Politik

9/11, “Black Nazi” und Haitianer: Trump macht Wahlkampf wild, aber Harris muss liefern | ABC-Z

Noch sechs Wochen bis zur US-Präsidentschaftswahl. Donald Trump und die Republikaner provozieren, Kamala Harris und die Demokraten präsentieren sich als die Streiter für die Vernunft. Die Umfragen sind noch enger als 2016 und 2020.

Rund einen Prozentpunkt. So viel haben sich die landesweiten Umfragen zugunsten von Kamala Harris gegen Donald Trump seit dem Fernsehduell der beiden bewegt. Sie liegt nun im Schnitt 2,2 Prozent vorn. In den entscheidenden “Battleground”-Bundesstaaten sind die Zahlen nicht einheitlich, in zwei von sieben hat Trump gegen den Trend zugelegt. Und das, obwohl die Republikaner wilde zwei Wochen hinter sich haben. Das beeinflusst aber nur minimal die Wahlabsichten der US-Amerikaner, die sich spätestens in sechs Wochen für einen (oder keinen) der beiden entscheiden müssen.

Je näher die Wahl am 5. November rückt, desto mehr kristallisiert sich ein Muster heraus: Bei den Republikanern zeigt sich viel Unruhe. Bei den Demokraten ein deutlich kalkulierter Wahlkampf, der eben das vermitteln soll: Wir sind die vernünftigen Erwachsenen, die anderen laufen einem improvisierenden Scharlatan hinterher. Das ist überspitzt, aber im Kern richtig. Harris versucht, sich als die Kandidatin der Vernunft darzustellen, da Trump nicht aus seiner Haut kommt.

Der Republikaner und die Demokratin liegen in Umfragen gleichauf, sind im Schnitt in allen entscheidenden Bundesstaaten nur durch der Fehlertoleranz getrennt. Harris hat zwar einen minimalen Vorteil, aber der bedeutet statistisch nichts. Dazu kommt, dass sie in den vergangenen Wochen den Großteil der Medienaufmerksamkeit erhalten hat, was sie mutmaßlich zu Trump aufschließen ließ. Aber das kann sich ändern: Die großen Termine wie Parteitage und TV-Duelle sind vorbei.

Die beiden biegen nun auf die Zielgerade ein. In den vergangenen beiden Wahlen hatte Trump dabei jeweils Schmutz auf die Fahrbahn geworfen: 2016 die E-Mails von Hillary Clinton, 2020 den “Laptop aus der Hölle” von Joe Bidens Sohn Hunter. Hat er noch etwas in der Hinterhand, um Harris zu diskreditieren? Wenn man nur nach nationalen Umfragen geht, befindet sich die Demokratin mit ihren 2,2 Prozent Vorsprung in einer schlechteren Position als Clinton und Biden zum gleichen Zeitpunkt.

Verschwörungstheoretikerin an Trumps Seite

Seit Präsident Biden auf seine Kandidatur verzichtete, macht Trump jedoch keinen souveränen Eindruck mehr. Er versiebte das TV-Duell, weil er sich provozieren ließ. Trumps energische Behauptung, haitianische Asylsuchende würden Hunde und andere Haustiere ihrer Nachbarn verspeisen, löste bei Harris ungläubiges Lachen und in den Medien viel Spott aus. Danach sagten 67 Prozent der Wähler, die Demokratin habe eine gute Figur gemacht, nur 40 Prozent sagten dies über den Republikaner. Etwa 67 Millionen Menschen hatten eingeschaltet. Im aktuellen Jahr waren es nur beim Super Bowl mehr.

Die erfundene Geschichte über verspeiste Haustiere soll Trump die rechte Influencerin Laura Loomer eingeflüstert haben. Die nahm Trump danach mit zum Gedenken an die Opfer des Terrorangriffs auf das World Trade Center am 11. September. Loomer hatte vor einem Jahr behauptet, die Taten im Jahr 2001 seien ein “inside job”, also von den USA selbst fingiert gewesen. Einen Tag nach dem Gedenktag schrieb Loomer auf X: “Haitianische Einwanderer essen nicht nur Katzen und Hunde. Sie essen MENSCHEN.” Trump werde verhindern, dass die Vereinigten Staaten sich in ein Dritte-Welt-Land verwandle. So viele von “Kamalas Eindringlingen” würden Tiere misshandeln, behauptete sie.

