4:4 zwischen Union Berlin und Stuttgart: Die torreichste erste Halbzeit der Bundesliga-Geschichte – Sport | ABC-Z

Wie sich die Dinge doch manchmal fügen, am Samstag zum Beispiel im Stadion An der Alten Försterei des 1. FC Union Berlin. Die Köpenicker zelebrierten ihr 100. Bundesliga-Heimspiel – und sie taten es unter besonderen Umständen. Einerseits, weil sie den Klassenverbleib unabhängig vom Ausgang der Partie so gut wie in der Tasche hatten und ein Abrutschen auf Relegationsplatz 16 allenfalls theoretisch möglich war. Andererseits, weil der VfB Stuttgart zu Gast war und damit jene Mannschaft, die in der Erinnerung der Berliner mit dem Bundesliga-Aufstieg von 2019 auf unauflösliche Weise verbunden ist: Im Mai jenes Jahres besiegten sie den VfB in der Relegation. Und auch die Partie vom Samstag wird in Erinnerung bleiben. Wegen einer absurd anmutenden Rekord-Anzahl an Toren. Und weil der lange Zeit abstiegsgefährdete 1. FC Union vier Spieltage vor Schluss den Klassenverbleib perfekt machte.
Zur Halbzeit prangte auf der Anzeigetafel des Stadions ein beispielloses 4:4, das auch der Endstand sein sollte. Beispiellos war es deshalb, weil zum ersten Mal in der Geschichte der 1963 gegründeten Bundesliga in den ersten 45 Minuten einer Partie acht Tore gefallen waren. Das Maximum lag bislang bei sieben; zuletzt konnte das 2019 bei einer Partie zwischen Leverkusen und Frankfurt begutachtet werden (6:1). Das Halbzeitergebnis von Berlin war ein neuerlicher Beleg dafür, dass der Fußball gegen die Gesetze Logik immun ist. Denn aufgrund der besseren Spielanlage der Stuttgarter und angesichts eines Ballbesitzes von 74 Prozent zugunsten des VfB hätte man alles Mögliche vermuten können. Nicht aber das, was dann geschah: dass sich die Konkurrenten mit einem Remis in die Pause verabschiedeten.
Mehr noch: Man hätte nach 20 Minuten einigermaßen irrational sein müssen, um noch Geld auf die Stuttgarter zu setzen. Der Pokalfinalist aus dem Ländle, der aus den acht vorangegangenen Spielen nur einen Sieg davongetragen hatte, lag da nämlich durch Tore von Andrej Ilic und Diogo Leite mit 0:2 zurück. Das Muster war bei beiden Treffern gleich und sollte sich auch beim vierten Treffer der Unioner wiederholen, der auch auf das Konto von Ilic ging (45.+6). Unions lebende Klub-Legende Christopher Trimmel, der gerade seinen Vertrag verlängerte, setzte jeweils den Strafraum der Stuttgarter mit einem Standard in Brand, die sogenannten zweiten Bälle landeten immer bei den Gastgebern.
Aus allen Treffern aber ragte das zwischenzeitliche 3:2 heraus, das Leopold Querfeld erzielte. Unions österreichischer Abwehrspieler gewann den Ernst-Happel-Gedächtnispreis, indem er den Ball aus 34 Metern mit ergreifender Gewalt in den rechten oberen Winkel jagte. Die Torwahrscheinlichkeit lag laut Bundesliga-Daten bei einem Prozent; die Geschwindigkeit des Schusses bei 188 Kilometern pro Stunde.
Auch in der torlosen zweiten Hälfte sind die Stuttgarter überlegen
Aber: Das eine oder andere Werk der Stuttgarter hatte es auch verdient, in einer Pinakothek zu landen. Der Anschlusstreffer von Deniz Undav (23.) war allein schon deshalb würdig, verewigt zu werden, weil der deutsche Nationalspieler aus 18 Metern seinen ersten Treffer seit dem 18. Januar erzielte. Von größerer Anmut war der Treffer von Enzo Millot (30.), der den Ball aus der Distanz mit links herrlich ins Tor schlenzte.
Nach dem erwähnten dritten Treffer der Unioner mussten die Köpenicker von ihrem eigenen Gift naschen: VfB-Verteidiger Jeff Chabot verlängerte einen Standard mit dem Scheitel ins Netz der Gastgeber. Den vierten Treffer steuerte Chris Führich bei, auf gleichfalls ansehnliche Weise: Er legte mit einer Körpertäuschung im Strafraum die halbe Defensive der Unioner schlafen und traf in der ersten Minute der Nachspielzeit ins Netz, zum zwischenzeitlichen 4:3.
Nach der Pause änderte sich die Partie im Grunde nur dahingehend, dass die Dominanz der Stuttgarter zuzunehmen schien. Die Köpenicker zogen sich zurück und ertrugen stoisch, dass der VfB den Ball kreisen ließ, ohne entscheidende Lücken zu entdecken. Die aussichtsreicheren Chancen hatten die Köpenicker; vor allem durch Benedict Hollerbach, der in der 56. Minute bei einem Konter übers Tor schoss. Doch je länger die Partie dauerte, desto mehr verlor sie ihren verausgabenden Charakter. Doch das war zumindest den Unionern einerlei. Sie blicken einem siebten Jahr in der Fußball-Bundesliga entgegen.