2. Liga: Hertha mit Nullnummer – Berliner erwachen gegen KSC im alten Elend – Sport | ABC-Z

Die Frage, warum die Menschen zum Fußball gehen, hat schon Philosophen von höchstem Rang beschäftigt; im Fall von Hertha BSC trägt die Antwort existenzialistische Züge. Zumindest ausweislich des Stadtmagazins Tip, das sich soeben in einer längeren Reportage der Hertha widmete und nur kurz vor der Bemerkung Halt machte, dass es keinen besseren Lehrstuhl für die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins gibt als eine Sitzschale im Olympiastadion. „Die blau-weiße Dauerkarte garantiert Frustration“, schrieb Tip tipptopp und präzise.
Am Sonntag trat Hertha gegen den Karlsruher SC zum ersten Heimspiel der Saison an, und das hieß unter anderem: eine Woche nach der 1:2-Auftaktniederlage beim FC Schalke 04, das von Herthas offiziellem „Vlog“-Auftritt beim Sozialnetzwerk Bluesky in Anspielung auf den Hertha-Torschützen unter der Zeile „Grönning per Hacke, ansonsten … Kacke“ recht treffend zusammengefasst wurde.
Oder: Nachdem viele Hertha-Fans auf den Werbebildschirmen der Untergrundbahn mit einem Tagebucheintrag eines Herthaners im Geiste namens Franz Kafka auf die neue Saison eingegroovt wurden. „Geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben“, hatte Kafka an einem Juli-Sonntag des Jahres 1910 geschrieben. Das Spiel geriet am Ende aus Hertha-Sicht ähnlich deprimierend: Die letztjährige Kämpferin gegen den Abstieg aus Liga zwei und nunmehr selbst ernannte Aufstiegsaspirantin kam gegen den KSC zu einem 0:0-Unentschieden.
:Die Fortuna erklärt sich zum Fall Weissman – und macht den Fehlstart perfekt
Erst nach mehreren Tagen erläutert Fortuna Düsseldorf, warum man den israelischen Stürmer Shon Weissman nicht verpflichtet hat. Gegen Hannover setzt es derweil die zweite Saisonniederlage.
Man konnte den Akteuren gar nicht hoch genug anrechnen, wie viel Widerstandskraft sie aufbrachten – und sich dagegen wehrten, das Chloroform einzuatmen, das regelmäßig von den Rängen auf den Rasen weht, wenn Hertha und der KSC aufeinandertreffen. Beide Anhängerschaften sind einander enger verbunden als Stahlsaiten und Gitarrenhälse; der gern gemeinsam dargebotene Gesang der Fans hat schon manche Duelle beider Teams unter einer dicken Soße aus Harmonie und Freundlichkeit erstickt. Am Sonntag war das zwar nicht der Fall. Eine niveauvolle Partie kam dennoch nicht zustande.
Zum Ende der torlosen ersten Halbzeit gab es Pfiffe der Berliner – und das, obwohl eine Prämisse war, ist und bleibt, dass man „nicht ins Stadion fährt, um 90 Minuten sportliche Höchstleistungen zu sehen“, wie das Magazin Tip ebenfalls schrieb. Von einem Fehlstart zu sprechen, wäre zum jetzigen Zeitpunkt „übertrieben“, sagte Sportdirektor Benjamin Weber. Die Leistung sei „einfach nicht gut gewesen“, es habe vor allem an Intensität gemangelt, fügte er hinzu.
Immerhin: Hertha hat einen Zähler mehr als nach dem ersten Heimspiel der vergangenen Saison …
Die Hoffnungen der Herthaner auf den Aufstieg waren zuletzt als groß beschrieben worden. Zwar wurde in Ibrahim Maza einer der vielversprechendsten Spieler an Bayer Leverkusen abgegeben. Der Klub schaffte es aber, trotz wochenlanger Ungewissheit auf dem Geschäftsführerposten und Absagen von oder an Jonas Boldt, Ralf Rangnick und Oliver Kahn zwei Schlüsselfiguren der vergangenen Saison zu halten: Fabian Reese und Michael Cuisance.
Zudem wurde Maurice Krattenmacher vom FC Bayern ausgeliehen. Ein offensiver Mittelfeldspieler, der mit viel Talent gesegnet ist und in der ersten Halbzeit mit einem schönen Pass, der in Herthas erste Chance durch Reese mündete, und einem Lattentreffer aus 18 Metern auf sich aufmerksam machte (23.).
Der auffälligste Herthaner freilich war Marton Dardai, der sich mit den Jahren von einem interessanten Verteidigerprojekt in das Sinnbild defensiver Inkompetenz verwandelt hat. Seine Fehler beschworen in den ersten fünf Minuten Großchancen der Karlsruher herauf. Erst verzog David Herold, dann rettete Hertha-Torwart Tjark Ernst gegen Marvin Wanitzek. Erst nach der Pause mengte Hertha dem eigenen Spiel Koffein bei, davon zeugten die Gelegenheiten für Reese und Cuisance. In der 68. Minute wechselte Trainer Stefan Leitl – ein Held des Nichtabstiegs der vergangenen Saison – auch noch Kennet Eichhorn fürs zentrale defensive Mittelfeld ein. Es gab großen Jubel, unter anderem deshalb, weil Eichhorn erst am 27. Juli das 16. Lebensjahr vollendet hat und immer noch so aussieht, als habe er vorgestern die Milchzähne verloren. Herthas Top-Talent löste als Rekordhalter Karlsruhes Efe-Kaan Sihlaroglu ab, der am 27. November 2021 beim 4:0 gegen Hannover mit 16 Jahren und 142 Tagen debütiert hatte – bis heute sein einziger Zweitligaeinsatz.
An Eichhorn lag es allerdings nicht, dass der KSC in der Schlussphase noch zu vier, fünf Großchancen kam. Dank der Großzügigkeit der in Freundschaft verbundenen Karlsruher blieb gleichwohl die Null stehen, womit das Hertha-Glas auch als halb voll angesehen werden kann. Hertha hat einen Zähler mehr als nach dem ersten Heimspiel der Vorsaison, damals ging die erste Partie vor heimischem Publikum mit 0:1 verloren. Gleichwohl: Die Hertha-Fans pfiffen auch nach 90 Minuten. Es war der altvertraute Sound, der am Sonntag verhieß, dass die Hertha einer gewaltigen Steigerung bedarf, um den Traum von Liga eins am Leben zu halten. „Jeder Spieler strebt nach dem Höchsten, und es ist klar der Anspruch, dieses Ziel zu erreichen. Denn Hertha ist ein Riesenverein, der in die Bundesliga gehört“, sagte Torwart Ernst nach der Partie.