Sport

25 Jahre “Transfermarkt.de”: Happy Birthday, Du Basar der Fan-Träume! | ABC-Z

In
unserer Kolumne “Grünfläche” schreiben abwechselnd Oliver Fritsch,
Christof Siemes und Stephan Reich über die Fußballwelt und die Welt des
Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 27/2025.

Am Abend des 31. August 2009 hörte man in Frankfurt die F5-Tasten klackern. Bei der damals noch vor sich hin darbenden Eintracht bahnte sich ein Transfer an, die SGE wollte den brasilianischen Spielmacher Lincoln nach Frankfurt holen. Und das Eintracht-Forum glühte. Tausende Fans diskutierten dort über den möglichen Transfer, teilten jedes noch so windige News-Update, malträtierten die F5-Tasten, um die Seite zu aktualisieren, auf dass der Wechsel endlich fix sein möge. “Das wäre der Hammer!”, schrieben sie, “Bin auf die nächsten Minuten gespannt!” oder “Herrlich, wie alle nach so einem Transfer dürsten.” Und schließlich: “War trotzdem mal für paar Stunden spannend.” Der spektakuläre Transfer kam nicht zustande.

Heute, 16 Jahre später, ist die Lincoln-Posse in Frankfurt legendär, und das liegt nicht nur an der spielerischen Klasse des Brasilianers. Das Internet war damals noch nicht so sehr Teil unseres Lebens, und News zu möglichen Sensationstransfers hatte man zuvor höchstens einmal am Tag bekommen, wenn man eine Zeitung aufschlug. Der Lincoln-Abend fiel in jene Zeit, in der sich das änderte. Plötzlich konnte man fast live (über die F5-Taste) mitfiebern, war in Echtzeit dabei, wenn ein Transfer angeleiert, verhandelt, finalisiert oder vergeigt wurde. Ich weiß nicht mehr, ob auch ich 2009 schon auf Transfermarkt.de den wichtigen Lincoln-Nicht-Transfer verfolgte, vermute aber, die erstaunliche Erfolgsgeschichte des Portals fällt nicht zufällig in etwa jene Zeit.

In diesem Sommer begeht Transfermarkt.de seinen 25. Geburtstag. Gegründet wurde das Portal im Jahre 2000 von Matthias Seidel, einem – und das meine ich wirklich im besten Sinne – Fußballnerd, der im jungen Internet einen Ort für Fußballstatistiken, Daten und News vermisste – und einfach selbst schuf. Seidel traf damit einen Nerv, denn die Entwicklung seiner Seite, einst absolutes Nischenprodukt, dürfte bundesweit seinesgleichen suchen. Transfermarkt.de hat mittlerweile 1,5 Milliarden Visits pro Jahr, sechs Millionen User pro Tag, ist im Juni 2025 die 32.-meistgeklickte Website des Landes. Es gibt die Seite in 24 Länderversionen und 16 Sprachen.

Der Urgedanke des Portals ist nicht weniger als die Vermessung der Fußballwelt: Die Seite evaluiert die Marktwerte der Spieler und erfasst praktisch fast alle Ligen der Welt in Datenbanken. 1,3 Millionen Spieler und Spielerinnen aus 121.000 Klubs sind eingepflegt, 134.000 Funktionäre, 81.000 Referees, 2,7 Millionen Spiele. Aktuell jubiliert es einem auf der Seite unter der Dachzeile “… immer besser!” entgegen: “Regionalliga Südwest 64/65 neu in TM-Datenbank.” Glückwunsch auch dazu.

Zahlen, Daten, Fakten, die Website hat sich aller Relaunches zum Trotz ihren leicht geekigen Excel-Tabellen-Charme bis heute bewahrt. Mittlerweile berufen sich Manager von Bundesligaklubs auf die Marktwerte der Spieler, die wiederum ärgern sich, wenn sie sich falsch bewertet fühlen. Das Besondere an der beeindruckenden Geschichte von Transfermarkt.de sei, “was wir mit unserer Datenbank und im Speziellen den Marktwerten geschaffen haben”, sagte Gründer Matthias Seidel zuletzt im Interview auf, na klar, Transfermarkt.de. Ich halte das nicht unbedingt für zutreffend. Vielmehr glaube ich: Transfermarkt.de ist nicht wegen der Daten und Zahlen so erfolgreich, sondern trotz. Denn hinter all der Nerdigkeit ist Transfermarkt.de wie keine andere Seite ein Basar für die Träume der Fans. Genauer gesagt: Die Unterseite Gerüchteküche, wo die User News zu möglichen Transfers posten und sich darüber austauschen. Eine schmucklose Seite, emotionslos aufgereihte Threads zu potenziellen Spielerwechseln, die in all ihre Retro-Internethaftigkeit aber das vereinen, was den Fußball für Fans am Leben hält: Hoffnung.

Lincoln zur Eintracht, was habe ich geträumt damals. Sein Auge, seine Pässe, die kurzen Wackler mit der Hüfte, mit denen er die Gegner zur Würstchenbude schickte, um dann einen Ball in eine Gasse zu spielen, die zuvor noch gar nicht dagewesen war. Ich sah ihn Dinge tun, die mich aus meinem imaginären Stadionsitz rissen. Hörte das Raunen des Runds im Kopf, sah fassungslose Menschen den Kopf schütteln nach einem auch in dieser Höhe verdienten, erträumten 4:0 gegen die Bayern. Ein möglicher Transfer von Lincoln war nicht weniger als ein Versprechen auf ein erfolgreicheres, schöneres Leben als Fan. Und solange der Transfer in der Schwebe war, konnte ich ihn mir in allen schönen Farben imaginieren.

Ach, süße Verheißung. Ein Schwebezustand, in dem noch alles möglich ist. Die Minuten, bis der Zettel den Weg durch den Klassenraum zurückfindet und Ja, Nein oder Vielleicht angekreuzt ist. Willst du meinen Verein endlich aus der Misere befreien? Ja. Vielleicht. Denn es ist ja so: Als Fußballfan, zumal von erfolgloseren Vereinen, lebt man von der Hoffnung, dass alles besser wird, man am Ende auch mal auf der Seite der Sieger steht. Spieler wie Lincoln sind es, die einem diese Hoffnung geben.

Schaue ich heute in die Gerüchteküche, sehe ich: Jonathan Burkardt zu Eintracht Frankfurt? Samuel Mbangula zu Werder Bremen? Paul Wanner zum VfB Stuttgart? Jedes Fragezeichen eine zuckrige Ungewissheit, Satzzeichen gewordene Vorfreude auf den Transfer, der das Blatt endlich zum Guten wendet. Die Ungeduld, mit der man updated, die Meinungen der anderen User, in die man eintaucht, jede neue Quelle eine kleine Aufregung. In der Gerüchteküche von Transfermarkt.de kann man den Finger an den Puls eines Transfers legen und spürt sich selbst. Und man hört praktisch die Frankfurt-, Werder- und Stuttgartfans sagen: “Das wäre der Hammer!”, während sie die F5-Taste malträtieren, bis aus dem Frage- endlich ein Ausrufezeichen geworden ist.

Auch einige dieser Transfers werden wieder platzen, die Hoffnungen unerfüllt bleiben, und das ist ja auch eine Wahrheit des Lebens: Meist wird es eben doch nicht unbedingt besser – Lincoln, Wanner, Mbangula hin oder her.
“War trotzdem mal für paar Stunden spannend”, will man abschließend sagen. Und: Das nächste Gerücht kommt bestimmt, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und auf Transfermarkt.de sowieso nie. Vielen Dank dafür.
Happy Birthday!

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