Kamala Harris trat beim TV-Duell überzeugend auf.

(Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire)

Trump selbst drängte zuletzt aus wahltaktischen Gründen auf eine Blockade des Haushalts, wurde aber von der eigenen Partei im Kongress ausgebremst. Er lieferte sich ein viel beachtetes Online-Scharmützel mit der Sängerin Taylor Swift, nachdem die öffentlich für Harris geworben hatte. Bei Veranstaltungen, die jüdische Wähler überzeugen sollten, sagte er, “jüdische Menschen” wären für eine mögliche Wahlniederlage besonders verantwortlich. “Trotz allem, was ich für Israel getan habe, habe ich [2020] nur 24 Prozent der jüdischen Stimmen bekommen”, klagte er.

Zuletzt verursachte Mark Robinson erneut Schlagzeilen, der von Trump pro forma unterstützte Gouverneurskandidat in North Carolina, der schon in der Vergangenheit mit äußerst irritierenden Aussagen aufgefallen war. Der Politiker wurde als Autor von Postings in einem Porno-Forum identifiziert, in dem er sich selbst als “Schwarzer Nazi” bezeichnet, der Transgender-Pornografie gucke und Sklaverei für “nicht schlecht” halte. Robinson ist selbst schwarz. Ein großer Teil seines Wahlkampfteams hat danach hingeschmissen. Trump hat ihm die Unterstützung nicht entzogen, erwähnte Robsinson aber bei einem Wahlkampfauftritt im Bundesstaat mit keinem Wort.

Äußerliche Gelassenheit bei Harris

Harris behandelt das wilde Treiben beim politischen Gegner zumindest äußerlich mit großer Gelassenheit. “Es ist dieselbe alte Strategie”, sagte sie am Freitag unter lautem Jubel im umkämpften Bundesstaat Wisconsin vor einer vollgepackten Halle: Es gehe ihr nicht um Spaltung und Hass, sondern um einen optimistischen Blick nach vorn: “Es ist an der Zeit, die Seite umzuschlagen.” Die große Mehrheit der Amerikaner habe mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Es gehe darum, Gemeinschaft und Koalitionen zu bilden, um zu vermitteln, dass es “uns gut gehen wird”. Deshalb werde sie von Demokraten, aber auch Unabhängigen und Republikanern unterstützt. “Wir sitzen alle im selben Boot.”

Harris sprach etwa eine halbe Stunde. Das macht sie bei ihren Auftritten so, seit Präsident Joe Biden seinen Verzicht auf die Kandidatur angekündigt hatte und Harris zur designierten Nachfolgerin wurde. Schon das ist ein Kontrast: Trump macht aus seinen Auftritten eine lange Show, weicht von seinem Manuskript ab, kommentiert aktuelle Themen, findet erst nach eineinhalb oder zwei Stunden ein Ende. Manche Zuschauer und Zuhörer zieht er damit in den Bann, andere stößt er ab: durch die Anspielungen, die maßlosen Übertreibungen und Verdrehungen, seine Lügen.

Die republikanischen Wahlstrategen konzentrieren sich darauf, so viele Wähler wie möglich zu mobilisieren und so den Erfolg von 2016 zu wiederholen; nicht notwendigerweise die Wechselwähler zu überzeugen. Ihnen bleibt kaum etwas anderes übrig. Immer wieder ist zu lesen, wie sein Wahlkampfteam ihn bittet, nicht abzuschweifen, sondern “on message” zu bleiben, über Inflation zu reden, über den Nahen Osten und mögliche weitere Kriege, über Harris’ progressive Positionen der Vergangenheit. Anders gesagt: sich nicht selbst den Weg ins Weiße Haus zu verbauen.

Aber Trump bleibt eben Trump und die US-Amerikaner meinen, ihn zu kennen: Rund 90 Prozent von ihnen sagten zuletzt, sie wüssten bereits genug über ihn, um ihre Wahlentscheidung zu treffen. Sich selbst demontieren kann Trump also offenbar gar nicht. Über Harris sagen hingegen 25 Prozent, sie müssten noch mehr über sie erfahren. Ob und wer gewinnt, kann insbesondere die Demokratin beeinflussen.

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