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25 Jahre Kriseninterventionsdienst bei der Bergwacht Bayern: „Wir bleiben, wenn der Schock noch nachwirkt“ – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Die Brandkatastrophe in der Gletscherbahn von Kaprun vom November 2000 ist eines der bislang schwersten Unglücke im Alpenraum – und war eine der extremen Bewährungsproben des damals neu formierten Kriseninterventionsdienstes der Bergwacht Bayern (KID Berg). Von den 155 Toten – darunter viele Kinder und Jugendliche – stammten knapp ein Viertel aus dem Freistaat. Nach einer solchen Katastrophe und in anderen zahlreichen Fällen benachrichtigen Mitarbeiter des KID Berg gemeinsam mit bayerischen Polizisten Angehörige vom Tod eines Familienmitglieds.

„Für die Angehörigen bricht plötzlich eine Welt zusammen, wenn etwa der Vater, der gerade noch auf dem Weg zu einem schönen Bergtag war, tödlich abgestürzt ist“, beschreibt Roland Ampenberger die Situation nach Unglücken. Das Ziel der im KID Berg engagierten Einsatzkräfte sei es, die Angehörigen unmittelbar nach einer solchen Nachricht so weit zu stabilisieren, dass sie psychisch wieder zurande kämen, so der Sprecher der Bergwacht Bayern. Bei den Einsatzkräften selbst gehe es eher darum, auf schwierige Situationen mit Todesfolgen präventiv vorzubereiten. Denn wenn Mitglieder der Bergwacht alarmiert würden, wüssten sie um die Schwere des Unglücks. „Das ist ein anderes Stressmanagement“, sagt Ampenberger.

Im Aufbau des Kriseninterventionsdienstes kurz vor der Jahrtausendwende sieht der Bergwacht-Sprecher eine Vorreiterrolle für andere Bergrettungsorganisationen im Alpenraum. Am bayerischen Vorbild hätten sich etwa die Zusammenschlüsse von Freiwilligen in Tirol und Südtirol orientiert, so Ampenberger.

Das KID Berg hat eine Vorreiterrolle für Bergretter-Organisationen im Ausland

Mehr als 2000 Mal waren die Bergretter des KID im Freistaat bis zum Sommer 2025 im Einsatz, um Angehörige, Tourenpartner oder weitere Beteiligte nach traumatisierenden Vorfällen in den ersten Stunden zu betreuen und zu unterstützen. Gefragt sind die eigens dafür geschulten Mitglieder auch, wenn es zu Vermisstensuchen kommt. „Unsere Einsätze beginnen, wenn andere aufräumen und der Rettungshubschrauber auf dem Nachhauseflug ist“, so zitiert Ampenberger den aktuellen Beauftragten des Fachdienstes auf Landesebene, Robert Weissacher von der Bergwacht Hausham (Kreis Miesbach). „Wir sind da, wenn der Tod am Berg Realität wird – und wir bleiben, wenn der Schock noch lange nachwirkt.“

Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern. (Foto: Manfred Neubauer)

Um in solch sensiblen Situationen tätig werden zu können, benötigen die KID-Mitglieder eine Zusatzausbildung für psychosoziale Akuthilfe. Die dafür erforderlichen 110 Unterrichtseinheiten sind bundeseinheitlich geregelt. Aber nur Mitglieder mit mehrjähriger Einsatzerfahrung können sich so qualifizieren.

Aktuell engagieren sich 86 Einsatzkräfte, 120 Mal jährlich werden sie tätig

Derzeit sind im Freistaat insgesamt 86 Einsatzkräfte im KID Berg aktiv. Die Mitglieder verteilen sich auf alle sechs Regionen der Rettungsorganisation – von Franken und dem Bayerischen Wald bis ins Allgäu, die Gebiete Hochland West sowie Ost und ins Chiemgau. Um die 120 Einsätze gibt es laut der Bergwacht Bayern pro Jahr, die meisten davon im heimischen Alpenraum. Die Krisenbetreuer helfen in der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV), in der es Bereiche für Betroffene und Einsatzkräfte gibt. Die Unterstützung reicht je nach Belastungsgrad von den ersten Stunden bis Tage nach einem Unglück.

Die Rettung Verunglückter in den Alpen ist Hauptaufgabe der bayerischen Bergwacht. Deren Mitglieder sind oft auf die Unterstützung eines Helikopters angewiesen.
Die Rettung Verunglückter in den Alpen ist Hauptaufgabe der bayerischen Bergwacht. Deren Mitglieder sind oft auf die Unterstützung eines Helikopters angewiesen. (Foto: Bergwacht)

Menschen in einer Ausnahmesituation nicht allein zu lassen, ist laut Ampenberger das zentrale Ziel des Unterstützungsangebots. Es geht unter anderem darum, praktisch zu helfen, soziale Ressourcen zu aktivieren, Sicherheit und Struktur zu geben sowie psychische Langzeitfolgen zu verhindern. Im Bedarfsfall vermittele das Team des KID Berg auch weiterführende Hilfsangebote.

Bereits in den frühen Neunzigerjahren zählte Andreas Müller-Cyran zu den Pionieren der Krisenintervention im deutschen Rettungsdienst. Der katholische Diakon und Rettungsassistent war im Arbeiter-Samariter-Bund in München tätig und baute das erste derartige bundesweite Team in der Landeshauptstadt auf. Der Bergwacht half er, den KID zu entwickeln und hörte nach 25 Jahren als fachlicher Leiter bei der Bergwacht auf. Die Diplom-Pädagogin und Feuerwehrfrau Angela Hammerl übernahm seine Führungsposition. In Heiner Brunner, Mitglied der Murnauer Bergwacht, fand der Dienst den Initiator einer 24 Stunden erreichbaren Hotline für Betroffene und Einsatzkräfte. Bis 2019 leitete Brunner nahezu alle Aus- und Fortbildungskurse.

Inzwischen ist der KID Berg laut Bergwacht-Sprecher Ampenberger mit weiteren Organisationen der psychosozialen Akuthilfe vom Roten Kreuz bis hin zur katholischen und evangelischen Kirche eng vernetzt. Die Organisation war auch aktiv, als ein rechtsextremer Täter im Jahr 2016 neun Menschen im Münchner Olympia-Einkaufszentrum tötete, oder beim Hochwasser in Süddeutschland im Jahr 2024.

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