20 Jahre Bürgermeister in Münsing: Interview mit Michael Grasl – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Grasl ist in Percha am Starnberger See aufgewachsen. Sein Vater war dort ehrenamtlicher Bürgermeister. Er selbst entschied sich für die Verwaltungslaufbahn. Grasl war Bauamtsleiter in Schäftlarn, ehe er Münsinger Bürgermeister wurde. In der Gemeinde war er auch Vorsitzender der Holzhauser Musikkapelle, spielt selbst Tuba. Im Gespräch spricht er über Höhepunkte und Niederlagen, die Rolle eines Bürgermeisters und warum er ohne Musik nicht leben kann.
SZ: Herr Grasl, in einem humoristischen Gedicht zu Ihrem 20-jährigen Amtsjubiläum hat Gemeinderat Matthias Richter-Turtur Sie kürzlich als Zirkusdompteur betitelt. Trifft das die Rolle eines Bürgermeisters?
Im humoristischen Sinn auf jeden Fall. Und manchmal auch im realen Sinn. Also in diesen 20 Jahren, zirkusähnliche Vorgänge gibt es da schon.
An was denken Sie?
Da gibt es die Solisten und die Leute die sich in den Vordergrund drängen. Es gibt diejenigen, die im Hintergrund arbeiten und die Kulissenschieber. Dann gibt es die Musik, die irgendwo spielt. Das war ja auch bei mir der Fall. Alles in allem macht es dann die Mischung, dass der Zirkus erfolgreich ist, nicht tingelt, sondern einen festen Standort hat. Aber ich sage es einmal so: Es ist manchmal wirklich grenzwertig, wenn man gewisse Dinge so rückblickend betrachtet. Was sich die letzten zehn Jahre vor allem verändert hat. In Sachen Akzeptanz von Entscheidungen und im Umgang miteinander.
Inwiefern?
Das Vertrauen der Bürgerschaft und die Sichtweise auf die Kommunalpolitik oder die Arbeit in den Verwaltungen, die hat sich etwas getrübt. Aus meiner Sicht befassen sich die Leute zu wenig inhaltlich mit den Themen. Stattdessen wird schnell und viel darauflosgeschimpft.
Das war vor 20 Jahren anders?
Bisserl anders. Da war als Seiteneinsteiger auch der Bonus des Neuen. Wenn ich mit ehemaligen Gemeinderäten spreche, sagen die auch, das war ja eine ganz andere Zeit. Es war nicht unbedingt immer einfach. Da waren ja viele Dinge im Laufen. Grünwaldhof und diese ganzen Streitsachen. Viele Verwaltungsstreitsachen, die wir dann nach und nach aus dem Weg geräumt haben. Im Grunde war das ja ein Start, der ging gleich in die Vollen. Ich hatte aber die Unterstützung aus dem Gemeinderat so wie bei der Formel 1, die das Auto herrichten und dann geht es los. Das war wirklich so, dass ich als Neuer wirklich gut aufgenommen wurde.
Und im Verhältnis zu den Bürgern?
Ich stelle fest, dass die Aussagen, die wir in Politik und Verwaltung treffen, oder die Arbeit, die wir machen, teilweise erst einmal nicht geglaubt werden. Zum Beispiel beim Mobilfunk lassen wir das Thema mit einem Sachverständigen neutral und unabhängig von irgendwelchen Grundstückseigentümern bewerten. Doch viele glauben nicht, dass wir eine ordentliche Arbeit machen. Da stehen wir an der Wand. Bund und Land haben es sich mit diesem Thema leicht gemacht und das Ganze ganz nach unten deligiert, wo es den Ärger auszubaden gilt. Das ist es, was dich dann schon wurmt. Da gibt es viele Beispiele wie etwa auch Breitband-Internet. Wir werden hingehalten, verarscht, auf Deutsch gesagt. Müssen aber die Kritik der Bürger aushalten. Wir können das niemandem mehr erklären.
Trotzdem hat gerade die kommunale Verwaltung laut Umfragen im Freistaat sehr hohe Zustimmungswerte.
Mit der allgemeinen Politikverdrossenheit, die zugenommen hat aus meiner Sicht, ist ein Teil des Grundvertrauens in die Kommunen abhandengekommen. Die vielen Leute, die alles besser wissen, weil sie sich erkundigen, weil sie googeln, weil sie Zeit haben, das ist auch so eine Zeiterscheinung. Oder die selbst ernannten Verkehrsplaner, die nicht die behördliche Seite kennen. Die nicht wissen, wie schwierig es ist, etwas durchzusetzen oder zu erreichen.
