Kultur

50 Jahre Galerie Kicken: Aus der Nische ins Licht | ABC-Z

Seit 50 Jahren prägt die Galerie Kicken die Wahrnehmung von Fotografie als Kunstform. Zum Jubiläum kuratierte Wilhelm Schürmann eine Ausstellung.

Ein Blick in die Ausstellung: Kein Format ist viel größer als DIN-A4 Foto: Ludger Paffrath

Ohne Rudolf Kicken wäre dieses Bild vielleicht nie wieder in einer Ausstellung zu sehen gewesen: Die Kamera über den Kopf haltend, Schatten werfend, die runde Sonnenbrille auf der Nase, für sein Selbstporträt um 1930 fotografierte sich der Fotograf Umbo liegend. Jetzt hängt die Schwarz-Weiß-Fotografie in der Ausstellung „50 Years | 50 Photographs“ in der Galerie Kicken Berlin.

Vor 50 Jahren wurde die Galerie gegründet. Ein Jubiläum, das es verdient, gefeiert zu werden. Denn mit dieser Galeriegründung begann eine Pionierleistung, die maßgeblich dazu beitrug, den Blick auf die Fotografie als Kunst in Deutschland für immer zu verändern.

Es ist eine stille, eine zurückhaltende Ausstellung, die der Fotograf und Galerie-Mitbegründer Wilhelm Schürmann zum Jubiläum kuratiert hat. Die ausgewählten Fotografien sind allesamt schwarz-weiß. Kein Format ist viel größer als DIN-A4.

Und doch ist die Ausstellung unbedingt sehenswert. Nicht nur wegen des Jubiläums. Auch weil sie durchweg fantastische Fotoarbeiten zeigt: Da blicken einen drei Selbstporträts von der in diesem Jahr verstorbenen Helga Paris aus den 1980er Jahren an. Da beeindruckt die perfekte Komposition von Henri Cartier-Bressons 1933 entstandener Aufnahme „Madrid“ oder fasziniert die Vielschichtigkeit eines Fotos von Ralph Gibson aus der Serie „Deja-Vu“ von 1973.

Star der 1920er und 30er

Oder eben das Selbstporträt von Umbo. Sein Werk steht exemplarisch für das, was die Galerie Kicken im vergangenen halben Jahrhundert geleistet hat.

In den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war Umbo ein Star. Seine experimentellen Porträts und unorthodoxen Aufnahmen der Berliner Boheme machten ihn zum begehrtesten Fotografen der Weimarer Republik. Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten geriet er wie so viele Künstler dieser Zeit in Vergessenheit. Ein Bombenangriff zerstörte 1943 sein Berliner Atelier, alle Negative verbrannten.

Umbo (Otto Umbehr), „Selbst“, ca. 1930 Foto: © Phyllis Umbehr/Galerie Kicken Berlin/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Verarmt und vergessen verdiente Umbo Ende der 1970er Jahre seinen Lebensunterhalt als Kassierer in der Kestner-Gesellschaft in Hannover. Dort wurde der Galerist Rudolf Kicken auf ihn aufmerksam – und brachte seine Arbeiten zurück ins Licht der Öffentlichkeit.

Doch zurück zu den Anfängen: Irgendwann seien seine Aachener Mitbewohner aus dem Skiurlaub zurückgekommen und hätten ihm gesagt, dass sie dort einen kennengelernt hätten, „der ist genauso fotoverrückt wie du“, erzählt Schürmann am Telefon. Gemeint war Rudolf Kicken.

Fotografie als Kunstform

Das war Anfang der 1970er Jahre. Eine Zeit, in der Fotografie in Deutschland als ein mechanischer Vorgang ohne jeden künstlerischen Wert wahrgenommen wurde. In den Museen war von dem jungen Medium nichts zu sehen. Von Sammlungen ganz zu schweigen.

Kicken wusste, dass es auch anders geht. Er kam gerade aus den Vereinigten Staaten zurück, wo er ein Jahr lang in Rochester im Osten des Landes Fotografie studiert und ein Praktikum in der legendären New Yorker Fotogalerie Light Gallery absolviert hatte. Dort wurde Fotografie ganz selbstverständlich als Kunst wahrgenommen, gehandelt und ausgestellt.

Gemeinsam mit Schürmann gründete er 1974 in Aachen die Galerie Lichttropfen. Bereits 1975 nahmen sie an der Kölner Kunstmesse teil, 1976 sogar an der Art Basel. Gekauft hätten damals nur Kollegen, sagt Schürmann, der bald darauf ausstieg, weil er lieber selbst sammeln wollte.

Kicken missionierte beharrlich weiter. Mit wachsendem Erfolg. 1979 zog er mit seiner Galerie nach Köln. Dort begann sich ein neuer Kunstmarkt zu entwickeln, und auch der Name Kicken wurde immer bekannter. Als er 2000 nach Berlin zog, war Kicken längst die erste deutsche Fotogalerie von Weltrang.

Legenden wie Diane Arbus

Kicken repräsentiere ganz klar das „Who is who“ der Fotografie, sagt die Kunsthistorikerin Angela Lammert am Telefon. Ob es nun Fotografenlegenden wie Eugen Atget, Diane Arbus oder Bernd und Hilla Becher seien. Ob es die tschechische Fotografie, weibliche Fotografinnen oder die Erweiterung zur fotografischen Dokumentation in Ost und West mit Sibylle Bergemann, Helga Paris oder Uta Mahler sei. All diese Künstler und künstlerischen Ausrichtungen im öffentlichen Bewusstsein wieder sichtbar zu machen, das sei „sein großes Verdienst“.

Vieles von dem, was sie sich auf die Agenda geschrieben hätten, sei inzwischen an einem Punkt der Vollendung angelangt, sagt Annette Kicken. Sie ist die Ehefrau von Roland Kicken und führt seit seinem Tod 2014 die Galerie in Berlin weiter. Die Spezialisierung auf das Medium Fotografie als Kunst, das sei so eigentlich nicht mehr nötig. Die verschiedenen Medien würden mittlerweile ganz selbstverständlich im Dialog präsentiert.

Die Jubiläumsausstellung muss dann auch nicht mehr laut und auffällig sein. Die Galerieräume im zweiten Stock eines Charlottenburger Altbaus seien ja auch ein wenig versteckt, sagt Kicken. Wer uns besucht, müsse das schon wollen. Sie habe sich das nicht unbedingt so ausgesucht, aber irgendwie sei es trotzdem passend.

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