1860 in Ulm: Notarzteinsatz überschattet Löwensieg – Sport | ABC-Z

Es war ein Spiel, das in vielerlei Hinsicht nach 23 Sekunden beendet war. Zum einen, weil nach dem Tor durch Sigurd Haugen in der 22. Spielsekunde zum 1:0-Endstand nicht mehr allzu viel vor beiden Toren passierte. Und vor allem, weil die Drittligapartie im weiteren Verlauf überschattet wurde von einem Notarzteinsatz, der für eine Geisterspielstimmung sorgte.
In der 34. Minute hatte dieser Einsatz auf der Gegengerade des Ulmer Donaustadions begonnen, eine Frau war mehrmals reanimiert und schließlich ins Krankenhaus gebracht worden. Beide Fan-Lager waren davon ausgegangen, dass die Frau verstorben sei und hatten in der zweiten Halbzeit ihre Unterstützung komplett eingestellt; die Anhänger von 1860 München verzichteten auf eine Choreografie, die sie vorbereitet hatten. Dem Vernehmen nach sollen viele von ihnen sogar den Spielabbruch gefordert haben. Bis nach dem Spiel gab es keine Informationen zum Gesundheitszustand der betroffenen Frau.
Sportlich betrachtet hatten sich die Löwen, wie schon beim 2:0-Sieg zu Hause gegen Saarbrücken, nicht gerade in einen Ästhetikrausch gespielt. Trotzdem könnte die Partie bei einem Gegner, bei dem es zurzeit noch unruhiger zugeht als bei den Löwen, einen Wendepunkt darstellen. „Von den Auswärtspartien der jüngsten Zeit war das die angenehmste“, freute sich Offensivspieler Kevin Volland, der maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen hatte. Der frühere Champions-League-Spieler hatte deutlich mehr auffällige Momente als in den vergangenen Wochen, er hatte etwa Angreifer Haugen vor dessen 1:0 perfekt in Szene gesetzt. Auf eine mögliche Wende angesprochen sagte Volland, man müsse immer alles geben – und fügte sarkastisch-grinsend hinzu: „Es kann alles auch immer in die Hose gehen, das wissen wir ja mittlerweile.“
Kevin Volland findet beim TSV 1860 immer besser ins Spiel
Trainer Markus Kauczinski hatte vor dem Spiel darauf hingewiesen, dass er als Cheftrainer durchaus schon einmal auswärts gewonnen habe, auch wenn die Sechziger zu diesem Zeitpunkt drei Monate auf einen Dreier in der Fremde warteten. „Dieses Gerede haben wir jetzt hoffentlich zum Verstummen gebracht“, sagte Kauczinski nach dem Spiel, „das hat uns schon auch belastet, auch wenn es keiner zugibt.“
Wenn eine so auswärtsschwache Mannschaft wie die Löwen nach 23 Sekunden in Führung geht – nach Anstoß für Ulm übrigens – hätte man danach auch ein etwas mutigeres Spiel nach vorne erwarten können. Stattdessen fand Ulm mit zunehmender Dauer besser in die Partie, Sechzig gelangen selten Entlastungsangriffe. Ulm habe das gut gemacht, versicherten mehrere Sechzig-Spieler, Selbstkritik war ebenso herauszuhören. „Ich fand’, wir waren zu schlampig im Umschaltspiel, der Gegner hat im Zentrum richtig gute Leute“, sagte Angreifer Patrick Hobsch. „Wir haben sieben, acht Dinger liegengelassen, wo wir nicht einmal zu einem Abschluss kommen. Daran gilt es extrem zu arbeiten.“
Darauf angesprochen, dass er jetzt deutlich auffälliger spiele, antwortete Volland fast schüchtern. Der einstige Ulmer Philipp Maier erobere viele Bälle, der Stürmer Hobsch lege viele Bälle geschickt auf ihn ab, das komme ihm in seiner zentralen Rolle „alles zugute“. Sowohl Hobsch als auch Maier stehen erst seit zwei Spielen in der Startelf. Es scheint sich also etwas zu finden in der Mannschaft, was aktuell zumindest defensive Stabilität gewährt. Als die Löwen nach dem Duschen in den Bus nach Hause stiegen, verabschiedeten sie einige Fans mit dem Ruf: „Kevin Volland ist ein Fußballgott.“
Meinung
:„Blau gegen Rassismus“? So viel auf einmal kann man eigentlich gar nicht falsch machen
Wie viel interne Unruhe auch die Ulmer zurzeit zu verarbeiten haben, zeigte dann noch eine weitere Episode, die während der Partie ihren Fortgang nahm. Nachdem ein Brandbrief zweier Spieler zur Entlassung von Trainer und Geschäftsführer geführt hatte, unterstellte Aufsichtsratsmitglied Walter Feucht den Briefschreibern nichts anderes als Heuchelei. Dafür wurde im Stadion von den Fans abgestraft. Auf einem Spruchband hieß es, er solle „die Fresse halten“.
Bei Sechzig indes kritisiert unterdessen der Hauptsponsor offen den Präsidenten. Unter der Woche hatte Martin Gräfer, Vorstand der Versicherung „Die Bayerische“, per Social Media den aktuellen Präsidenten Gernot Mang eingenordet. „Sich am nachbarschaftlichen Marktführer abzuarbeiten, mag für manche identitätsstiftend wirken. Wirtschaftlich und sportlich bringt es uns keinen Zentimeter weiter“, hieß es unter anderem. Mang hatte publik gemacht, dass ihn Bayerns Präsident Herbert Hainer kürzlich nicht erkannt hatte.
Doch all diese Zwistigkeiten waren am Samstag spätestens in der zweiten Halbzeit unwichtig. Ulms neuer Trainer Pavel Dotchev fand das passende Schlusswort, als er nach dem Notarzteinsatz anmerkte, es gebe eben Wichtigeres als Fußball.





















