100 Jahre Pro Honore: Ein Hort des Anstands für eine ehrliche Wirtschaft | ABC-Z

Der Verein Pro Honore in Hamburg feiert sein 100. Jubiläum. Seine Werte und Ziele sind so aktuell wie die Kriminalität in Unternehmen und der Druck auf eine regelbasierte Wirtschaftsordnung.
Als der Verein Pro Honore im April 1925 in Hamburg gegründet wurde, herrschte in Deutschland Chaoskapitalismus, das Recht des Stärkeren, die Regeln des Skrupellosen. Bestechung, Erpressung und Betrug zählten selbstverständlich zum Handwerkszeug vieler Unternehmen, Schmiergeld wurde von der Steuer abgesetzt. Nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg waren die Sitten auch in der Wirtschaft verroht, jeder kämpfte für sich.
Männer aus der Hamburger Elite, aus Wirtschaft und Politik, erkannten das selbstzerstörerische Potenzial dieser Entwicklung. Sie schadete nicht nur dem Image der deutschen und Hamburger Wirtschaft zum Beispiel im Ausland, sondern zersetzte auch das notwendige, regelbasierte Beziehungsgeflecht zwischen Unternehmen. Zu den Gründern von Pro Honore zählten der Bankier und damalige Handelskammer-Präses Hermann Münchmeyer, der Erste Bürgermeister der Hansestadt, Carl Friedrich Petersen und der Reichskanzler a.D. Wilhelm Cuno.
Mit dem Verein stellten sie so etwas wie ein frühes Forum für ein Regel- und Sittenwerk auf die Beine, das man heutzutage in Unternehmen Compliance (Regeltreue) nennt. „Der Kampf gegen das Bestechungs- und Schmiergeldwesen der damaligen Zeit war das erste große Projekt von Pro Honore“, sagte der heutige Vereinsvorsitzende und Finanzunternehmer Nikolaus von der Decken am Mittwoch beim 11. Hanseatischen Compliance Tag in der Handelskammer.
Die Arbeit von Pro Honore und die Inhalte des Vereins sind in der Gegenwart so aktuell und so notwendig wie vor 100 Jahren. Wirtschaftskriminalität wird heutzutage auf einem professionell ungleich höheren Niveau organisiert als seinerzeit – vom Cum-Ex-Steuerskandal bis hin zur Ausplünderung von Unternehmen durch das Organisierte Verbrechen. Und der weltweit wirkmächtigste Zerstörer einer verlässlichen, transparenten und kooperativen Wirtschaftsweise sitzt derzeit als Chef im Weißen Haus in Washington.
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) ließ sich von seiner Staatsrätin Bettina Lentz für ein Grußwort an Pro Honore vertreten. Lentz las vor den rund 40 Teilnehmern in der Handelskammer einen staubtrockenen Text vom Blatt ab und hob hervor, die öffentlichen Unternehmen der Hansestadt hätten mit Blick auf eine gute Unternehmensführung „eine Vorbildfunktion“, sie gingen „mit gutem Beispiel voran“.
Wie wenig die Hansestadt Hamburg diesem Anspruch derzeit gerecht wird, zeigen allerdings zwei Beispiele. Beim städtischen Unternehmen Hamburg Wasser hatten sich die beiden Geschäftsführer – Gesine Strohmeyer und Ingo Hannemann – monatelang einen Machtkampf geliefert und zudem den Verdacht auf Missmanagement genährt, zum 1. April setzte der Aufsichtsrat an ihrer statt eine Interims-Geschäftsführung ein.
Die Hamburger Energiewerke wiederum teilten kürzlich mit, dass der Preis für den Bezug von Fernwärme auf einen Schlag um 30 Prozent steigt. Der Grund dafür – hohe Investitionen in eine klimaschonende Energieversorgung – ist im Unternehmen seit Jahren bekannt. Offensichtlich wollte der rot-grüne Senat die absehbaren Preissteigerungen aber aus dem Bürgerschaftswahlkampf heraushalten, gewählt wurde in Hamburg am 2. März. Für die Aufsicht sowohl über Hamburg Wasser als auch über die Hamburger Energiewerke war bislang der scheidende Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) verantwortlich. In den vergangenen Jahren hatten die Hamburger Energiewerke zahlreiche neue Kunden – auch in Altbauten – an das Fernwärmenetz angeschlossen.
Das Aufgabenspektrum von Pro Honore bleibt also breit, von transparenter und guter Unternehmensführung bis hin zur Abwehr von Wirtschaftskriminalität. Nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg baute Pro Honore die „Hanseatische Schutzgemeinschaft für Absatzfinanzierung und Kreditsicherung“ (Schufa) in Hamburg mit auf, deren Ursprung in Berlin lag.
Im Jahr 2003 richtete der Verein gemeinsam mit der Handelskammer Hamburg und der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg eine „Hamburger Vertrauensstelle zum Schutz vor Kriminalität in der Wirtschaft“ ein. Der Begriff „Whistleblowing“ war damals in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Bei der Vertrauensstelle können Informanten anonym, geschützt und abgeschirmt durch erfahrene Anwälte, Hinweise auf Wirtschaftskriminalität und Verbrechen in Unternehmen geben. „Der Zeuge und Hinweisgeber steht unter einem enormen seelischen Druck, sich nicht gefahrlos offenbaren zu können“, sagte von der Decken. Ohne Hinweise von Insidern allerdings könnten die Ermittlungsbehörden viele Wirtschaftsverbrechen nie aufklären.
Wie aktuell das ist, zeigen zwei Beispiele: Der Hamburger Kupferhersteller Aurubis war jahrelang vom Organisierten Verbrechen betrogen und ausgeraubt worden – die Berufskriminellen arbeiteten dabei mit Mitarbeitenden und Insidern von Aurubis zusammen. Ebenfalls auf Insider stützen sich Drogenkartelle, die große Mengen vor allem an Kokain aus Südamerika über die Hafenterminals der HHLA und von Eurogate nach Deutschland und Europa einführen. In beiden Tatkomplexen, den Aurubis-Verbrechen und dem Drogenschmuggel im Hamburger Hafen, gab es bereits erste Strafverfahren.
Es ist eine enorm komplexe Aufgabe, eine sinnvolle Balance zu finden zwischen unternehmerischer Freiheit und der nötigen gesellschaftlichen Kontrolle wirtschaftlichen Handelns. Das deutsche „Lieferkettengesetz“ zeigt dies, das von den Unternehmen als ein bürokratischer Alptraum wahrgenommen wird. Die vermutliche künftige Regierungskoalition aus Union und SPD will das Gesetz anpassen, welches Ergebnis die Reform haben wird, ist auf Basis des noch nicht final beschlossenen Koalitionsvertrages bislang unklar. Viele Unternehmen wünschen sich, dass sie Transparenz maximal im Verhältnis zu ihren jeweils nächsten Lieferanten herstellen müssen, nicht aber zu allen Vorlieferanten. „Wir brauchen nicht noch mehr Regeln, wir brauchen vor allem klare Regeln“, sagte der Wirtschaftsanwalt Malte Passarge, der seit 2012 als Geschäftsführer von Pro Honore arbeitet.
Aus Sicht von Pro Honore ist transparentes, verlässliches, faires Handeln zwischen Unternehmen letztlich – jenseits der Ethik – auch reiner Eigennutz. „Unternehmen, die ein ethisches und anständiges Verhalten praktizieren“, sagte von der Decken, „sind effektiver, widerstandsfähiger und langfristig profitabel.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland.