nur eines von mehreren Elementen. Wirklich entscheidend ist das Licht, mit dem das Wasser und darin enthaltene Farbstoffe zum Leuchten gebracht werden sollen.
Dieses Licht heißt, nach seiner Wellenlänge von mehr als 1000 Nanometern, „kurzwelliges Infrarot“, Abkürzung: SWIR. Infrarot liegt im Spektralbereich zwischen sichtbarem Licht und der noch längerwelligen Terahertzstrahlung, es ist die Wärmestrahlung von Körpern, die zum Beispiel Nachtsichtgeräte einfangen. Bisher wird im OP zur Bildgebung eine andere Form des Infrarotlichts verwendet, mit Wellenlängen von 700 bis 900 Nanometern, um etwa den Blutfluss nach Organtransplantationen darzustellen, in Echtzeit.
Tiefer Blick ins Gewebe
Das Licht bringt spezielle Farbstoffe zum Leuchten, die zusammen mit dem Wasser ins Gewebe gegeben werden, was Experten Fluoreszenzbildgebung nennen. „Kurzwelliges Infrarot bietet einen besseren Kontrast und schärfere Bilder“, erklärt Oliver Bruns. „Die Methode könnte helfen, Krebszellen in Tumorrändern in einer Tiefe von mehreren Millimetern zu sehen. Möglicherweise kann man auch Bilder von nur wenigen Tumorzellen in Lymphknoten erhalten.“
Noch ist es nicht mehr als ein Prototyp, nicht praxisreif. Ein Problem: Von den für den klinischen Einsatz zugelassenen Fluoreszenzfarbstoffen eignen sich nur wenige für den neuen Wellenlängenbereich – jedes Farbstoffmolekül hat eine ganz bestimmte Wellenlänge, auf die es reagiert. „Meine Vision ist, dass in zehn bis zwanzig Jahren jedes große Krankenhaus mit dieser Bildgebung arbeitet“, erläuterte Bruns in einer Pressemitteilung der Universität.
Gefragt, ob das Verfahren besser funktionieren werde als die aktuelle Infrarot-Methode, sagt er: „Eindeutig ja!“ „Die eigentliche Herausforderung ist es, die Technologie rundherum zu bauen.“ Damit meint er abgesehen von den Farbstoffen, die man erst neu entwickeln müsse, auch passende Kameras.
Um die Farbstoffe kümmert sich Ellen Sletten, Spezialistin für organische Chemie, in ihrem Labor an der University of California in Los Angeles. Sletten erklärt bei der Preisverleihung in Berlin, warum aus ihrer Sicht die bisher verwendeten bildgebenden Verfahren verbesserungsbedürftig sind: „Was dabei nicht gelingt: durch Haut zu sehen. Die biologischen Grenzschichten sind für die bisher bei Operationen eingesetzten bildgebenden Verfahren eine undurchdringliche Barriere. Genau die müssen wir überwinden, ob nun außen am Körper oder an den inneren Organen.“
Sie freut sich, dass ein anderes Team, von der US-amerikanischen Universität Stanford, bereits einen Farbstoff entdeckt hat, der das schafft. Wie im Fachblatt „Science“ kürzlich zu lesen war, lässt die orange Lebensmittelfarbe Tartrazin Haut und anderes Gewebe durchsichtig werden, indem sie die Streuung des Lichts verändert. Sletten erklärt, das könne man mit der Kurzwellen-Infrarotlicht-Fluoreszenz kombinieren und so Gewebebausteine noch genauer darstellen – noch tiefer in die inneren Organe blicken.
Beim Rennen durchleuchtet
In einer Studie aus dem vergangenen Jahr verwendete das Team um Bruns und Sletten als Farbstoff membranartige Kügelchen, Mizellen, die mit Chrom-7-Ionen beladen worden waren. Dieser in kurzwelligem Infrarot fluoreszierende Stoff wurde Mäusen injiziert. 45 Minuten später war zu beobachten, wie das Blut in den feinen und feinsten Äderchen der Tiere pulsierte, während sie durch ihre Käfige rannten.
Wenn Menschen während der Operation auf alle möglichen Weisen eingefärbt werden und wie hier mit Schwermetallionen in Kontakt kommen, damit Chirurgen besser überprüfen können, was sie tun, müssen Patienten vielleicht mit anderen Folgen rechnen? Mit Schäden durch diese Farbstoffmoleküle? Allergien könnten ein Problem sein, ansonsten sei diese Art von Kontrastmitteln in der Regel gesundheitlich unbedenklich, meint Bruns.
In Dresden arbeitet er mit Chirurgen zusammen, die die neue Bildgebung im OP testen sollen. Der Forscher hat bereits mehr als ein Dutzend Ideen patentieren lassen und einen stattlichen Forschungsetat eingeworben: Eine Million US-Dollar von der mit dem Meta-Konzern verbundenen Chan Zuckerberg Initiative und 4,1 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das aktuelle Preisgeld ist da eher ein Taschengeld.
Dass Stiftungen und Ministerien so spendierfreudig sind, liegt an der Gefahr, die nach wie vor von Tumorerkrankungen ausgeht. Etwa 500.000 Menschen erkranken in Deutschland pro Jahr neu an Krebs, etwa 260.000 sterben daran. Aber weil es heute ganz andere, genauere Behandlungsmethoden gibt, geht die sogenannte altersstandardisierte Krebssterblichkeit zurück.
Das heißt, wenn Menschen an Krebs erkranken, sterben sie später oder gar nicht mehr daran. Mehr als die Hälfte aller Betroffenen kann heute mit dauerhafter Heilung rechnen. Forscher und ihre Förderer hoffen, durch solche neuen Verfahren Krebs den Schrecken zu nehmen.