Meinen Sie damit etwa den Arbeitskreis, der nach Anwohnerbeschwerden über durch Holzhausen rasende Autofahrer oder über Radfahrer, die auf der für den öffentlichen Verkehr gesperrten Seestraße Fußgänger gefährden, Abhilfe fordert?
Wir haben erst gestern wieder mit unserem Verkehrsplaner Reiner Neumann eine Videokonferenz gehabt. Der hat jetzt auch konkrete Vorschläge mit Fahrbahnveränderungen baulicher Art. Die werden viel Geld kosten. Die zahlen wir. Das zahlt nicht das Landratsamt und nicht das Staatliche Bauamt. Das kostet alles Zeit und ist wahrscheinlich wieder verkehrt oder nicht ganz richtig. Wenn ich dann an die in der Seeuferstraße in Ambach platzierten Plastik-Skelette denke. Dafür dass man solche Geschütze auffährt, ist die Situation harmlos. Die Polizei sagt mir immer wieder, bei ihnen passiert eigentlich fast nichts. Für die vielen Tausenden von Leuten, die hier jedes Jahr durchgeschleust werden.
Bis auf Ihre erste Wahl hatten Sie nie einen Gegenkandidaten. Das wäre aber doch Bestandteil einer funktionierenden Demokratie?
Eine Auswahl ist immer besser. Wenn es aber niemanden gibt, dann ist das aber auch ein Vertrauensbeweis. Es gibt ja andernorts die gleiche Situation. Es gibt Gemeinden, da ist das häufig so. Dann gibt es welche, da sind regelmäßig drei, vier Kandidaten da.
Sie haben schon 2019, also noch vor der aktuellen Amtsperiode, angekündigt, 2026 aufzuhören. Haben Sie nie darüber nachgedacht, doch weiterzumachen?
Nein. Den Gedanken gab es nicht und gibt es nicht, weil ich meistens bei meinen Aussagen auch bleibe. Ich möchte mich noch einmal anders orientieren, aber nicht mehr in der Kommunalpolitik. Ich kandidiere auch nicht mehr für den Kreistag. Ich werde aber nicht als Pensionist daheim sitzen. Ich versuche einen Ausgleich zwischen Ehrenamt und einer hauptberuflichen Beschäftigung zu finden. Vielleicht im sozialen Bereich. Es könnte auch in Richtung Beratung gehen. Da gibt es Nachfragen. Auf der anderen Seite interessiere ich mich für Seniorenkonzepte und Seniorenarbeit. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich da einbringe. Da gibt es so viel Bedarf, sich zu betätigen. Die politische Bühne werde ich nicht mehr betreten. Das steht fest, höchstens die musikalische.
Sie spielen regelmäßig Tuba. Dafür dürfte es nach Ende der Amtsperiode wieder mehr Gelegenheiten geben.
Die Zeit nehme ich mir jetzt schon, weil ich ohne Musik wahrscheinlich Probleme hätte. Gesundheitlich habe ich schon 2019 gewisse Symptome gemerkt. Das heißt, es ging damit los, dass ich nicht mehr so gut schlafen kann. Magengeschichten. Oder so kleine Wehwehchen, die mit dem Stress zu tun haben. Da ist für mich die Musik ein Riesenausgleich, wo ich wirklich zufrieden heimkomme. Wo ich das Gefühl habe, ich habe jemandem eine Freude gemacht und mir selber auch. In diesem Stressbereich habe ich die Sorge, dass ich noch eine Periode nicht mehr so gut bewältigen könnte. Aufhören zu müssen und zu sagen: Ich pack`s nimmer. Das möchte ich nicht. Weil mittendrin abzubrechen, das war noch nie meins. Lieber jetzt einen Schnitt und die Chance für einen Neubeginn für mich und für die Nachfolger. Auch mit Rücksicht auf meine Gesundheit.
Die Verwaltung und Sie haben Ihre Büros seit 2024 im neu gebauten Bürgerhaus mit Veranstaltungssaal. Über die Dimensionen und Kosten in Höhe von 22 Millionen Euro gab es Diskussionen. War es das wert?
Auf jeden Fall. Also wenn man das Ergebnis dann sieht. Im Hinblick auf das Bürgerhaus und auf Hauptstraße 25, sozialer Wohnungsbau, auf die ganzen Vereinshäuser, St. Heinrich, Degerndorf. Für diese öffentlichen Projekte hat es sich gelohnt. Es hat sich nicht gelohnt in Sachen Ambach. Da muss ich sagen, das ist im Nachhinein für mich immer noch sehr schade.
Dort hatte das Kuratorium „Wohnen im Alter“ am Areal der früheren Wiedemann-Kurklinik ein Seniorenwohnstift geplant, sich aus wirtschaftlichen Gründen aber zurückgezogen. Ist das Ihre größte Niederlage?
Würde ich so sagen. Das ist doch für die Verwaltung eine große Belastung gewesen, diesen Bebauungsplan durchzuziehen. Wenn man sieht, welche Prozesse da in Gang gesetzt wurden mit Unterschriften und Bürgerbegehren, das es fast gegeben hätte. Ich muss sagen, das kostet viel Kraft. Es gibt einige Dinge, bei denen wir noch zu tun haben.
Und das wäre?
Im Straßen- oder Leitungsbau haben wir noch einiges zu tun. Das wird bei jeder Flächengemeinde so sein. Das Thema Verkehr ist noch offen, Verkehrsbelastung und -beruhigung. Die Hochwasserschutzverfahren in Ammerland und in Degerndorf, die momentan an privaten Belangen scheitern. Wir haben Gewerbe- und Wohnflächen, die wir noch entwicklen wollten oder wo wir in Verfahren teilweise stecken geblieben sind. Die Agrobs-Erweiterung haben wir natürlich. Seestraße und Radweg Allmannshausen-Weipertshausen, was auch wieder am Grunderwerb hängt.
Was sind denn Ihre Highlights als Bürgermeister?
Die Highlights sind eigentlich die Begegnungen. Das sind die Leute, die diese Gemeinde prägen und geprägt haben. Loriot, Ruth Kohler. Alle Künstler, die hier bei uns einen Bekanntheitsgrad haben, auf der anderen Seite sehr bescheiden und ruhig geblieben sind. Sich hier wohlfühlen, weil sie hier in Ruhe leben können. Christian Tramitz, der bei uns jetzt liest zu 80 Jahre Kriegsende. Das sind ja wirklich Leute, die sich einbringen. Es sind viele schöne Erlebnisse, die ich haben durfte. Ich kann da gar nichts rausgreifen.
Das größte Event in Münsing dürfte wohl das Ochsenrennen sein, dass alle vier Jahre viele Tausend Besucher anzieht.
Solche Großveranstaltungen sind nicht meine Favoriten. Das kann ich auch öffentlich sagen. Ich finde es ein bis zwei Nummern zu groß, ganz persönlich. Und da bleibe ich auch dabei. Etwas gemütlicher oder dörflicher wäre für mich schöner. Ich finde es aber toll, dass die Veranstaltung so organisiert wird, der Verein (die Ochserer, Anm. d. Red.) sich das zutraut und das macht. Ich hatte vorher schon unruhige Nächte. Das muss ich offen sagen. Weil auch im Training etwas passiert ist mit den Reitern. Da gab es Verletzungen.
Was macht das Amt eines Bürgermeisters trotzdem erstrebenswert?
Ich habe das ja bei meinen Vater mitbekommen. Das war für mich immer ein Wunsch. Als kleines Kind schon habe ich mir gedacht, das wäre doch toll. Mitbringen muss ein Bürgermeister einen gewissen Humor. Vielleicht auch eine Portion Elefantenhaut. Dass man manches nicht so an sich heranlässt, auch wenn es leicht gesagt ist und nicht immer gelingt. Eine stabile Gesundheit. Und in erster Linie den Willen, Dinge zu moderieren, zusammenzuführen, zu einem Ergebnis zu bringen. Und Mitarbeiterführung. Es ist nicht so, dass man sagt, das ist so typischer öffentlicher Dienst. Man ist zwar Beamter auf Zeit. Aber das hat mit Beamtenmentalität gar nichts zu tun. Man ist ständig irgendwo gefordert, Dinge auszugleichen, Dinge auszubügeln. Auch einmal anzuschieben. Das Hauptgeschäft ist, Moderator zu sein, sich alle Seiten anzuhören und dann zu einem Ergebnis zu kommen. Das beschreibt es, glaube ich, am besten.
Was passiert denn nach ihrem letzten Amtstag am 1. Mai 2026?
Keine Ahnung. Ich weiß es noch nicht. Urlaub ist vielleicht zu viel. Es gibt sicherlich ein Zurückschalten erst einmal. Einfach einmal sich wieder sammeln und einrichten. Aber ich habe heute schon eine Einladung bekommen für das nächste Bezirksmusikfest in Holzhausen. Da sollich noch einmal die Schirmherrschaft übernehmen, obwohl ich nicht mehr im Amt bin. Das wollen die ausdrücklich so als Schlusspunkt. Ich bin ja sowieso dabei mit meinem Instrument. Ich mache das ja gerne. Aber ich möchte mich nirgends mehr aufdrängen und ein bisschen im Hintergrund bleiben.